Kennst du die noch? Diese alten, kleinen Geräte, die man stundenlang an seinen Computer angeschlossen hat, um illegal oder legal runtergeladene 3:30-Minuten-Songs in die Hosentasche stecken zu können? Die man gepflegt und gehegt hat wie fünf Jahre vorher sein Tamagotchi? Die niemals—unter gar keinen Umständen—in die Hände irgendeines Ü30-Jährigen fallen durften, weil sie so ungefähr all die kleinen und großen Dramen deines Teenagerlebens offen gelegt hätten?
Wenn du bis hierhin nicht gecheckt hast, wovon die Rede ist: Ich rede von einem iPod! Diesem Ding, das in seiner ursprünglichen Form schon seit 2014 nicht mehr hergestellt wird und das still und heimlich abgelöst wurde von den Geräten, auf denen du mit großer Wahrscheinlichkeit gerade diesen Text liest. Ich habe meinen iPod letztens wiedergefunden. Zerkratzt und ohne Akku. Sogar ohne passendes Ladekabel, weil auch dieses seit 2014 nicht mehr hergestellt wird. Und was machen verzweifelte Menschen im Jahr 2016? Richtig, einen Facebook-Aufruf starten: Wenige Stunden später hatte das Ding Saft und konnte sich regenerieren.
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Der Shuffle-Modus war noch voreingestellt und mich begrüßte die Textzeile „I’ve got a feeling that tonight’s gonna be a good night.“ Wer diesen Song der Black Eyed Peas nicht mehr kennt, der hat seine trashige Jugend nie wirklich gelebt.
Zugegeben, es funktioniert nur noch einer der zwei Kopfhörer und auch das Display hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Um die Song- und Künstlernamen zu erahnen, muss man das Ding in ein ganz bestimmtes Licht halten und sich auf seine verstaubten Erinnerungen verlassen. Lassen wir das und hören mal hin.
Die Playlisten
Die Namen der fein säuberlich sortiert und zusammengestellten Musiksammlungen sind schon das erste Highlight dieser Reise. Neben harmlosen Betitelungen wie „Sommer 06“ oder „London 05“, finden sich dort nicht nur zahlreiche Namen meiner Verflossenen, sondern auch Emotionen wie „Today I’m sad“.
Ich widerstehe der Versuchung, mich vor Peinlichkeit aus meinem Erdgeschossfenster zu stürzen und drücke mutig die Mitte des iPod-Wheels. Mal sehen, was mich damals mit 16 so unglaublich „sad“ gemacht hat. Der erste Song der Playlist—„Lass los“ von Dennis Lisk, der vielleicht einfach bei den Beginnern hätte bleiben sollen—schwingt direkt die Pathos-Keule. „Lass los, Glück fühlt sich anders an.“ Gesagt, getan. Skip. Nächster Song. „Night after Night“ von The Sounds. Okay, ist auch heute noch ein, wenn auch sehr schnulziger, Hit. Weiter. Im Folgenden wechseln sich Silbermond, Juli und das Schlimmste, Revolverheld (!!!) ab. Diese Playlist macht mich auch today noch ziemlich sad. Ich flehe mein 16-jähriges Ich an, mich nicht komplett zu enttäuschen und werde erhört: Zwischen all dem Crap schlummert immerhin noch ein „High Pain Drifter“ von Locas in Love. Und ein „Gabriel“ von Emmy the Great.
Je weiter ich scrolle, desto mehr fällt mir auf, dass ich offensichtlich irgendwann auf den bedeutungsschwangeren Titel der Playlist geschissen und völlig beliebig irgendwelche neuen Songs reinsortiert habe. Konsequenz my ass. Zwischen „Goodbye my Lover“ und „Disco Bitch“ hatte ich ganz offensichtlich meine heftige Jugendtrennung schon überwunden.
Die nächste Playlist „Yes I’m gonna be a star“ hatte überraschenderweise nichts mit einer geplanten DSDS-Bewerbung zu tun, sondern wurde schlichtweg nach dem ersten Song benannt. „Drive my Car“ von den Beatles lässt mich kurzzeitig mitwippen und ich widerstehe der Versuchung, den Text laut in meinen Hinterhof zu brüllen. Ist aber auch einfach ein Hit.
Ich scheine damals sehr viel Zeit gehabt zu haben. Zu jedem Geburtstag meiner Eltern finden sich ebenfalls Playlisten. Ich habe also doch irgendwie versucht, den Ü30-Jährigen meine Musikauswahl näher zu bringen. Kurzzeitig schleicht sich der Gedanke ein, dass man mal wieder eine Playlist verschenken sollte. Voll persönlich und so. Welche Bands würden sich denn dafür so anbieten?
Die Bands
Hinter Klassikerbands verstecken sich Klassikeralben: „In Utero“ von Nirvana zum Beispiel oder „FK10“ von Freundeskreis. Aber ich klicke auch auf Namen und merke: Da ist nicht viel dahinter. Genau genommen oft nur ein einziger Song. Ich bewundere mein minimalistisches Talent: Von überraschend vielen Bands habe ich nur einen einzigen Song für würdig genug empfunden, auf meinem iPod zu landen. Trotzdem habe ich mich in Gesprächen als die allumfassende Bandkennerin zu profilieren gewusst. Vielleicht war meine musikalische Jugend mehr Schein als Sein. Vielleicht haben die Bands aber auch abgesehen von diesem einen Song nur Scheiße hervorgebracht und mein 16-jähriges Ich wusste gut genug zu unterscheiden. Wäre mir diese Fähigkeit bei meiner heutigen Männer-Auswahl doch mal erhalten geblieben.
Die Songs
Abgesehen davon, dass ich beim Durchscrollen nicht mal mehr weiß, wer 90 Prozent der Songs hervorgebracht hat, haben manche ganz witzige Namen. „Stars mit und ohne Maske“, „Licht in der Kirche“ oder „Die Paste mit der Zauberkraft“. Beim Draufklicken fällt mir auf, dass das alles Kapitelüberschriften von ???-Hörspielen waren und finde das tatsächlich ganz witzig. Es gibt aber dann doch noch ein paar echte musikalische Highlights. Dass Clueso mit „Stumme Königin“ einen meiner damaligen Top-Songs geschrieben hat, hatte ich vergessen. Wie gut „Music when the lights go out“ von den Libertines ins Ohr geht übrigens auch. Auch „Hide and Seek“ von Imogen Heap lässt mein Herz beim Anhören hüpfen und bringt mich in Versuchung, meine verstaubten O.C. California-DVDs wieder aus dem Schrank zu holen. Wenn schon Jugend, dann richtig.
Ich könnte ewig so weitermachen, aber die Akkuanzeige färbt sich verdächtig rot und ich mache meinen iPod aus.
Vor kurzem saß ich mit Freunden zum Vortrinken in meiner Küche. Wie das nach ein paar Gläsern so ist, fühlten sich alle Beteiligten schnell zum Star-DJ berufen. Da wurden dann Klassiker ausgepackt wie „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ der Arctic Monkeys, „Die Schönheit der Chance“ von Tomte oder „Let Me In“ von den Beatsteaks—alles Titel, die ich auch in meinen alten Listen wiederfinden konnte. Ich muss unweigerlich grinsen. Weil ich genau weiß, wie individuell und hip und cool ich mich mit dieser Musikauswahl damals gefühlt habe. Und wie unglaublich banal sie rückblickend betrachtet ist. Vielleicht sollten wir uns alle nicht zu wichtig nehmen.
Was neben dieser Message an Erkenntnis bleibt, ist, dass wir trotz allem Musik auch im Jahr 2016 noch besitzen sollten. Auf CDs, auf Platten oder eben auf kleinen klapprigen Geräten. Weil wir nur dann Jahre später Stunden mit einem Gang durch unser persönliches musikalisches Museum verbringen und dabei merken können, dass das vielleicht mal wir waren—aber uns das ganz sicher nicht zu Musikpionieren macht.
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