Seitan, Soja, Mandelmilch— vegane und vegetarische Alternativen zur klassischen omnivoren Ernährung gibt es fast so lange wie die menschliche Kultur selbst. Tofu, ein Nahrungsmittel aus Sojabohnen, wurde bereits vor dem 2. Jahrhundert v. Chr. in China hergestellt und gegessen . Tierfreundliche Alternativen zur Bekleidung aus Leder — mit ähnlichen und beständigen Eigenschaften — gibt es bis heute allerdings kaum.
Nun hat eine in Berlin lebende Künstlerin mit einem Studienprojekt die Herstellung einer veganen Lederalternative aus Kombucha-Tee erprobt, mit der sowohl baumwollfreie Westen als auch plastikfreie Beutel erschaffen werden können. Für ihr Studienprojekt „Second Skin” hat sie sich auf den stinkigen Herstellungsprozess der mikrobakteriellen Zellulose eingelassen und mit den verschiedensten Möglichkeiten des DIY-Materials experimentiert.
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Das Verfahren selbst ist dabei gar nicht vollkommen neu. In ihrem Projekt BioCouture hat Suzanne Lee schon vor drei Jahren begonnen die Möglichkeiten von Kleidung aus mikrobakteriellem Pilzgewebe zu erforschen. Die Expertin für Zukunftstechnologien und Modedesignerin aus London nennt es „veganes Leder.” Auch wenn es sich technisch gesehen nicht um Leder handelt— sondern um eine Symbiose verschiedener Hefen und Essigsäurebakterien —, kommt das Pilzgewebe der gegerbten Tierhaut recht nahe. Es ist ähnlich robust, stabil und reißfest—und dabei transparenter.
Färben lässt sich das Material ebenfalls durch einfache chemische Prozesse oder eine vorherige Farbänderung des Tees ebenfalls. Vor allem aber ist es vielseitiger einsetzbar, seine Herstellung ist nachhaltiger und ökologisch besser zu verantworten als bei Rinds- oder Schweinsleder. Die fertigen Jacken und Westen der Designerin sehen dennoch gar nicht so ungewöhnlich aus, und kommen trotz der unheimlichen Farbe von menschlicher Haut sogar durchaus modisch daher.
Die Herstellung des Materials selbst ist denkbar einfach: Grüner Tee wird aufgekocht und mit großen Mengen Zucker vermischt. Die gekühlte Nährlösung schüttest du anschließend in eine Wanne und gibst den kleinen, kreisrunden Kombucha-Teepilz dazu. Nach etwa drei bis vier Wochen Wachstumsphase hat der Pilz durch Fermentation an der Oberfläche des Tee-Zucker-Gemischs eine dünne Membran ausgebildet. „Mehr muss man nicht tun. Man kann der Pilzkultur regelrecht beim Wachsen zusehen. Licht oder zusätzliche Maßnahmen sind nicht notwendig”, beschreibt Lee den Prozess.
Da das gallertartige und übel riechende Gewebe zu diesem Zeitpunkt noch zu über 90 Prozent aus Wasser besteht, wird es an der frischen Luft getrocknet. Nach weiteren zwei bis vier Wochen ist das „Vegane Leder” laut Suzanne Lee hauchdünn und stabil und kann schließlich verarbeitet werden — zu Kleidung, Taschen oder Möbelbezügen.
Mimi Nyuen, Studentin an der Universität der Künste in Berlin, tauft ihr Projekt nun auf den Namen Second Skin. Auch sie züchtete die Pilzkulturen in der heimischen Badewanne: „Die Herstellung ist simpel, man braucht nur Zeit — und einen Mitbewohner, den der Gestank nicht stört”, sagt die polnische Austauschstudentin, „Es ist auch nicht wirklich teuer. Einen hochwertigen Kombucha-Mutterpilz bekommt man für 40 bis 60 Euro. Es geht aber auch billiger, besonders bei Ebay und ähnlichen Anbietern im Internet.”
Sie interessiert dabei allerdings eher der künstlerische und nachhaltige Aspekt. „Ich glaube nicht, dass das mikrobakterielle Gewebe Bekleidung aus Leder vollständig ersetzen kann. Dafür hat es noch zu viele Nachteile”, sagt sie. „Aber es gibt andere Möglichkeiten: biologische Beutel oder Folien als Alternative zu Baumwolle und Plastik, ein Ersatz für Papier ist ebenfalls denkbar.”
Und tatsächlich; die Verwendungsmöglichkeiten sind vielseitig. Dank der biokompatiblen und nicht-toxischen Eigenschaften der mikrobakteriellen Fasern wird heute besonders am Einsatz im medizinischen Bereich geforscht. Eines Tages sind so künstliche Blutgefäße oder Haut- und Knochengewebe aus mikrobakterieller Zellulose denkbar. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist die Nachhaltigkeit. Da das Material komplett biologisch abbaubar ist, könnten wir unsere alte Kleidung einfach zu den Obstschalen auf den Kompost werfen.
Die revolutionäre Idee sorgte damals für Wirbel, gelangte sogar unter die 50 besten Erfindungen des Jahres 2010 des TIME Magazine. Mittlerweile ist es stiller um Suzanne Lee und ihr „Pilzleder” geworden. Das könnte auch am größten Nachteil des mikrobakteriellen Gewebes liegen, den auch Mimi Nguyen schnell erkannt hat:
„Das Material verträgt keine Feuchtigkeit. Wasser wird sofort aufgesogen und zersetzt das Gewebe. Es bildet Schimmelpilze aus und zerfällt regelrecht.”
Schlechte Voraussetzungen für eine Lederjacke im Herbst. Das vollständige Ersetzen von Leder, Baumwolle und anderen Stoffen war und ist allerdings auch nicht Lees Absicht: „Mikrobakterielle Zellulose ist keine hundertprozentige Alternative. Aber ich denke, es ist eine intelligente und nachhaltige Ergänzung zu unseren immer wertvoller werdenden natürlichen Ressourcen.”