Schießbefehl gegen die Nato! Screenshot: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de
Zum Zeitpunkt, als ich mit diesem Artikel schreibe, ist ein Artikel mit der Überschrift „Nach Abschuss: Putin nennt Türkei Komplizen der IS-Terroristen” der laut der Webseite 10000flies.de meistgeteilte Artikel in den sozialen Medien in Deutschland. Erschienen ist der Artikel nicht etwa auf den reichweitenstarken Nachrichtenseiten wie Spiegel Online oder bild.de, sondern auf den viel kleineren Deutschen Wirtschafts Nachrichten.
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Grundsätzlich kann es immer mal wieder vorkommen, dass einzelne Posts von sonst eher nischigen Blogs oder kleinen Webseiten auf einmal extrem viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie einen Nerv treffen oder eine besonders skurrile Begebenheit berichten. Den Deutschen Wirtschafts Nachrichten (kurz DWN) gelingt das aber immer wieder. Im Oktober-Ranking von 10000 Flies steht die Seite auf Platz 11—vor süddeutsche.de, Huffington Post Deutschland oder der FAZ. Das ist für eine Seite, von der bis vor Kurzem noch niemand gehört hatte, ein ziemlicher Erfolg. Aber wer oder was sind die Deutschen Wirtschafts Nachrichten, und warum sind sie so beliebt?
Die Webseite wurde 2012 von Michael Maier ins Leben gerufen, der vorher (jeweils kurz) Chefredakteur bei der Berliner Zeitung und beim Stern war, Geschäftsführer ist Christoph Herrmann. Seitdem fällt die Webseite trotz des trockenen Namens immer wieder mit reißerischen Titeln und eigenwilligen Interpretationen des Tagesgeschehens auf, die den Lesern immer wieder nahelegten, dass die EU-Institutionen den deutschen Bürgern Böses wollen: Einmal wollen skrupellose Politiker den Deutschen eine Monarchie aufzwingen, ein anderes Mal will man ihnen verbieten, in ihren Privatgärten eigene Pflanzen zu ziehen. Meistens will die EU die Deutschen aber einfach „enteignen” und ihnen das Geld aus der Tasche ziehen.
„Wir haben es geschafft, dass wir Wirtschaft als ein buntes Thema sehen, als ein einfaches Thema sehen”, drückt DWN-Chef Hermann das in einem Interview aus. Andere Journalisten sind von der DWN-Methode weniger begeistert. In einem eigens der Webseite gewidmeten Beitrag des ZDF nannte der Journalistik-Professor Stefan Weichert das Rezept „Provokation, Provokation, Provokation”, SPON schrieb, die Webseite füttere „eine Mischung aus Angst und Misstrauen”. Auf netzpolitik.org erklärte Markus Beckedahl die Masche: „Es werden Tatsachen verdreht, und dass der Weltuntergang dann doch nicht kommt, geht leider in der Regel unter.” (DWN verlangte daraufhin eine Unterlassungserklärung von netzpolitik.org, allerdings mit der etwas skurrilen Begründung, dass Beckedahl den ZDF-Beitrag eingebunden hatte—den sie aber selbst auch eingebunden hatten. DWN ließ die Forderung fallen, nachdem Beckedahl einen Anwalt eingeschaltet hatte.) Im Oktober letzten Jahres veröffentlichte der YouTuber Rayk Anders schließlich ein Video mit dem Titel „8 Gründe, warum ich Deutsche Wirtschafts Nachrichten nicht lese”.
Hat die (immer noch weitgehend namenlose) Redaktion der DWN aus der Kritik gelernt? Eher nicht. Die Überschriften lauten immer noch „Genmais-Verbot: Gefährliche Täuschungs-Manöver zugunsten der Saatgut-Konzerne” oder „Die Komplizen sind nervös: Nato fürchtet Putins klare Linie gegen den Terror“. Aber abgesehen von den angstschürenden Überschriften: Wie sieht es in den Artikeln selbst aus?
Dazu kann man sich zum Beispiel den anfangs erwähnten Artikel ansehen, der in Deutschland gerade hoch und runter geliket, gesharet und (zumindest teilweise) gelesen wird. Die Überschrift, Putin nenne die Türkei „Komplizen des IS” ist immerhin halbwegs korrekt: Putin hat tatsächlich gesagt, dass „der heutige Verlust mit einem Dolchstoß in unseren Rücken, ausgeführt durch die Komplizen des Terrors, verbunden” sei.
Interessanter wird es dann aber später im Artikel. Nach einem weiteren ausführlichen Putin-Zitat weist der Text darauf hin, dass die Berichterstattung „der mit der Nato eng verbundenen Bild-Zeitung” den Vorfall so aussehen lasse, als hätten die Russen die Türken angegriffen und nicht umgekehrt. Tatsächlich titelte die Bild „Putin attackiert die Türkei“—eine durchaus kritikwürdige und missverständliche Gewichtung der Geschichte, dass zuerst einmal die Türken ein russisches Flugzeug abgeschossen hatten. Im Blatt berichtet die Bild natürlich trotzdem, was wirklich passiert ist.
Die DWN nehmen nun aber in ihrem Artikel diesen Bild-Aufmacher als Ausgangspunkt für folgende Theorie:
„Diese Kommunikation deutet auf eine Verwicklung der Geheimdienste in den Abschuss hin. Im Text selbst hält sich das Blatt etwas bedeckter, zitiert jedoch einen Nato-Mann, der jetzt zur Besonnenheit aufruft. Die US-Geheimdienste verweisen darauf, nichts mit dem Abschuss zu tun haben. Die Türkei ist Nato-Mitglied. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Ankara eine solch gefährliche Situation heraufbeschwören würde, ohne Rücksprache mit den US-Diensten zu halten.”
Das ist, gelinde gesagt, Schwachsinn. Nicht einfach deshalb, weil es alles andere als „äußert unwahrscheinlich” ist, dass die türkische Regierung Alleingänge unternimmt—seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs gilt die Türkei als so ziemlich der unzuverlässigste und unkontrollierbarste Partner, den der Westen in der Region überhaupt hat. Aber im Grunde muss man die Behauptung der DWN auch gar nicht diskutieren, eben weil sie einfach nur eine Behauptung ist—keine einzige Quelle und kein einziger Beweis stützen die Fabel von der bösen NATO, die der Türkei einfach mal befohlen hat, ein russisches Flugzeug abzuschießen.
Es sagt eine Menge über das journalistische Selbstverständnis der Deutschen Wirtschafts Nachrichten, dass sie solche Behauptungen einfach in ihre Berichterstattung über eine akute weltpolitische Krise einflechten, die gerade sehr vielen Menschen Angst macht.
Die Frage ist also nicht mehr, ob die DWN seriös sind oder nicht. Die Frage ist vielmehr, ob die Verantwortlichen diese Panikmache einzig betreiben, um damit möglichst viele Leichtgläubige auf ihre Seite zu locken und so richtig viel Geld zu verdienen, oder ob noch viel unangenehmere Absichten dahinterstecken.
Update vom 9. April 2019, 11.30 Uhr: In der ersten Version dieses Textes vom 26. November 2015 haben wir die DWN indirekt als “Blog für Verschwörungstheorien” bezeichnet. Wir haben die betreffenden Passagen gelöscht, da sich der Ton der DWN seitdem verändert hat. Nach unserer Einschätzung hat sich das Portal merklich von dem damals vorherrschenden Sensationalismus wegentwickelt, hin zu einer sachlicheren und nüchterneren Berichterstattung.