Im November 2008 haben zehn Mitglieder von Lashkar-e-Taiba—einer islamistischen Kampfgruppe—in zwölf Anschlägen mit Schusswaffen und Bomben in Mumbai 164 Menschen getötet und 300 weitere verletzt. Im Anschluss an ihren mörderischen Zerstörungsmarathon haben sie fast 60 Stunden lang Hunderte Mitglieder einer indischen Spezialeinheit zurückschlagen können, bevor sie am Ende getötet oder gefangen genommen wurden.
Die Lashkar-e-Taiba-Mitglieder hatten zuvor eine monatelange Kampfausbildung erhalten. Sie waren eine echte Elitetruppe. Und sie waren high. Zeugenberichten zufolge waren die Terroristen auf Drogen. Und Blutproben haben schließlich auch bestätigt, dass zumindest einige der Kämpfer Kokain, LSD und Steroide genommen hatten. Es scheint mittlerweile klar zu sein, dass es Drogen waren, die ihnen die Kraft gaben, einer Gruppe von Angreifern zwei Tage lang die Stirn zu bieten, die zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen waren. Und das ohne Essen oder Schlaf und mit einigen lebensgefährlich Verletzten in den eigenen Reihen.
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In seinem neuen Buch Shooting Up hat der polnische Historiker Lukasz Kamienski eine wichtige Erkenntnis herausgearbeitet: Seitdem es Kriege gibt, haben Männer und Frauen ihre Kampfqualitäten mit Drogen gepusht. Kamienski sagt, dass die Mumbai-Terroristen—deren Kampfgeist durch eine stetige Zufuhr von psychoaktiven Substanzen gesteigert wurde—einer langen Tradition folgen würden: von Wikingern, die auf Pilzen gekämpft haben, über Inka-Krieger, die sich mit Kokablättern bei Laune hielten, und morphinabhängigen Soldaten im US-Bürgerkrieg bis hin zur speedaffinen Wehrmacht.
In den 80ern hat der Militärhistoriker John Keegan auf die Frage „Warum kämpfen Soldaten?” drei Antworten formuliert: „Überzeugung, Zwang und Narkose”. Auch wenn Keegan später seine Theorie als zu simpel verwarf, argumentiert Kamienski, dass man—neben Überzeugung durch dehumanisierende Ausbildungsmethoden und Zwang durch geopolitische Konstellationen, die Menschen in den Krieg schicken—Keegans Narkose-Begriff auch wörtlich auslegen kann: Um andere töten zu können, müssen sich Menschen in einen anderen Bewusstseinszustand begeben. Drogen können Soldaten Dinge tun lassen, die sie ansonsten niemals machen würden. Sie können sie ihrer Menschlichkeit berauben und sie zu blinden Kampfmaschinen mutieren lassen.
„Anthropologische Erkenntnisse zeigen, dass der Mensch eigentlich nicht für den Krieg gemacht ist”, erklärt mir Kamienski am Telefon. „Es ist gar nicht so leicht, an den Punkt zu kommen, wo wir in der Lage sind, einen anderen Menschen zu töten. Es geht darum, einen Zivilisten in einen Soldaten zu verwandeln, der töten kann, ohne dass es ihn psychologisch allzu sehr belastet.”
Shooting Up beleuchtet das Thema chronologisch, und zwar von der Antike bis heute. Am Anfang des Buches hören wir von griechischen Hopliten, die sich mit Wein pushten; homerischen Heldenfiguren, die ihre Ängste mit Opium wegtranken; und sibirischen Stämmen, die mit Pilzen ihre Kampfeslust weckten. Doch sie alle verblassen neben den berühmtesten Pilz-Kriegern der Geschichte: den Wikingern.
Die bärenpelztragenden Wikinger gehören zu den gefürchtetsten Kriegern aller Zeiten. „Gott schütze uns vor der Wut der Skandinavier”, lauteten die Gebete von all denen, die in ihrer Nähe angesiedelt waren. Zu ihrer Zeit dachte man, dass ihre Wut ein Geschenk der nordischen Gottheit Odin war. Eine Wut, die ihre Kraft verdoppeln würde, ihre Menschlichkeit ausschaltete und sie gegen jede Form von Schmerz immun machte. Wikinger bissen in ihre Schilder, heulten wie Wölfe und zerstörten alles, was ihren Weg kreuzte. Kamienski erklärt in seinem Buch, dass die Wikinger diesen Sinneszustand auch dadurch erreichten, dass sie den Amanita-Pilz zu sich nahmen. Er zitiert den Toxikologen Erich Hesse, der schreibt: „Die berauschte Person glaubt, sich in ein Tier verwandelt zu haben. Die Halluzination wird dadurch verstärkt, dass die Person das Gefühl hat, dass ihr Federn und Haare wachsen.”
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Ich kann nicht sagen, dass Pilze mich jemals auf die Idee gebracht hätten, ein norwegisches Dorf in Schutt und Asche zu legen. Doch wenn man gut dosiert und sie richtig einnimmt, können Pilze die Realität dergestalt verändern, dass sich unnatürliche Dinge (Vergewaltigungen und Plünderungen beispielsweise) plötzlich natürlich anfühlen. Ähnliches lässt sich auch zum Drogencocktail bei den Mumbai-Terroristen sagen. Kokain versorgte sie mit Energie, Steroide schenkte ihnen Kraft und LSD veränderte ihre Wahrnehmung so stark, dass sie wie Berserker kämpfen konnten.
Ein aus Sicht von Kamienski besonders beeindruckendes Beispiel dafür, wie Soldaten zur Leistungssteigerung Drogen genommen haben, stammt aus dem Zweiten Weltkrieg. „Ich war total schockiert herauszufinden, dass sich die Wehrmacht während der Invasion Polens dermaßen mit Methamphetamin vollgepumpt hat”, erzählt er mir. „Das ist etwas, was man in den Geschichtsbüchern nie liest.”
Offiziell hat das Nazi-Regime eine harte Linie gegen den Freizeitkonsum von Drogen gefahren, doch privat haben die NS-Eliten nichts anbrennen lassen. Hitler war fast während des gesamten Krieges auf Medikamenten. Göring und Goebbels hatten beide eine Schwäche für Morphin. Als Göring seine Morphinsucht mit Hilfe von Kokain in den Griff bekommen wollte, wurde er auch davon abhängig.
Auch die deutschen Soldaten wurden mit reichlich Drogen versorgt. Beim Angriff auf Polen 1939 wurde Pervitin—ein Crystal-Meth-Präparat, das Stress bekämpft, Müdigkeit unterdrückt und Euphorie auslöst—zur deutschen „Panzerschokolade”. Als Polen erobert war, bestellte die Wehmacht weitere 35 Millionen Tabletten Pervitin für die Frühjahrsoffensive gegen Frankreich.
Dabei ging es den Verantwortlichen nicht um das Wohl ihrer Soldaten. Die Droge wurde dazu verwendet, um die Kriegsmaschinerie der Nazis in den Turbo zu schalten. „Die Nazis wollten einfach aus ihren Soldaten bessere Kämpfer machen: Sie sollten länger kämpfen können und weniger erschöpft sein, um den Blitzkrieg voranzutreiben”, so Kamienski weiter. Viele deutsche Soldaten wurden abhängig von der Droge. Wenn ihre Bestände an der Front ausgingen, ließen sie sich Nachschub aus Deutschland schicken, wo Pervitin frei zugänglich war. „Heute schreibe ich euch vor allem, um nach mehr Pervitin zu fragen”, schrieb Hein, ein 22-jähriger Soldat, der in Polen stationiert war, an seine Familie in Köln.
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Die Deutschen waren nicht die einzige Kriegspartei, die auf Drogen kämpfte. Alle machten es: Briten, Amerikaner, Japaner und sogar Finnen, die damals die größten Heroinkonsumenten der Welt waren. „Mein Fazit lautet, dass der Zweite Weltkrieg massiv auf Speed und Crystal ausgefochten wurde”, resümiert Kamienski.
Im 20. Jahrhundert wurden Drogen zunehmend sozial geächtet, ebenso stieg die Sorge hinsichtlich möglicher gesellschaftlicher Folgen. So ist auch zu erklären, dass immer mehr Verbote eingeführt wurden. Kamienski nennt Vietnam einen „pharmakologischen Krieg” aufgrund der schieren Menge an Drogen, die von Soldaten konsumiert wurden. Viele Historiker gehen davon aus, dass 10-15% der US-Soldaten von Heroin abhängig waren.
Am Ende ist es schon eine handfeste Überraschung, dass eine umfassende Studie wie die zu Kamienskis Buch Shooting Up nicht schon früher durchgeführt wurde. Andererseits war Drogenkonsum bis vor relativ kurzer Zeit ein gesellschaftlich akzeptiertes Phänomen, weswegen der Einsatz von Drogen in Kriegszeiten nicht wirklich überraschen sollte. Heutzutage gehen westliche Armeen hart gegen Drogenkonsum vor, obwohl viele amerikanische Soldaten nach ihrer Rückkehr aus dem Irak und Afghanistan von der Allgegenwärtigkeit gewisser „Glücklichmacher-Pillen” wie Adderall sowie Energy-Drinks berichten. Außerdem seien verschiedene Eiweißpulver und Nahrungsergänzungsmittel zum Einsatz gekommen. Aber klar: Über solche Substanzen würden die alten Wikinger nur lachen.
Shooting Up von Lukasz Kamienski ist ab jetzt erhältlich.