Ich erinnere mich noch genau, wie ich die Videokassette von Trainspotting – Neue Helden in den klobigen Fernseher mit integriertem Videorekorder schob. Ich war damals ungefähr 13 Jahre alt und ein Film über ein paar schottische Heroinabhängige vielleicht nicht gerade für mein Alter angemessen. Doch Danny Boyles Verfilmung des gleichnamigen Romans von Irvine Welsh sollte mein Leben nachhaltig verändern. Ich sah den Streifen unzählige Male und kann noch heute ganze Dialoge auswendig – in der russischen Synchronisation, das schottische Original noch als Echo im Hintergrund hörbar.
Trainspotting bescherte mir meinen ersten großen Schwarm: Mark Renton (Ewan McGregor), der gutaussehende Junkie in zu engen T-Shirts und ausgewaschenen Skinny-Jeans. Der schlaksige Typ mit den blauen Augen war offensichtlich ein hoffnungsloser Fall, aber er hatte Stil, er hatte Charisma und er faszinierte mich. Ich hatte noch nie jemanden wie ihn getroffen.
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Vor allem Rentons Grinsen hatte es mir angetan. In der ersten Szene des Films rennt Renton durch die Straßen Edinburghs, sein bester Freund Spud (Ewen Bremner) an seiner Seite. Renton stößt mit einem Auto zusammen, stützt sich auf der Motorhaube ab und bricht in manisches Gelächter aus, das deutlich macht, wie scheißegal ihm alles ist. Mein jugendliches Herz schlug im Einklang mit dem Beat von Iggy Pops “Lust for Life”, der das berühmte “Sag Ja zum Leben“-Intro des Films unterlegt: “Sag Ja zum Leben … Sag Ja zum Job … Sag Ja zur Karriere … Sag Ja zur Familie.”
Trainspotting beschreibt das Leben einer handvoll desillusionierter, drogenabhängiger Jugendlicher inmitten einer sozio-ökonomischen Krise. Die Geschichte ist düster, aber sehr nachvollziehbar für ein russisches Mädchen wie mich, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Sankt Petersburg aufwuchs. Ich war schüchtern und verbrachte die meiste Zeit in der Wohnung. Die Welt, die ich in Trainspotting sah, kam mir bekannt vor. Wenn du in den 90er Jahren in Russland lebtest, wirkten die heruntergekommenen schottischen Gassen nicht besonders hässlich: Die meisten meiner Freundinnen und Freunde lebten irgendwann in sozialen Wohnprojekten und wurden Zeuge davon, wie sich Gewalt und Drogenmissbrauch in der post-sowjetischen Krise zum Alltag wurden. Im Vergleich dazu hatte ich eine behütete Kindheit, doch die Dunkelheit lauerte hinter jeder Ecke. Deswegen fühlte ich mich auch so zu Filmen hingezogen, die diese Düsterheit transportierten.
Meine Lieblingsszene von Trainspotting ist das erste Zusammentreffen von Renton und Diane (Kelly Macdonald) im Volcano Club. Im Hintergrund läuft “Atomic” von Blondie, Diane trägt ein glitzerndes rosafarbenes Kleid, Renton ein verwaschenes gelbes T-Shirt, das ein bisschen zu kurz und ein bisschen zu eng ist. Auf Rentons plumpen Anmachversuche reagiert Diane mit einem denkwürdigen Monolog. “Sag mal, klappt die Tour eigentlich auch sonst?”, fragt sie. “Oder lass mich mal raten: Du hast’s noch nie gemacht, denn eigentlich bist du gar nicht der Typ, Mädchen anzubaggern, stimmt’s? In Wahrheit bist du son ruhiger, empfindlicher Typ, und wenn ich bereit bin, wirklich auf dich einzugehen, könnt’ ich unter Umständen dein wahres Ich kennenlernen: witzig, abenteuerlustig, leidenschaftlich, zärtlich, ein bißchen crazy, ein bisschen böse. Wow! Wir Girlies finden sowas einfach staaaark, ja?”
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Ich schaute mir die Szene unzählige Male an und fragte mich, ob ich jemals ein romantisches Erlebnis haben würde, das an das erste Treffen von Renton und Diane herankommt. Leider war das nie der Fall: Meine Romanzen waren weit weniger aufregend. Als junge Frau kämpfte ich gegen den Druck, dem weiblichen Stereotyp entsprechen zu müssen. Die meisten russischen Frauen investieren sehr viel Arbeit in ihr Aussehen und geben sich extrem feminin. Viele tragen auch zur Arbeit hohe Absätze und volles Abend-Makeup. Diese extremen Schöheitsideale fand ich befremdlich. Mit meinem Undercut und alternativem Stil passte ich einfach nicht zu den Erwartungen, die an eine typische russische Frau gestellt werden. Darum fühlte ich mich sexuell oft unsichtbar.
Da ich weit und breit keinen Typen wie den jungen Ewan McGregor finden konnte, ließen meine Freundinnen und ich uns selbst von den Männern in Trainspotting inspirieren. Wir trugen Doc Martens, waren laut und versoffen das Wochenende in Bars. Wir rauchten Zigaretten und flirteten mit Typen in verwaschenen T-Shirts und Skinny-Jeans, die Renton zumindest ein bisschen ähnlich sahen. Wir konnten uns mit den männlichen Charakteren im Film identifizieren, weil es in Trainspotting auch um die toxischen Erwartungen geht, die die Gesellschaft an Männer stellt. Der Film gibt Einblicke in die schottische Arbeiterklasse, in der Geschlechterrollen so festgefahren sind, dass sich Männer nur in Fußball-Allegorien mit ihren besten Freunden austauschen können. Ich wusste, wie lähmend und erdrückend sich das anfühlte und meine Freundinnen wussten es auch.
Eine meiner Freundinnen identifizierte sich so sehr mit Begbie – die anarchistische, extrem gewalttätige Figur, die von Robert Carlyle gespielt wird –, dass sie einmal erwischt wurde, wie sie ein Messer in den Club schmuggeln wollte. Unsere Logik damals: Wenn wir uns wie die Männer in Trainspotting verhielten, könnten wir vielleicht auch etwas von dem Erwartungsdruck loswerden, perfekte russische Frauen sein zu müssen.
Schwärmereien sind oft flüchtig, wenn du jung bist, aber meine Obsession mit Renton hat mich für immer verändert. Sie lehrte mich, dass Liebe und Anziehungskraft nicht immer eindeutig sein müssen und dass es immer Raum für tiefsinnige nächtliche Gespräche vor dem Club gibt. Auch an meiner Schwäche für den schottischen Akzent ist Renton schuld. Das Wichtigste war aber: Durch Renton lernte ich, dass du dir immer deine eigene Rolle schaffen kannst, abseits der Stereotype, die dir jemand aufzwingen will.