Minus 21 Prozent. Das vorläufige Ergebnis der Wiener Gemeinderatswahlen muss sich für die FPÖ mindestens so eisig anfühlen wie ein Temperaturabfall von 21 Grad im Herbst, morgens um sechs Uhr, wenn das Auto nicht anspringt. Richtig ungemütlich, auch wenn das endgültige Wahlergebnis aufgrund der hohen Beteiligung per Briefwahl wohl erst am 13. Oktober feststehen wird.
Die FPÖ schafft bei den Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen am 11. Oktober 2020 nur noch 8,9 Prozent. Damit sind rund drei Viertel der Wählerinnen weg. Winter is here würden stabile Game of Thrones-Fans sagen, die es bis zum Ende der sechsten Staffel geschafft haben. Nun, die Zeiten der FPÖ scheinen genauso vorbei zu sein wie die Zeiten von GoT-Memes.
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Nach der Staatskrise, die als Ibiza-Affäre in die Geschichte einging, und der Spesenaffäre rund um Heinz-Christian Strache ist das einstellige Wahlergebnis für die FPÖ keine große Überraschung. Die FPÖ rutscht von Platz zwei auf Platz fünf. In einem Bezirk erhält selbst die Kleinpartei LINKS Wien mehr Stimmen als die FPÖ.
Der aktuelle FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp sagt, es gebe nach Ibiza zu Recht einen Vertrauensverlust der Wählerinnen und Wähler. Oder zieht die extrem menschenfeindliche Wahlmasche, mit der die FPÖ seit Jahrzehnten fährt, einfach nicht mehr so ganz?
Auf Nepps Burschenschafter-Schultern lastet in jedem Fall ein politischer Absturz von mehr als 20 Prozentpunkten – das schlechteste Wahlergebnis seit 1983. Vor fünf Jahren erhielt die FPÖ mehr als ein Drittel der 100 Mandate und damit den Posten als Vize-Bürgermeister Wiens – auch den verliert Nepp.
Und wie steht es eigentlich um Heinz-Christian Strache, das einstige Gesicht der FPÖ?
Vielleicht wird ihn Österreichs Politlandschaft jetzt endlich los. Mit seiner Partei “Team HC Strache” schafft er bei dieser Wahl laut ersten Hochrechnungen zumindest nicht den Einzug in den Gemeinderat. Seine rot-weiß-roten Retter des Abendlandes blieben ihm bei dieser Wahl nicht treu. Bis zuletzt hoffte Strache darauf, die fünf Prozent knacken zu können. Hoffnung oder Hochmut? Letzteres kommt vor dem Fall – bei Strache waren es gleich mehrere politische Abstürze, die mit einer Neonazi-Vergangenheit anfingen und mit strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn weitergehen.
Im Übrigen: Selbst wenn man die Prozent der FPÖ und der Liste HC Strache zusammenzählt, kommen sie nicht auf das Ergebnis der letzten Wienwahlen im Oktober 2015.
Die FPÖ stürzt nicht nur massiv ab, sie drückt auch die Wahlbeteiligung massiv: 101.000 ehemalige FPÖ-Wähler gingen dieses Mal nicht wählen, schätzt das Forschungsinstitut Sora für den ORF.
Außerdem verliert die FPÖ laut Sora 43.000 Stimmen an die ÖVP. Die verdoppelte sich in Wien laut aktuellen Ergebnissen auf 18,5 Prozent.
Der ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel fuhr im Wahlkampf keine ganz so radikale Schiene wie Dominik Nepp von der FPÖ. Nepp schwadroniert, ganz in blauer Maniere, von “unserem Daham” auf seinen Wahlplakaten. Aber auch Blümel liefert Wahlslogans wie “Integration für Wien” – mit einem Porträt von ihm, das ein bisschen an ein Foto aus dem Fitnessstudio erinnert, auf dem er seinen Bizeps flext. Klar ist: Blümel wollte Stimmen aus dem rechten Lager und die hat er auch bekommen.
Die ÖVP profitiert von den Verlusten der FPÖ – Gernot Blümel könnte die weichgespülte, gutbürgerliche Version von Nepp sein. Mit Bundeskanzler Sebastian Kurz an seiner Seite hievt er die ÖVP aus dem Tief von 9,2 Prozent bei den letzten Wienwahlen. Österreichs politische rechte Tendenz zeigt sich also auch durch das Erstarken der ÖVP in Wien.
Die große Siegerin des Abends ist die SPÖ mit 43 Prozent laut aktuellen Einschätzungen. Ein Blick auf die Sprengelergebnisse zeigt: Wien ist rot gefärbt. Mal schimmert es türkis oder grün, aber das Bild ist recht eindeutig. Eindeutig ist auch, dass nur ein einziger Wahlsprengel in Wien mehrheitlich die FPÖ gewählt hat. Der Sprengel 44 in Ottakring wählt blau. Der Sprengel 44 besteht aus einer Polizeisiedlung.
Sonst ist die FPÖ in Wien erstmal unten durch. Keine Rede mehr von einem politischen Duell zwischen SPÖ und FPÖ wie bei den letzten Wahlen. Das zerschmetternde Ergebnis für die FPÖ und ihre einstigen Nummer Eins in Wien zeigt: Rechtspopulismus und Rechtsextreme an der Spitze ziehen eben nicht immer.