Sei es der Wohnungsmangel oder einfach mal kein Sitzplatz in der S-Bahn, für die Rechten des Landes findet sich immer ein Grund, warum die Ausländer Schuld haben an ihrer eigenen Misere. Dass die SVP mit ihren Plakatkampagnen nicht nur wiederholt die Grenze des guten Geschmacks und Anstands übertritt, sondern auch das Gesetz bricht (ich erinnere an die Verurteilung wegen Rassendiskriminierung wegen dem Inserat „Kosovaren schlitzen Schweizer auf”), ist nicht mehr verwunderlich. Direkt am Hauptbahnhof in Zürich machen beispielsweise fremdenfeindliche Schäfchenplakate den Ankommenden klar, welcher Wind in der Schweiz weht, bevor der Zug überhaupt erst still steht. Hierzulande schaut wegen solchen Plakaten niemand mehr gross auf. Man hat sich daran gewöhnt.
Was aber neu ist: Die Schweizer Linke hat von der SVP gelernt. Sie hält dem Bild vom klauenden und sozialschmarotzenden Ausländer nun entgegen. Bei der Debatte um die Durchsetzungs-Initiative emotionalisieren beide Seiten mit ihrer Interpretation von den Ausländern in der Schweiz. Dem Bild vom ausländischen Verbrecher, den das Gesetz auch noch schützt, setzt die Linke nun Porträts von ausgewählten, gut integrierten und fleissigen Zugezogenen entgegen, die mit der Annahme der Initiative wegen zwei illegalen Lappalien des Landes verwiesen werden würden.
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Diese persönlich-emotionalen „was wäre wenn”-Geschichten sollen ein Bild von einem nützlichen statt kriminellen Zuwanderer vermitteln. Damit haben sie auch Recht, die Schweiz braucht ihre zwei Millionen Ausländer, um funktionieren zu können, schliesslich hat man beinahe Vollbeschäftigung erreicht. Beim Stimmenkampf um die Durchsetzungs-Initiative geht es aber nicht mehr um Argumente und die Sache selbst, es geht vielmehr darum, wer die Deutungshoheit über den „Ausländer” erkämpft.
Als Ausländer in der Schweiz wirkt das auf mich befremdlich. In den drei Jahren, in denen ich hier lebe, kam gefühlt keine politische Nachrichtensendung ohne das Wort „Ausländer” aus. In bohrender Regelmässigkeit macht mir die Schweizer Gesellschaft klar, dass ich zwar mitmachen darf, aber nicht ganz dazugehöre. Wenn Linke mich und andere Ausländer für ihre Zwecke auf unsere persönlichen Attribute herunterbrechen, bewegen sie sich ebenfalls auf der Konfliktlinie zwischen In- und Ausländern, die von den Rechten gezogen wurde. Hilflos hinkt die Linke im von rechts geprägten Diskurs um Ausländer hinterher. Dadurch zementiert sie—trotz guter Absichten—die Trennlinie zwischen Schweizern und Ausländer, ganz im Sinne der Rechten.
Mit der aktuellen Kampagne zur Lohndumping-Initiative erreicht die Instrumentalisierung von Ausländern durch die Linke einen neuen Höhepunkt. Der Vorstoss will den Behörden im Kanton Zürich neue Möglichkeiten geben, um Lohndumping auf Baustellen effektiv zu bekämpfen. Plakate vom Arbeitgeber-Komitee gegen Lohndumping, das gemeinsam mit der UNIA die Federführung der Initiative inne hat, mit den Slogans „Polnische Löhne gehören nach Warschau”, „Rumänische Löhne gehören nach Bukarest” und „Bulgarische Löhne gehören nach Sofia” sagen uns klar: Wir wollen in Zürich auch Zürcher Löhne.
Auf mich als Pole wirken diese Slogans sehr herablassend. Sie suggerieren—wohl aus Ignoranz oder Unwissenheit—, dass die genannten Länder rückständig seien, denn die ausländischen Löhne stehen für etwas Ungewolltes und Negatives. Durch die Verortung der tiefen Löhne in den entsprechenden Ländern werden diese durch Assoziation ebenfalls negativ konnotiert. Der gute Zweck bedient sich, ganz auf SVP-Niveau, an fremdenfeindlichen Ressentiments.
Mich verwundert nicht, dass sich nach kurzer Zeit die Botschaften der drei betroffenen Länder bei den Initianten meldeten und intervenierten: „Mit Ton und Wortwahl dieser Slogans nehme das Komitee billigend in Kauf, dass Animositäten und fremdenfeindliche Klischees verursacht werden, die auch völlig unbeteiligte Menschen betroffen machen und stigmatisieren.”
Die Gewerkschaft UNIA, die die Plakate zwar nicht selbst verwendet, sieht in den Slogans aber kein Problem, berichtete der Tages-Anzeiger. Sie seien nichts anderes als eine Beschreibung der Realität, meldete die Gewerkschaft. Auch das Arbeitgeberkomitee sieht ihre Plakataktion gelassen: „Die Slogans würden sich doch nicht gegen Menschen richten, sondern einzig auf die erheblichen Lohndifferenzen hinweisen.”
Dass sich eine Gewerkschaft selbst nach der Beschwerde von Vertretern der betroffenen Bevölkerungsgruppen ihrer überheblichen Haltung nicht bewusst wird und diese auch noch verteidigt, spricht nicht gerade für tief verwurzelte internationale Solidarität in der Schweizer Linken.
Die Instrumentalisierung von Ausländern ist im Herzen des politischen Diskurses in der Schweiz angekommen und wird von links und rechts fleissig bespielt. Die Omnipräsenz von Ausländerdiskussionen und das jahrelange penetrante Aufstacheln der Fronten durch rechte Parteien haben einen grossen Keil in die Gesellschaft gestossen. Anstatt mit uns Ausländern zu reden, wird über uns diskutiert. Der Schweiz fehlt mittlerweile bis in linke Kreise das Feingefühl für einen ehrlichen und aufrichtigen Umgang mit ihren Ausländern. Mit einem Viertel der hier arbeitenden und lebenden Menschen.
Kamil auf Twitter: @kamilbiedermann