Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.
Von weitem schon erkennt man den gelben Bauwagen auf dem Kiesplatz der Brache Guggach, gegenüber vom Radiostudio in Zürich. Es ist verdammt kalt, knapp zwei Grad über Null. “Normalerweise regnet es immer, wenn wir hier sind. Ich bin gespannt, wie lang es hält”, sagt Sergio mit kritischen Blick zum grauen Himmel. Mit “wir” meint er die Brewdaz, sieben junge Männer, die sich zu einem Micro-Brew-Verein zusammengeschlossen haben. Begonnen hat alles vor ein paar Jahren mit einem India Pale Ale (IPA), dessen Rezeptur Kim, einer der Brewdaz, bei einem Stage in einer peruanischen Brauerei gelernt hat. Seine Faszination für das Bierbrauen hat auch die anderen Brewdaz angesteckt, seit Oktober 2015 brauen die Freunde gemeinsam im kleinen Rahmen. Und im Freien.
Videos by VICE
Um neun Uhr morgens haben sich dieses mal vier der sieben Jungbrauer – Manoj, Julian, Kim und Sergio – vor ihrem Bauwagen getroffen; am Abend zuvor wurde es allerdings doch länger als geplant. “Kim kam auch schon mal direkt von einer Party zum Brauen”, erzählt Sergio. Das frühe Aufstehen nach durchzechten Nächten nervt alle, die Kälte kriecht langsam in den Körper; und trotzdem ziehen sie jetzt an einem Strang, sind motiviert und fröhlich. Es wird gelacht und geschäkert, während Julian Maisflocken – quasi die Vorstufe zu Cornflakes – in kochendes Wasser schmeisst . Einmaischen nennt man das, erklärt Kim. Julian und Manoj tratschen derweil über gemeinsame Skiferien, die nächste Woche anstehen. Die Jungs sind seit Jahren befreundet; sie verbringen viel Zeit miteinander, kennen die Eltern und Freundinnen der anderen.
Wären sie keine Freunde, würden sie wohl auch nicht jedes zweite Wochenende unbezahlt zusammen schuften. “Momentan verdient noch keiner von uns Geld damit. Da muss man schon zusehen, dass der Spass an der Sache bleibt”, so Sergio. Zumindest für einen von ihnen wird sich das bald ändern: Julian, der eigentlich Geografie studiert hat, wird Braumeister in Vollzeit; der Verein wird zur Firma. Mittels Crowdfunding konnten sie über 46.000 Franken sammeln, um sich den Traum einer eigenen Brauerei zu finanzieren. Im Frühsommer sei der definitive Umzug geplant, momentan plage man sich noch mit der Feuerpolizei rum, so Kim: “Wenigstens macht mich das jetzt zum Brandschutzexperten der Gruppe.”
Ein Talent bringt jeder der Gruppe mit. Neben Kims Wissen zum Thema Feuerschutz punktet er auch noch mit einem Studium der Lebensmittelwissenschaften. Julian arbeitet nebenbei bereits im Craft Beer Bereich, Sergio gehört zum Team Research (vermutlich bedeutet das, dass er besonders gut Bier trinken kann) und Manoj kann Dinge reparieren; heute zum Beispiel die Pumpe, die sie später für den Kühlprozess brauchen. “Irgendwas geht immer kaputt”, raunt er, bringt das sperrige Ding dann aber doch zum Laufen. Highfive, die Brewdaz können weiter brauen, an diesem Tag setzen sie ein leichtes APA (American Pale Ale) an mit dem klingenden Namen “Michélle La Belle”. Fruchtig schmeckt es, mit zarter Zitronennote im Abgang. Die Bitterkeit, durch die sich solche Biere manchmal auszeichnen, sucht man hier vergeblich.
Während es 2015, am Peak des Craft Beer Trends, vielleicht noch aussergewöhnlicher war, im kleinen Rahmen Pale Ales zu brauen, findet man sich heute auf dem Markt kaum noch zurecht vor lauter Angeboten. 833 Brauereien standen 2017 im “Verzeichnis der steuerpflichtigen Inlandbrauereien” der Schweiz. Viel Bier für so ein kleines Land. Dass mittlerweile auch kommerziell ausgerichtete Schweizer Brauereien ihre eigenen Pale Ales im Sortiment haben und Getränkelieferanten wie beispielsweise Intercomestible in Zürich über 200 verschiedene internationale Sorten dieses Bieres an Bars und Restaurants liefern, stört die Jungs nicht. “Für viele ist das IPA quasi die Einstiegsdroge in die Craft Beer Welt”, erklärt Manoj.
Mittlerweile hat sich das Sortiment der Brewdaz erweitert. Vom Russian Imperial Stout “Boris” bis zum Altbier “Ätti” reicht die Bandbreite, dazwischen findet sich aber doch immer noch ein IPA. Krass viel Geld scheffeln wollen sie mit dem Schritt in die Selbstständigkeit aber sowieso nicht: “Wirtschaftlich macht es eigentlich keinen Sinn mit zehn verschiedenen Bieren anzutanzen. Wenn’s ums Geld geht, braust du lieber was Simples, das einfach speziell aussieht. Das ist aber nicht unser Ziel”, erklärt Manoj. Sie wollen mit ihren verschiedenen Rezepturen wie “Hippiekuss”, ein Sour Ale mit Hibiskus, dazu beitragen, dass die heimische Bierszene interessanter wird. Dass sie das schon ist – die Brewdaz sind in Zürich längst nicht die einzige Micro Brewery – ist ihnen offensichtlich scheissegal. Davon abgesehen: “Nur weil um IPA immer noch ein Hype generiert wird, heisst das noch lange nicht, dass es immer gut schmeckt”, so Manoj.
Das Brewdaz-Bier schmeckt aber auch Menschen, die sonst nicht mal herkömmlichem Lagerbier was abgewinnen können; die Autorin ist der lebende Beweis dafür. Sergio erklärt, dass sie gerne neue Rezepturen ausprobieren, sei es mit Bakterien für neue Geschmacksnoten oder Zusätzen wie zum Beispiel Maracuja-Püree: “Du weisst nie, wie es rauskommt, bis du die Flasche aufmachst und den ersten Schluck nimmst.” Für das Wood Food Projekt von Valefritz, dem “Pop-up König von Zürich”, haben sie “Hippiekuss” auch mal mit Arvenholz verfeinert (in Deutschland und Österreich kennt man diesen Baum als Zirbe). Ein Ciderversuch mit Äpfeln aus Kims Garten ging allerdings auch schon schief: “Er war viel zu sauer und hat nach Pferdehaaren gestunken”, erinnert er sich lachend. Ein Jahr später haben die Brewdaz jedoch erfahren, dass das für manchen Bierfan genau das reizvolle darstellen würde. Ein zweiter Versuch ist in Planung.
Für die Mittagspause hat Kim Käse und Salami mitgebracht, auf dem selbstgezimmerten Tisch steht noch Julians Joghurtdrink vom Frühstück. Manoj schlägt vor, mal was davon ins Bier zu schmeissen. Alle lachen, aber genau so entstünden meist tatsächlich erste Ideen für neue Kreationen, erzählt Sergio.
Nach einem Tag Brauen mit den Jungs ist eines bereits klar: Es ist eigentlich scheissegal, ob die hier nun das Millionste Pale Ale der Welt anrühren oder kurz davor sind, den nächsten globalen Craft Beer Trend loszutreten. Natürlich geht es den Jungs auch ums Bier, vor allem aber steht hier ihre Freundschaft im Fokus, wenn sie in mühseliger Kleinarbeit – mit Pflastern an den Fingern und Kälte in den Knochen – ganz viel Liebe in jede einzelne Flasche packen.