Für meine Fotostrecke bin ich mit meinem Mercedes Benz 190 E 2.6, Baujahr 1984, durch Europa gefahren und habe sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge vor dem Auto fotografiert. Ich fuhr nach Calais und Mailand, wo ich Leuten aus dem Sudan, dem Senegal, der Elfenbeinküste und Ghana—die üblicherweise als Wirtschaftsflüchtlinge gelten—mein Projekt erklärt und sie gefragt habe, ob ich sie dafür fotografieren darf. Ich suche mir die Leute dabei aus, wie wenn ich in eine Bar gehe und denke, mit dem da drüben würde ich gerne ein Bier trinken, der scheint interessant zu sein. Und genau so lerne ich sie auch kennen. Das ganze Projekt mag im ersten Moment etwas seltsam erscheinen, hat aber einen tiefergehenden Kern.
Wir reden ständig über die Tausenden von Menschen, die bereits nach Europa gekommen sind oder das noch tun wollen. Wir ordnen sie ein als Kriegsflüchtlinge, die die meisten irgendwie OK finden, oder als Wirtschaftsflüchtlinge, die um einiges umstrittener sind. Dabei geht oft vergessen, wer wirklich hinter diesen beiden Begriffen steckt. Schaut man sich diese Menschen nämlich ganz unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht oder der politischen Ebene ihrer Biografie an, sind sie in erster Linie eines: verdammt mutige, junge Menschen. Wem von deinen Freunden und Bekannten würdest du zutrauen, eine monate- oder jahrelange Reise auf sich zu nehmen, von der er ahnt, dass er Gewalt oder gar dem Tod begegnen wird?
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Wenn wir diese Menschen unter diesem Aspekt anschauen, haben sie in unserer Gesellschaft eigentlich grossen Respekt verdient. Mutig wollen wir schliesslich alle sein. Dazu kommt, dass viele von ihnen—losgelöst von jeglicher politischer Dimension—einfach ausschauen wie Typen aus amerikanisierter Werbung.
Mit der Fotostrecke möchte ich einerseits den Wirtschaftsflüchtlingen eine Identität geben und andererseits unsere Wahrnehmung von ihnen hinterfragen. Wie mir Roe Ethridge einmal in seinem Studio in Brooklyn gesagt hat: “Bei allen Arbeiten ist am eindrucksvollsten das Gefühl der Vertrautheit, das sie wecken. Sie sind etwas, das man zuvor schon gesehen hat, vielleicht auf einer Werbetafel, in einem Kleiderkatalog, den News oder im eigenen Familienarchiv. Es sind vage, unklare Erinnerungen. In ihren Ebenen sprechen sie eine kommerzielle Bildsprache und kreieren subtile, beunruhigende Fantasien, die immer in Reichweite sind.”
Dass ich meinen Mercedes als Kulisse gewählt habe, liegt zum einen daran, dass ich die Männer in einem einfachen Set-up zeigen möchte und zum anderen daran, dass die besten Fotos meiner Ansicht nach immer im engeren Umfeld des Fotografen entstehen—und das ist auf meiner Fahrt durch Europa nunmal mein Mercedes Benz 190 E 2.6, Baujahr 1984.