130 Franken. Mich traf fast der Schlag, als der Preis für meinen letzten Coiffeurbesuch auf dem Display des Kreditkartenlesers aufleuchtete. Ich hatte sechs Zentimeter Haare gelassen. Mehr nicht. Es war mein erster Coiffeurbesuch nach dem Studium, ein grosszügiger Studentenrabatt hatte mich die letzten Jahre vor der Erkenntnis bewahrt, dass Frauen scheinbar verdammt viel zahlen müssen, wenn sie sich die Haare schneiden lassen.
Die 130 Franken liessen mich nicht mehr los. Mein Freund ging in den gleichen Laden. Er hatte das letzte Mal weniger Haare gelassen und war mit zehn Minuten etwas früher fertig geworden als ich, bezahlte mit 65 Franken aber halb so viel wie ich. Der Mehraufwand alleine konnte diese Preisdifferenz nicht rechtfertigen.
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Seit vor ein paar Jahren mehrere Untersuchungen auf die Pink Tax – ein Phantasie-Preisaufschlag für Frauen – bei Alltagsprodukten aufmerksam machten, wissen wir, dass es sich als Frau finanziell tendenziell lohnt, pinke Verpackungen im Kaufregal liegen zu lassen und lieber Rasierklingen, Gesichtscreme und Duschgel zu kaufen, die für Männer gedacht sind. Sollten wir uns auch weigern, zu Coiffeuren zu gehen, die keine Unisex-Preise anbieten?
Um das herauszufinden, beschliesse ich, die Preise für Damen- und Herrenschnitte der fünf grössten Schweizer Coiffeur-Ketten und fünf kleinerer Salons aus der Schweiz zu vergleichen. Ausserdem will ich mit Salonbetreibern und Wirtschaftsexperten sprechen. Vielleicht haben sie eine Erklärung für die geschlechtsspezifischen Preisunterschiede, die nichts mit Diskriminierung zu tun hat.
Bei meinem Vergleich konzentriere ich mich auf den Preis für Waschen, Schneiden, Föhnen für Kurzhaarschnitte. Das Resultat ist eindeutig: Ausser bei einem Salon zahlt man als Frau überall drauf. Bei Cut and Color zahlen Männer und Frauen zwar den gleichen Preis für Waschen und Schneiden, aber beim Föhnen zahlen Frauen 10 Franken extra. Beim Rest der Coiffeursalons gibt es erhebliche Ungleichheiten, zwischen dem was Männern und Frauen für die gleiche Leistung verrechnet wird. Im Durchschnitt zahlen Frauen rund 40 Prozent mehr. Bei zwei Salons sind es 71 Prozent.
Die Betriebswirtschaft kennt ein Wort für diese ungleichen Preise: Preisdifferenzierung, beziehungsweise Preisdiskriminierung. Es geht darum, mehr Gewinn zu machen, indem versucht wird, von verschiedenen Kundengruppen – Männern und Frauen oder auch Studierenden und Rentnern – jeweils den höchstmöglichen Preis zu verlangen, den die jeweilige Gruppe für ein Produkt oder eine Dienstleistung zahlen würde.
Johanna Gollnhofer, Marketingexpertin der Universität St. Gallen, ist die Pink Tax in der Coiffeurbranche bekannt: “Aus einer Gender-Perspektive erscheint es mir sinnvoller, die Preisgestaltung auf Basis des tatsächlichen Aufwands anzusetzen und nicht auf Basis des Geschlechts”, sagt sie auf Anfrage von VICE.
Der Aufpreis für Frauenhaarschnitte ist laut Gollnhofer teilweise historisch bedingt: “Früher waren Männer- und Frauen-Salons räumlich getrennt. Die Preise wurden jedoch nicht zu 100 Prozent angepasst, als die Salons zusammengelegt wurden.” Das sei aus Marketingsicht schwierig: “Die Konsumenten haben einen Preisanker im Kopf. Oder in anderen Worten: Wie wollen Sie einem Mann erklären, dass er plötzlich x Prozent mehr für seine gewohnte Leistung zahlen soll?”
Warum aber scheinen Frauen nicht zu hinterfragen, dass sie beim Coiffeur so viel zahlen? Laut Christa Binswanger, Fachleiterin Gender und Diversity der Universität St. Gallen hängt das mit der Kommerzialisierung weiblicher Schönheit zusammen: “Seit den 1920er Jahren haben Frauen die Aufgabe, sich für Männer attraktiv zu machen. Zum Coiffeur zu gehen war und ist für Frauen eine Investition in den eigenen Marktwert.”
Für Männer dagegen sei ein Haarschnitt eher eine pragmatische Handlung. “Um ihren Marktwert zu steigern, mussten Männer einfach über eine hohe Kaufkraft verfügen”, sagt Binswanger. Heute würden zwar auch die Männer mehr und mehr zum Schönsein aufgefordert, aber nach wie vor weniger oft als Frauen.
Angesprochen auf die Pink Tax geben sich viele Salonbesitzer bedeckt und wollen nicht mit mir über ihr Preiskonzept sprechen oder den Namen ihres Salons hier lesen. Das ist nicht unverständlich, die Schweiz verfügt über eine der höchsten Coiffeursalondichten der Welt. Der Preisdruck ist daher enorm. und zuzugeben, dass Kundinnen einfach mal grundsätzlich mehr zahlen, macht sich nicht gut.
Bei Mad Hairstyling, wo ich mir die Haare schneiden liess, heisst es vom Inhaber, dass die Unterschiede rein mit dem höheren Aufwand für Frauenhaarschnitte zusammenhängen und keine Preisdifferenzierung aufgrund des Geschlechts stattfände: “Wir verstehen, dass die allgemein gängige Praxis der preislichen Trennung von Damen- und Herrenschnitten für Verwirrung sorgen kann. Die Leistungen für Beratung, Waschen, Schneiden und Föhnen bei Frauen und Männern setzen sich bei uns aber unterschiedlich zusammen und daraus ergeben sich diese Preisunterschiede”, schreibt mir Inhaber Marc Menden.
So würden bei Neukundinnen 60 Minuten einkalkuliert und bei Neukunden 40. Diese Unterscheidung resultiere vor allem aus den kulturell oder modisch bedingten Haarlängenunterschieden bei Männern und Frauen.
Auch Marktführer Gidor schreibt in einer Mail, dass die Preisunterschiede zustande kämen, weil Frauenhaar und Männerhaar anders behandelt werden müsse: “Wir bieten Männern und Frauen ähnliche, aber nicht dieselben Serviceleistungen an. Der technische Aufwand ist beim Frauenhaarschnitt deutlich höher als beim Herrenhaarschnitt und wird dementsprechend verrechnet. Um genau zu sein kommt beim Herrenschnitt unter anderem die Maschine zum Einsatz, während beim Frauenschnitt mit der Schere geschnitten wird. Des Weiteren wird beim Föhnen des Damenschnittes die Bürste benutzt, während dies beim Mann nicht der Fall ist.”
Die Argumentationen der Salonbesitzer gehen immer in die Richtung, dass Frauen generell lange Haare haben, überempfindlich sind und eine längere Beratungszeit und mehr Produkte bräuchten. Für mich sind das seltsame Begründungen in Zeiten, in denen Buzzcuts und Man Buns Mainstream sind und die Gesellschaft die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern zu akzeptieren beginnt.
Mal angenommen, es würde tatsächlich nur rein nach Aufwand abgerechnet – was angesichts von Preisunterschieden von bis zu 71 Prozent unwahrscheinlich erscheint – warum wird dann auf Preislisten immer noch nach Männern und Frauen unterteilt und nicht nach detailliertem Service?
Dass Unisex-Konzepte erfolgreich sind, zeigen Coiffeurketten wie Cut and Color. Hier zahlen Frauen und Männer für den Schnitt und Haarewaschen gleich viel, wenn sie sich die Haare selbst föhnen. “Unisex-Preise funktionieren, weil ein Haarschnitt bei Damen und Herren den gleichen Aufwand verursacht. Ein qualitativ guter Schnitt ist in 30 Minuten umsetzbar, egal welche Haarlänge und welches Geschlecht man hat”, sagt mir Geschäftsführer Martin Krupp.
Dass Frauen beim Föhnen bei Cut and Color auch mit kurzen Haaren mehr zahlen als Männer mit langen Haaren begründet er so: “Wir haben einen standardisierten Kostenansatz. Bei den Damen brauchen wir durchschnittlich fürs Föhnen auch bei kurzen Haaren mehr Zeit sowie auch mehr Produkte als bei den Herren .”
Aus der Sicht des Kapitalismus mag die Unterscheidung zwischen Frauenhaaren und Männerhaaren sinnvoll sein. Aus der Sicht der Gleichberechtigung ist sie diskriminierend. Die US-Staaten Kalifornien und New York haben die Problematik schon vor 20 Jahren erkannt: Gender Pricing ist dort im Dienstleistungssektor verboten. Weder ein Coiffeurgeschäft noch eine chemische Reinigung darf einer Kundin für die gleiche Leistung mehr verrechnen als einem Kunden.
Meine Meinung steht nach dieser Recherche fest. Die Unterscheidung von Frauen- und Männerhaarschnitten ist veraltet. Es ist Zeit für Post-Gender-Marketing. Und den Preislisten fehlt es – trotz Deklarationspflicht – an Transparenz. Ich gehe nur noch zu Coiffeuren, bei denen ich auf den ersten Blick sehe, dass ich als Frau nicht drauf zahle.
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