Willkommen zu unserer neuen Kolumne Jäger & Sammler, in der wir euch einfallsreiche—und hungrige—Leute vorstellen, die ihr Essen in der Natur sammeln. Die Fotografin und Journalistin Isabella Rozendaal meldet sich zurück mit der zweiten Ausgabe ihres Projekts, Isabella Hunts, für das sie Jäger verschiedener Kulturen auf der ganzen Welt begleitet.
Bevor die Saison endgültig dem Ende zugeht, begebe ich mich noch ein letztes Mal auf Wildjagd in Deutschland. Ich werde gemeinsam mit Sjoerd Evenhuis Rehe, Wildschweine und andere große Tiere jagen. Sjoerd ist ein junger Mann, der Wild van Wild betreibt, ein Unternehmen, das Wildtiere zu leckeren Würsten, Eintöpfen und anderen Delikatessen verwandelt und damit erstklassige Restaurants in Amsterdam beliefert. Er ist außerdem der erste Jäger, den ich in Amsterdam getroffen habe, der ungefähr in meinem Alter ist. Das Jagen ist in Holland keine besonders beliebte Tätigkeit unter jungen Stadtbewohnern, deshalb ist es eine seltene Freude, jemanden wie ihn kennenzulernen. Und genau wie mir geht es auch ihm ums Essen. Gemeinsam mit 20 weiteren Jägern werden wir in der idyllischen Hügellandschaft und den dunklen Wäldern der Eifel jagen gehen.
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Ich fahre mit meinen Praktikanten Max in das Gebiet und bin ein bisschen nervös, weil er noch jung ist und noch nie jagen war. Ich hatte bisher noch nie einen Studenten dabei—ich bin mir nicht einmal sicher, ob das überhaupt legal ist—, aber er liebt die Natur. Er wird das schon überstehen. Ich habe versucht, ihm so viel wie möglich zu erklären, aber man kann sich nur bis zu einem gewissen Grad auf eine Situation wie diese vorbereiten. Wir fahren die windigen Straßen entlang durch die Dörfer, die wie aus dem Bilderbuch aussehen, und halten bei einer Farm an, vor der niederländische Autos geparkt sind. Ich glaube, wir sind richtig.
Dort treffe ich Jaap, den Jagdführer und die Autoritätsperson. Alle machen, was er sagt.
Es ist hell, das Wetter ist toll und es hat ein bisschen geschneit. Auf den Tannen liegt eine leichte Zuckerschicht und ich habe das Gefühl, durch einen lebensgroßen Kuchen zu laufen. Der Rest der Jagd verläuft aber nicht besonders ereignisreich. Einer der Jäger bringt ein kleines Rehwild mit, aber wenn man die Größe unserer Gruppe betrachtet, kann man das nicht gerade als große Beute bezeichnen. Das scheint aber keinen zu stören, weil alle einfach nur Spaß daran haben, den Tag mit alten Freunden im Wald zu verbringen.
In meinen Augen ist dieses Reh aber wie ein Schatz. Mit geht es schließlich darum, das Tier zu essen, also zögere ich keine Sekunde, als ich die Gelegenheit bekomme, zu lernen, wie man das Reh schlachtet. Einer der Jäger erklärt mir geduldig Schritt für Schritt den Prozess und als das Tier gründlich ausgenommen ist und in den Kühler befördert wird, bin ich unglaublich stolz.
Dann bereiten wir alle gemeinsam das Abendessen zu. Als ich die dicken Wildschweinburger, den leckeren Wildeintopf und zahlreiche Beilagen sehe, leuchten meine Augen. Zwei Typen spielen mit einem niederländischen Ofen herum und versuchen Brot zu backen—gar nicht mal so übel. Nach dem Abendessen verkündet Sjoerd, wir sollen uns für eine letzte Jagd im Dunkeln bereit machen.
Er hat einen Ort ausgesucht, von dem er sich eine vernünftige Erfolgschance verspricht. Wie er da drauf kommt? Jäger verbringen sehr viel Zeit damit, Wildtiere zu beobachten, weil tierisches Verhalten ziemlich vorhersehbar sein kann. Wenn sie gerne an einem bestimmten Platz fressen, stehen die Chancen gut, dass sie dorthin zurückkehren. Manchmal aber auch nicht und wenn sie einen Jäger sehen oder hören oder der Wind in die falsche Richtung weht, ist es vorbei. Wenn man das Glück hat, tatsächlich ein Wild zu erspähen, dann muss es genau das sein, nach dem man sucht: die richtige Art, das richtige Geschlecht und im richtigen Alter. Und wenn alle diese Faktoren zutreffen und man genau das Tier vor sich hat, das man gerne fürs Abendessen hätte und man es auch legal erlegen darf, sollte es idealerweise mit der Breitseite zu einem stehen, damit man schön auf die Lungen und das Herz zielen kann, direkt hinder den Schultern. Das bedeutet, dass man die meisten Tage mit leeren Händen nach Hause geht. So wie ich das mitbekommen habe, wollen es die Jäger auch gar nicht anders. Ein Jäger, der für ein Stück Land zuständig ist, hat so die Gelegenheit, seine Wildtiere zu beobachten und sie besser zu verstehen, was das Erlegen um einiges aufregender macht. Wer nicht gerne ruhig sitzt und sehr, sehr lange ins Nichts starrt, für den ist das Jagen vermutlich nichts.
Sjoerd, Max und ich steigen in seinen schlammigen Truck. Bei einem der Felder angekommen parken wir das Auto und schleichen uns so leise wie möglich hinaus. Sjoerd führt uns zu einem Hochsitz: einer kleinen Hütte auf hohen Pfählen mit Fenstern, die geschlossen sind und einer Holzbank mit ein paar alten Kissen.
Die sehen normalerweise in etwa so aus:
Ich bin ja eine wackere Jägerin, aber Kälte kann ich beim besten Willen nicht ausstehen, also habe ich einen Schlafsack eingepackt, der so unglaublich dick ist, dass er sich mehr wie ein Airbag anfühlt. Ich muss zuerst hineinsteigen, dann Max. Wir wollen keinen Ton von uns geben, also nehmen wir alles aus unseren Taschen: ein Gewehr, Munition, Messer, Getränke, eine Kamera, eine Taschenlampe, Batterien, Ferngläser und Ohropax. Sjoerd öffnet leise ein Fenster und späht durch sein Zielfernrohr. Es könnte eine Weile dauern, bis sich irgendwelche Tiere blicken lassen, weil wir gerade eben noch so laut waren. Trotzdem reicht er mir das Fernglas, damit ich etwas zu tun habe. Der Mond ist zwar nicht einmal voll, aber die Wiese ist mit Schnee bedeckt und ich sehe die Welt in kristallklaren Grautönen.
Wenn man mitten in einem Feld sitzt und dabei zusieht, wie genau gar nichts passiert, wird das ziemlich schnell ziemlich langweilig. Die ersten 20 Minuten sind am schlimmsten. Bei mir läuft das meistens so ab: Ich lasse den Ausblick auf mich wirken und bin von der Schönheit überwältigt. Ich betrachte jedes einzelne Detail meiner Umgebung, aber innerhalb weniger Minuten ist die anfängliche Aufregung verschwunden und das Erlebnis wird zur Qual. Ich weiß, ich sollte ruhig bleiben, also habe ich das Bedürfnis, mich zu bewegen. Ich spüre die harte Bank und jedes einzelne Körperteil, das sich unangenehm anfühlt. Es juckt mich plötzlich an den unangenehmsten Stellen. Und dann fängt meine Nase an zu rinnen. Ich kann nicht aufhören, an alles mögliche zu denken. Langsam werde ich frustriert, weil ich das Erlebnis nicht genießen kann und nicht „im Moment lebe” und mir wird schmerzhaft bewusst, dass ich niemals so viel Spaß daran haben werde, an der frischen Luft zu sein, wie andere. Dann denke ich, dass ich wohl permanente Stimulation brauche und dass mich unser modernes Leben so versaut hat, dass ich ohne mein Smartphone oder was auch immer nicht mehr leben kann. Die Natur ist einfach nichts für mich: das ist etwas für andere, bessere Menschen. Ich tu nur so. Aber nach etwa einer halben Stunde beruhigt sich mein Geist. Ich sitze jetzt nur noch da und denke an nichts. Es ist so langweilig, dass es schon unangenehm ist. Das ist kein Naturerlebnis. Zeit existiert nicht mehr und ich kann nicht mehr sagen, ob eine oder fünf Stunden vergangen sind.
Sjoerd schnappt sein Gewehr und späht durch das Zielfernrohr. Max reicht mir das Fernglas und ich sehe drei Wildschweine, die am Rand des Feldes herumstreunen. Mein unerfahrenes Auge erkennt nur ihre Silhouetten, aber ich spüre, das Sjoerd gleich abdrückt. Ich krame meine Ohropax hervor, während ich versuche, die Tiere nicht aus dem Blick zu verlieren. Der gedämpfte Schuss klingt, als wäre er irgendwo weit entfernt abgefeuert worden, aber ich spüre im ganzen Körper ein Rütteln und sehe durch das Fernglas, wie das Wildschwein zu Boden fällt. Sjoerd atmet erleichtert auf und greift nach seinem Fernglas, um noch einmal sicher zu gehen, dass er auch getroffen hat.