Ein MTV-Unplugged-Konzert spielen zu dürfen, ist für uns, die vor dem Jahr 2000 geboren wurden, immer noch eine große Sache. Der jüngste Ritter, dem mit dem Schwerte der Nostalgie auf die 100-Kilo-Hantelbank-Schultern geschlagen wurde, ist Samy Deluxe. Anfang April diesen Jahres spielte er auf der MS Bleichen im Hamburger Hansehafen sein Unplugged-Konzert.
Am 31. August soll das Konzert nun schon bald veröffentlicht werden. Und wie könnte man dieses Oldschool-Feuerwerk noch hamburgischer anteasen als mit einer guten alten Cypher (selbstverständlich auch auf einem Boot)? Wir wissen es auch nicht. Und ob man nun Hamburg-Rap-Fan ist oder nicht, passender und somit perfekter könnte ein Unplugged-Konzert von Samy Deluxe nicht angekündigt werden.
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Neben dem Zeremonienmeister persönlich geben sich 17 weitere Rapper das Mic in die Hand. Ein bunter Schwarm Fische, der da im Wasser des Hamburger Hafens kreist. Dabei zählen einige wie Damian Davis oder Megaloh zu den erwartbareren Gästen, während andere vermeintlich offensichtliche Picks wie Afrob schmerzlich fehlen und wieder andere wie beispielsweise der Schweizer Poetry Slammer Laurin Buser gänzlich überraschen.
Wie das bei Schwärmen so ist, gibt es auch hier stärkere und schwächere Individuen. Manche, die der Strömung standhalten, ja ihr entgegen sogar ganze Flussbette hinaufspringen und andere, die hilflos hinweggespült werden. Und manchmal hat sich sogar ein flossenloser Aal dazwischen gemogelt. Wir bei Noisey haben Hai von Sprotte getrennt und euch alle Performances von Kaviar bis Fischpulver gerankt.
Noisey-Video: “Einer der wahren Pioniere des HipHop-Designs”
1. Megaloh (Minute 4:20)
Dass Megahlohs Einsatz ausgerechnet bei der 4:20 Marke einsetzt, ist das letzte kleine Detail, das seinen perfekten Part noch perfekter macht. Derart technisch zu flexen und dabei keine Zweckreime oder Atempausen zu benutzen, beweist abermals, dass Megaloh einer der ganz Großen ist, der hoffentlich irgendwann seinen Weg endgültig aus den dunklen Tiefseegewässern hinauf in die Schaumkronen der Gischt schwimmen wird.
2. Morlockk Dilemma (16:52)
Morlockk Dilemma ist nicht nur der Einzige, der auch modisch das ganze Nordische-Seefahrt-Ahoi-Thema ernst genommen hat, sondern bleibt auch raptechisch der Captain Ahab der Gruppe, der stets seine Harpune auf der Zunge trägt.
3. Damian Davis (13:44)
Hat jemals jemand bei irgendetwas mehr Spaß gehabt als Damian Davis aka der Fischmarktschreier bei dieser Cypher? Ich glaube nicht. Eine Delivery, die ansteckend und somit herausragend unter ihresgleichen ist.
4. Sylabill Spill (15:00)
In seinen besten Rap-Momenten schafft es Sylabill Spill, eine dermaßen brachiale Energie in seine Lines zu meißeln, dass man vergisst, wo man sich gerade befindet und welches Jahr es ist. In seinen schlechteren Momenten fühlt es sich ein bisschen so an, als würde man dem Geplärr eines wütenden Obdachlosen mit Presslufthammer in den Fäusten zuhören (was aber auch cool sein kann). Sein Part hier gehört zu seinen guten Momenten. Ganz zu schweigen davon, dass Sylabill einer der sympathischsten Rapper überhaupt ist – egal ob guter oder schlechter Moment.
5. John Known (10:55)
John Known ist irgendwie … anders. Gleiches gilt für seinen Flow. Bisher konnte ich mich noch nicht so recht entscheiden, ob ich dieses “anders” liebe oder nicht, aber in diesem Fall ist es definitiv ein kreativer Silberstreifen am grauen Hamburger Horizont.
6. Roger Reckless (00:59)
Roger Reckless hat zweifelsfrei tadellose Skills und auch Bars. Das haben die vor ihm gerankten Rapper aber auch – in interessanter. Was ihn jedoch auszeichnet, ist seine Energie, die sogar Megaloh ein Lächeln ins Gesicht peitscht. Eine der besten Performances.
7. Samy Deluxe (00:00 und 17:40)
Samy ist ein exzellenter MC – da gibt es nichts zu diskutieren. Bei seiner Cypher ist er aber vielleicht sogar der noch bessere Gastgeber. Natürlich liefert Samy keine Grütze ab und der Verhaspeler bei seinem ersten Part ist sogar eher ein Sympathie- denn Minuspunkt. Ganz im Sinne der Regenbogenfisch-Geschichte hat er hier jedoch einige seiner Glitzerflossen abgegeben, um lieber seine Gäste, statt sich selbst glänzen zu lassen.
8. Willy Will (07:20)
Willy Will ist cool. Und wo er von Rola spricht: Eine Frau an Deck bringt entgegen des Aberglaubens tatsächlich kein Unglück, sondern wäre hier in Form vom coolen Hamburger Girl Eunique zum Beispiel sogar ganz wünschenswert gewesen. Just sayin’.
9. Nico Suave (10:01)
War mir zuerst nicht sicher, ob das wirklich Nico Suave ist, aber wie viele Weiße Typen mit rötlichen Haaren und “Suave” im Namen kann es schon geben? Stabile Skills, inhaltlich OK, Ende leider bisschen verkackt und dieser auf Halbmast hängende Rucksackriemen hat mich 50 Sekunden lang wahnsinnig gemacht. Also ein durchaus fairer Platz 9.
10. Estikay (01:54)
Joah, Estikay halt. Der kann schon was, aber richtig Nervenkitzel und Blockbuster-Entertainment ist anders. Aber ich mag den entspannten Vibe und hab gute Laune, Top Ten ist also drin.
11. Eko Fresh (05:09)
Das ist wirklich nicht böse gemeint, aber fühlt Eko Fresh eigentlich überhaupt noch irgendwas? Ein durchgesessenes Ledersofa hat mehr Gesichtsausdrücke und Ausstrahlung als der Eko da auf dem Schiff. Enttäuschender Part, denn ohne Frage könnte Eko das, wenn er wollte.
12. Motrip (03:33)
Wo wir bei Enttäuschungen angelangt sind: Als gut verdienender Rapper, sprich als Rapper, der nicht noch nebenbei einen anderen, anstrengenden Job hat wie Megaloh zum Beispiel, hätte Motrip ruhig einen neuen 16er schreiben können, statt einen Songtext aus dem Jahr 2015 wiederzuverwerten. Wir sind hier immer noch bei MTV Unplugged, ein bisschen Respekt bitte!
Update: Auch Morlockk Dilemmas Part stammt aus einem Song, aber der ist immerhin frisch aus vom Juni 2018 plus, ist er nun mal einfach besser, plus: das Vollzeitrapper-Argument.
13. Chefket (02:45)
Chefket, selbst ernannter Live-MC, liest als Einziger seinen kompletten Text vom iPhone ab. Ist das eigentlich sein Ernst? Nochmal: Wir sind hier immer noch bei MTV Unplugged und nicht in der Wohnzimmer-Booth dieses einen Kumpels, der als einziger schon von Zuhause ausgezogen ist und bei dem man Bong rauchen und freestylen darf. Gib dir halt ein bisschen Mühe. Kann ja echt nicht wahr sein.
14. Chima Ede (15:58)
Irgendwie sehr egaler Part mit sehr gelangweilter Delivery. Insgesamt mega lahm. Weiß nicht, was ich mehr dazu sagen soll. Kickt einfach nicht.
15. Kwam.E (09:10)
Würde ich jeden Rapper mit einem Meme rezensieren, würdet ihr hier das mit dem Typen und dem Schild sehen, auf dem steht: “Kwan.E ist einer der überhyptesten Rapper derzeit, der hier auch noch einen grauenvollen Flow präsentiert. Change my mind”.
16. Jomo (12:55)
Wer als allererstes behauptet, keine Zeit für Hipstertrends zu haben und gleichzeitig wie der übelste Hipster aussieht, kann leider schon nach drei Sekunden nicht mehr ernst genommen werden.
17. Laurin Buser (08: 16)
Ich weiß, es ist sehr infantil, auf den Namen von Leuten, für die sie nichts können, rumzureiten. Aber erstens ist Laurin Buser wirklich ein saublöder Name für einen Rapper und zweitens kann er für den Namen privat zwar nichts, aber als Rapper schon. Da könnte man sich doch durchaus etwas besseres einfallen lassen. Die Erklärung für diese erste Entgleisung kam aber schnell via Wikipedia. Laurin ist in erster Linie nämlich überhaupt kein Rapper, sondern Slampoet. Na juti. Das erklärt auch das fremdschamige “OK direkt aus der Schweiz, nochmal so ein Rapper am Mic”-Gequake am Anfang und alles, was die nächste knappe Minute darauf folgt: grauenvoll scheiternde Doubletime-Versuche, gespielte Lässigkeit und diese Line übers Kiffen und Saufen über 30. Hat dir Kool Savas denn gar nichts beigebracht? Ich peils nicht mal.
18. Bengio (11:57)
Kommen wir zum Schlusslicht. Es war wirklich nicht leicht, sich zwischen Laurin Buser und diesem dauergrinsenden Bruder Leichtfuß zu entscheiden. Man muss kein Berlin-Rap-Fan sein, um ein Pfützchen unter der Zunge zu bekommen, wenn ein lächelnder Typ mit sanfter Stimme mit dem Satz “Was geht Hamburg, Singer/Songwriter-Shit live und direkt für euch” in die Cypher steppt und danach auch noch die Fantastischen Vier zitiert. Das ist schon ziemlich viel Schlimmes, was so nach den ersten ein, zwei Mal Hören hängenbleibt. Ich bin mir sicher, wenn ich es noch öfter anhören würde, würden sich noch einige weitere Walfischkadaver des Rapgrauens in meinem Netz verfangen. Aber ich denke, zwei Durchläufe sind durchaus genug. Mehr kann man nicht von mir verlangen. Bengio mag ein netter Kerl sein, aber bei dieser Cypher geht er leider schmerzhaft unter, wie – seine eigene zerfledderte Metapher – der Captain der Titanic.