Klatschzeitungen und ihre niedlichen Artikel. Die britische Sun berichtete vor Kurzem darüber, dass zwar JEDER sein Glas Alkohol anders hält, wir aber alle in bestimmte Trunkenheitsschubladen gesteckt werden können. “Forscher der University of Missouri haben 187 Studenten mit Fragen zu deren beschwipstem und nüchternem Verhalten durchlöchert.”
OK, ich hab’s kapiert: Wir sind alle total einzigartig. Wir konsumieren und verarbeiten Alkohol unterschiedlich. Verhaltensweisen und Stimmungen ändern sich. Alles klar.
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Aber es geht noch weiter: “Die Experten haben dann die vier häufigsten Trunkenheitstypen festgelegt …” Moment! Sollen wir hier wirklich glauben, dass es nur vier verschiedene Trunkenheitstypen gibt? Angeblich sind das folgende:
– der Hemingway (trinkt und bleibt dabei der gleiche)
– die Mary Poppins (trinkt und wird plötzlich total nett und umgänglich)
– der verrückte Professor (trinkt und entwickelt dabei eine zweite Persönlichkeit)
– der Mr. Hyde (trinkt und wird zum Arschloch)
Die Einnässer, die Döner-Verschlinger, die Kreislauf-Schwächlinge und die Typen, die immer in der Ausnüchterungszelle landen, werden mit keiner Silbe erwähnt.
Ich respektiere zwar die Wissenschaft und mir ist auch klar, dass die Forscher der University of Missouri nur 187 Studenten ausgequetscht haben, aber das hier geht trotzdem nicht klar. Haben die Wissenschaftler tatsächlich eine vollständige und akkurate Liste aller verschiedenen Arten von Betrunkenen erstellt? Nein, das haben sie nicht. Ich jedoch schon. Bitteschön:
Der Betrunkene, der erst verschwindet und dann mit vollem Magen wiederkommt
Einer der wohl beeindruckendsten Momente meiner Alkoholkarriere war, als ich mit ein paar Kumpels das Fußball-Pokalfinale in einer Kneipe schaute und dann erstmal eine Stunde lang verschwand. In dieser Stunde ging ich in volltrunkenem Zustand zum nächsten Supermarkt, kaufte mir dort einen Berg Essen und verschlang das Ganze draußen auf dem Bürgersteig. Einen solchen Betrunkenen kennt eigentlich jeder—also einen, der irgendwann am Abend die Biege macht und erst dann wiederkommt, wenn er sich von oben bis unten mit Knoblauchsoße eingesaut hat.
Der Betrunkene, der verschwindet, wieder zurückkommt und bei der Frage, wo er war, ganz still wird und …
Kurz gesagt: Er ist auf der Toilette eingeschlafen.
Der Betrunkene, der jetzt unbedingt diesen einen Song hören muss
Der Rausch dieses Betrunkenen fängt erst gegen 22:30 Uhr so richtig an, weil er vorher nämlich recht still war und genau dann wie von Geisterhand plötzlich ruckartig aufsteht, in Richtung Barkeeper stolpert und meint: “Kann ich mal schnell meinen iPod anstecken? Wirklich nur ein Lied!” Falls ihr euch zu diesem Zeitpunkt in einem Bus aufhalten solltet, dann zwingt er dich dazu, dir ein dank des schlechten Netzes ständig hängendes Arctic-Monkeys-Lyric-Video auf seinem Smartphone anzuschauen.
Am schlimmsten ist es jedoch, wenn ihr euch auf einer Hausparty befindet und er bis zur Stereoanlage gekrochen ist, daran rumfummelt, es erstmal kurz rauscht und dann Stille herrscht. Alle Anwesenden schauen sich verdutzt an. Plötzlich steht er mit geschlossenen Augen da und schwingt einen Finger im Takt seines Lieds hin und her. Dabei wiederholt er dann immer wieder: “Nein, ihr müsst euch jetzt jede einzelne Note dieses achtminütigen Gitarren-Intros geben!” Glaubt mir, dieser Typ kriegt richtig oft die Fresse poliert.
Die Betrunkene, die es aus verblüffende Art und Weise immer (!) schafft, irgendwo eine Blumenkrone herzuzaubern und dann den ganzen Abend lang zu tragen
Sie ist ein Magierin, eine Hexe. Sie ist quasi wie ein rotzevoller David Copperfield, der zwei Kumpels braucht, die ihm beim Gang auf die Toilette beiseite stehen und die Hose öffnen.
Der Betrunkene, der sich nicht mehr rühren kann und trotzdem glücklich ist
Mein liebster Suff-Typ verwandelt sich im Laufe des Abends irgendwann in eine sehr glückliche Leiche: Er lacht und ist gesprächig, aber gleichzeitig rollen seine Augen immer wieder nach oben und sein Körper ist quasi klinisch tot. Er hat um 19:30 Uhr schon sein Limit erreicht und landet letztendlich in einem Taxi, das ziellos umherfährt, weil er seine richtige Adresse nicht verraten will—alles Teil eines total lustigen Streichs. Ich liebe solche Menschen, weil ihnen scheinbar auch niemals etwas zustößt. Sie werden nicht beklaut, sie speiben sich nicht voll und sie enden nicht komatös in der U-Bahn, wo sie einschlafen und ihre Haltestelle verpassen. Nein, sie finden trotz des ganzen Alkohols irgendwie immer den Weg ins eigene Bett—und das gegen 21:00 Uhr und mit einem Lächeln im Gesicht.
Der Betrunkene, der seiner Meinung nach immer noch ohne Hilfe laufen oder Fahrrad fahren kann, dann aber erstmal acht Kilometer in die falsche Richtung unterwegs ist und anschließend seine Mutter um Hilfe ruft
Das darauffolgende Wochenende passiert natürlich wieder genau das Gleiche. Elton John lag mit seinem “Circle of Life”-Ding schon genau richtig. Leider hat er nicht erwähnt, wie oft man bei diesem ewigen Kreislauf notgedrungen auf einer Verkehrsinsel schlafen muss.
Der Betrunkene, der unbedingt noch eine Runde ausgeben muss … und noch eine … und noch eine …
In jeder durchzechten Nacht kommt irgendwann der Punkt, an dem sich alle Anwesenden stillschweigend darauf einigen, dass es jetzt genug ist und man sich ja ein Taxi nach Hause teilen könnte.
Es gibt jedoch auch immer den einen Typen, der dich mit der einen Hand am Oberarm packt und mit der anderen den Barkeeper holt. Schon stehen noch mal vier Shots und zwei Bier vor euch und er kommt dir so nahe, dass du seine Spucke förmlich am Ohr spüren kannst: “Nur noch eine Runde, Alter! Eine geht noch!” Von diesem Zeitpunkt an geht es steil bergab, denn der Typ kennt natürlich irgendeinen Schuppen, der “ganz sicher” noch offen hat. Also geht es wieder raus in die Kälte (du hast keinen Pullover dabei) und ihr stolpert durch die Straßen, bis ihr vor einem Stripclub steht. Er bezahlt den Eintritt für euch beide und im Glitzersteinchen eines kitschigen String-Tangas kannst du jede deiner dummen Entscheidungen vorbeiziehen sehen, die dich an diesen Punkt gebracht haben.
Wenn du dann endlich zu Hause bist—egal ob nun betrunken oder schon wieder nüchtern—, ist dein Geldbeutel um 100 Euro erleichtert und du musst in zwei Stunden schon wieder zur Arbeit. Plötzlich bekommst du mehrere alkoholgeschwängerte WhatsApp-Nachrichten von deinem Saufkumpanen: “Hammer-Abend! Richtig geil!” Er tippt jedoch noch weiter. “Weißt du noch, wie ich von Bukarest geredet habe? Ich habe uns eben zwei Flugtickets klargemacht!”
Und schon sind weitere 400 Euro sowie eine Woche deines Jahresurlaubs flöten gegangen. Für dich gibt es nun kein Entkommen mehr. Ihr seid jetzt beste Freunde und ihr werdet zusammen in Rumänien sterben.
Die Betrunkene, die mit halb geschlossenen Augen ständig das Gleiche erzählt und es später irgendwie schafft, gleichzeitig Wodka zu trinken und zu heulen
Vor Kurzem habe ich während meiner eigenen Hausparty geschlagene zwei Stunden damit zugebracht, einer Freundin dabei zuzuhören, wie sie mir die gleiche Anekdote 15 bis 20 Mal hintereinander erzählt hat. Und glaubt mir, das war keine witzige oder gut dargebotene Anekdote.
Der Betrunkene, der während der typischen Suff-Sticheleien plötzlich die Nerven verliert und danach total schlecht gelaunt ist
18:30 Uhr: “Alles klar, Jungs! Ich nehme ein Heineken! Haha. EX ODER ARSCHLOCH, EX ODER ARSCHLOCH!”
18:45 Uhr: [extrem lauter Rülpser] “Die Runde geht auf dich!”
19:07 Uhr: [er bemerkt, dass ein Trinkkumpane mit seiner Freundin telefoniert] “ER IST SCHWUL! Haha, war nur ‘n Scherz! ER GEHT FREMD! JO, MACHST DU DIE ALTE HEUTE NOCH KLAR ODER SOLL ICH DAS FÜR DICH ÜBERNEHMEN? Hahaha!”
19:59 Uhr: [er sackelt dich] “Gesackelt! Hahaha! Das gute alte Sackel-Spiel. Haben wir doch früher alle gemacht. Nein, du darfst mich nicht zurücksackeln.”
20:45 Uhr: “Ich kann Karate!”
21:03 Uhr: [irgendjemand macht einen total harmlosen Witz über seine Mutter] “Was hast du da gesagt, Alter? Nimm das sofort zurück! Nein, gar nicht cool! Warum machst du jetzt plötzlich einen auf Arschloch? Du bist doch schon immer ein Arschloch gewesen! Keine Ahnung, wieso. [seine Stimme überschlägt sich und er ist kurz davor zu heulen, kann sich aber wieder fangen] Du bist halt ein Arschloch, das ist der Grund. Nein, Alter! Verpiss dich! Verpisst euch! Ihr seid doch sowieso alle Wichser! Wieso nehmt ihr ihn jetzt in Schutz? Ihr Arschlöcher! Verpisst euch! VERPISST EUCH!”
Der Betrunkene, der unbedingt mit dir über etwas diskutieren muss, das du angeblich vor acht Monaten über ihn gesagt hast, und dabei seine Fingerspitzen ganz leicht auf deine Brust drückt
“Nein nein, ist schon gut. Ich mein bloß, weil ich gehört habe, dass du etwas über mich gesagt hast. Nein, ist wirklich gut, ich weiß ja, dass du das nicht wirklich gesagt hast. Aber ich habe es halt gehört und mir deswegen so gedacht: ‘Hat er das wirklich gesagt?’ Und jetzt kommst du hier zu mir her und sagst, dass du das nicht gesagt hast. Nein, Alter. Du bist echt ‘n cooler Typ. Und du hast echt Eier! Ich meine, du kommst hier zu mir her und sagst das zu mir. Das finde ich echt korrekt. Dazu braucht man richtige Eier. Du sollst aber auch wissen, dass ich dich vor 30 oder 40 Sekunden wirklich noch kalt machen wollte!”
Die drei unzertrennlichen Betrunkenen, die wie eine Art Cerberus zusammen stillschweigend im Club herumstehen, stillschweigend Shots trinken, stillschweigend Snacks verputzen, stillschweigend dem Dönermann auf die Mütze geben und wohl auch stillschweigend ein Mädchen für einen Vierer abschleppen
Manchmal findest du einfach das Yin zu deinem Yang. Und manchmal findet diese Yin-Yang-Kombination dann noch eine dritte passende Hälfte. Zu dritt seid ihr in der Lage, zu einer Einheit zu verschmelzen. Eure Seelen, eure Gedanken und eure Körper werden eins—besonders dann, wenn ihr schon fünf Bierchen drin habt und in irgendeiner Bar Fußball läuft.
Der Betrunkene, der sich so wegschüttet, dass du dich als “Schutzengel” quasi in eine richtige Pflegefachkraft verwandeln musst
Ich glaube, dass es dem Gehirn möglich ist, relativ nüchtern zu bleiben, während der Rest des Körpers total besoffen ist—das Skelett, die Muskeln, der Kiefer und die Zunge. Du verwandelst dich praktisch in einen labbrigen Fleischberg, der nur noch den Satz “Nein, mir geht’s gut, ehrlich!” von sich geben kann. Dabei müssen dich schon zwei Kumpels an den Armen auf die Toilette schleifen, wo du erstmal eine gewatscht bekommst und dann pissen gehst. Labbrige Betrunkene haben aber einen gewaltigen Vorteil, denn sie müssen eigentlich nie fürs Taxi bezahlen. Irgendein gütiger Freund drückt dem Fahrer nämlich immer 20 Euro in die Hand und meint dann ganz freundlich: “Bitte bring ihn sicher nach Hause!” Es gibt jedoch auch einen riesigen Nachteil: Die Chance, dass sich der labbrige Betrunkene in der Öffentlichkeit in die Hose scheißt, ist im Vergleich zu den normalen Betrunkenen viel höher. Es hält sich also doch irgendwie die Waage.
Der Betrunkene, der sich gar nicht bewusst ist, welches Problem seine Trinksucht für ihn und sein Umfeld geworden ist, und damit jede seiner Freundschaften und Beziehungen langfristig an die Wand fährt; er ist die Spinne, die an ihrem eigenen Netz nagt und hofft, nicht abzustürzen; er geht immer mit einem Brummschädel zur Arbeit, ist immer müde und hat immer ein paar Pfunde zu viel auf den Hüften, bekommt in der Mittagspause aber trotzdem Durst, wenn aus einer Kneipe der unverkennbare Geruch von abgestandenem Bier und abgetretenen Teppichen weht, und denkt sich, dass ein kleines Pils ja nicht schaden kann; am Montagabend heißt es dann: “Hey, es ist Montag, Zeit für ein paar Dosen Bier. Damit liegt man nie falsch. Der Typ vom Laden um die Ecke kennt mich ja auch schon, wenn ich da ein paar Euro zu wenig dabei habe, zahl ich die einfach beim nächsten Mal nach. Cooler Typ!”; am Dienstag wacht er dann wieder mit verquollenen Augen auf und der Kreislauf geht ewig so weiter, bis er irgendwann gar nicht mehr weiß, wie es sich anfühlt, morgens richtig munter zu sein; dabei war diese Entwicklung so schleichend, dass er sie gar nicht wirklich bemerkt hat, und beim Blick in den Spiegel denkt er sich dann: “Scheiße, ich bin echt alt geworden! Wann ist das denn passiert? Meine Haut ist richtig fahl, aber eigentlich passt schon alles, oder?”; dann geht er zur Arbeit, eine Kollegin erzählt was von ihrem Kater, er sagt daraufhin ein wenig zu laut, dass er schon gar keinen Kater mehr bekommt, und es folgt peinliches Schweigen, weil das jeder Anwesende schon weiß, denn sein ganzes Leben ist ein einziger Kater bzw. die schmerzhafte Erholung von einem unterschwelligen Leid, das er sich immer wieder zufügt.
Aber ja, noch ein Bierchen kann ja nicht schaden, oder?