Wir haben beim Metal-Yoga auf dem Wacken mitgemacht

Wer es wirklich geschafft hat, um 11 Uhr morgens noch oder schon wieder (!) über das Wacken zu stiefeln, erlebte dieses Jahr ein echtes Wunder. Da trafen sich die schrägsten Vögel mit Yogamatten unterm Arm vor einem kleinen Zelt in der Absicht, hier und jetzt Frühsport für Geist und Seele abzureißen. Neben dem mittelalterlichen Wackinger Village, dem “Mad Max”-Hotspot der Wasteland Warriors, neben Poetry Slams über Wrestling bis hin zum Pfahlsitzen offenbart das Wacken Open Air ja allerlei Kirmes. Aber Yoga?

Alle Fotos: Vincent Grunke

Tatsächlich lief da eine solide Schar von 100 – am letzten Tag sogar 300 – Metalheads in den sogenannten Jungle und schüttelte sich vor Ankunft anstandshalber die Schlammstiefel ab. Halbwegs sauber hereinspaziert in ein stickig schwüles Zelt. Ein mattes Grün schimmert durch dunkle Luft. Aus einem Wrestling-Ring in der Mitte ruft es sanft: “Wie geht’s denn jedem heute? Seid ihr alle frisch?” Ein erster Blick fällt auf eine blonde Engelsgestalt. Beine aus Stahl, kein Gramm Fett am Leib. Plötzlich grunzt es aus dieser heldenhaften Gestalt: “ARE YOU READY FOR YOGA? ARE YOU READY TO RAISE HELL???” Boom! Da ballert auch schon “Rock You Like A Hurricane” von den Scorpions durch die Boxen. Und die Grande Dame im zerrissenen Behemoth-Shirt fängt an, wild herumzuturnen. Saskia Thode heißt die Entwicklerin dieser einzigartigen Sportart, die hier niemanden schont. Harte Dehnungsübungen fordern den Wackenern nach Tagen in kaugummizähen Schlammfesseln alles ab. Thodes ganz eigenes Yoga gleicht einem straffen Workout mit dem Einsatz mächtiger Metal-Symboliken. Neben der bewährten Luftgitarre findet auch immer wieder das Metalhorn Einzug in Standardfiguren. Im Hintergrund brummt “Paranoid” von Black Sabbath.

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Saskia Thode

Mal werden die Hörner voller Inbrunst auf Knien gen Himmel gereckt. Direkt danach wackeln die Headbanger auf allen Vieren mit dem Po. Bei hartgesottenen Wackenern ein irrer Anblick. Offene Münder lauern im schattigen Rand des Zelts. Und Staunen. Eine selten gesehene Reizüberflutung. Was nach einer Stunde Dauerfeuer der kuriosesten Figuren in Erinnerung bleibt: der heulende Wolf über fiesen Black Metal von Behemoth, verkrümmte Embryonalhaltungen, Circle Pits und Schwertenthauptungen zum Slam Death Metal von Dying Fetus, Bier, verschwitzte Oberkörper über schwerer Atmung und das hypnotische Gegrunze von Trainerin Saskia.

Wer mit Metal so gar nichts am Hut hat, wird hier ein debiles Gebaren animalischer Triebe vermuten. Tatsächlich trifft sich hier aber eine familiäre Gemeinschaft inklusive teilnehmender Sanitäter, der es wirklich wichtig scheint, auf einem Festival die Flagge der körperlichen Fitness hochzuhalten. Und um dem Kvlt zu frönen, wenn die nächste Aufgabe darin besteht, den Sohn Satans zu gebären, ihn hochzuheben, seine eigene Kehle aufzuschneiden und ihn mit Blut aus der Halsschlagader zu säugen. “Satan’s spawn is very thirsty, cut your throat!”, schreit Saskia so laut, dass es bis ins eigene Knochenmark nachhallt. Dann wird der Bauch aufgeschnitten und das Baby mit Gedärmen gefüttert. Es gab keine andere Option: Ich musste am nächsten Tag wiederkommen und mitmachen. Danke. Ehrlich: Das ist eine Offenbarung.


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Noisey: Wie kamst du überhaupt zum Yoga?
Saskia Thode: Ich bin ein Landei, komme aus dem kleinen Dorf Weddingstedt, aus Dithmarschen in der Nähe von Heide. Ich hab dann mal in Hamburg gewohnt. In so eine riesige Stadt zu kommen ist total wahnsinnig – viel zu viel. Yoga war mein Rettungsring, um wieder Bezug zur Natur herzustellen. Mit 18 Jahren habe ich damit angefangen. Als ich dann nach New York in die USA gezogen bin, habe ich für eine Schweizer Möbelfirma acht Jahre als Head of Operations gearbeitet. Super stressig – 80-Stunden-Wochen, total brutal. Yoga war da immer mein Lebensretter. Im letzten halben Jahr in der Möbelfirma habe ich am Wochenende meinen Titel als Yoga-Trainer gemacht und danach meinen Job an den Nagel gehängt.

Und dann normale Yoga-Kurse gegeben?
Meine erste Yoga-Klasse, die ich unterrichtet habe, war Metal-Yoga. Da habe ich das Unterrichten mit meinen Freunden geübt. Ich bin mit den Besitzern der Saint Vitus Bar gut befreundet, eine Metal-Kneipe in Brooklyn, die viele Konzerte macht. Ich habe die Schlüssel dafür und kann da immer meine Kurse geben. Ich habe die Licht- und Nebelmaschine und das Soundsystem – alles mit dabei.

Wie oft bietest du in New York Metal-Yoga an?
Drei Mal die Woche einen regulären Kurs, unter anderem samstags um 11:45 Uhr. Aber auch aus der Reihe in verschiedenen Locations wie dem Cobra Club. Manchmal, wenn nachts nichts los ist im Saint Vitus, dann mache ich ein Special. Letztens hieß das “Fear Of The Dark” – viel Black Metal.

Sicherlich sehr inspirierend mit dem Bargeruch der letzten Nacht.
Ja, wir sind das schon gewohnt mit der Nase im Bier zu liegen. Manchmal gibt es auch einen Shot vorweg oder im Nachhinein. Mittwochabend hab ich eine Klasse, wo wir alle mit einem Bier anfangen, wie dieses neue Bier-Yoga. Das haben wir schon vor drei Jahren gemacht haha.

So lange frönst du auch schon dem Metal-Yoga?
Ja, seit über drei Jahren.

Wie hast du das promotet?
Im Internet und über Mundpropaganda, Sticker verteilt, die Saint Vitus-Leute haben es auf ihrer Website gepostet, Facebook. Social Media macht’s halt. Ich hatte auch relativ früh Artikel, die Washington Post hat was geschrieben. Je mehr Presse kam, desto mehr Leute kamen dann zu den Klassen.

Ging das gleich von Anfang an steil?
Am Anfang war es schon harte Arbeit. Da kam über Wochen fast keiner, nur eine Hand voll Leute. Jetzt habe ich viele reguläre Schüler, die seit zwei Jahren dabei sind und die sind meine besten Freunde heute.

Machst du das alleine?
Ich hab mittlerweile Eine, die aushilft, wenn ich nicht da bin. Es ist auch eine Art Therapie für uns – sie hat ihre Scheidung verarbeitet durch diese Klasse. Man sieht auch viele Leute, die ihren Müll mit dahin schleppen – und ich habe auch immer gern ein offenes Ohr für alle. Das ist auch der Job als Yoga-Lehrer: zuhören können.

Also Scheidungsfrust durch Metal kanalisieren?
Ja, genau. Man kann alles rauslassen, den ganzen Hass, die ganze Frustration, wovon es in New York ja ganz viel gibt. Der Road Rage ist für mich das Schlimmste. Was für ein Hass beim Fahrradfahren aufkommt – auf die Autofahrer und Fußgänger. Wenn dein Lenkrad zwischen zwei Autos eingequetscht wird und man warten muss, bis es wieder weitergeht.

Wie erschaffst du die speziellen Figuren für das Metal-Yoga?
In meiner Fantasie – die ist sehr erregt und lebhaft. Ich improvisiere eigentlich jedes Mal. Ein grobes Konzept an Posen gibt es. Dann kommt die Playlist. Heute war sie ja sehr glorreich mit Behemoth, Scorpions, Black Sabbath, Judas Priest, Hammerfall, Sabaton. Wie im normalen Yoga habe ich eine Spannungskurve drin. Erst das Warm-up, dann der Höhepunkt mit den ganzen stehenden Positionen. Der Gipfel davon ist erreicht, wenn wir die ganzen Herzöffnungen machen, wo dann Hammerfall und Sabaton gespielt werden. Wo man den Hammer hochhält. Und dann bringe ich das Ganze wieder runter, wo man sich auch wieder hinsetzt. Beim Black Metal ist man ergeben, man gibt sich ihm hin, alles ist tief, die Töne sind supertief und gehen tief rein, dann kann man das Ganze wieder dichter zum Boden bringen, die Seele baumeln lassen.

Wie bist du zu Wacken gekommen?
Ich bin mit Tim Eckhorst zur Schule gegangen. Der macht alle Zeichnungen, Grafiken und Comics für Wacken. Der hatte die Idee, das dem [Veranstalter] Holger Hübner vorzustellen. Also bin ich zum Holger gegangen und habe direkt bei deren Full Metal Cruise mitgemacht [Metal-Festival auf einem Kreuzfahrtschiff, Anm. d. Autors]. Zwei Mal am Tag habe ich da Metal-Yoga unterrichtet.

Hast du jetzt überhaupt Zeit gehabt über das Wacken zu spazieren?
Ja, ich schwirr hier so rum. Ich komme ja aus der Nähe von hier, knappe 30 Kilometer entfernt. Ich war schon 1999 oder 2000 das erste Mal hier. Damals war es noch ganz nett und überschaubar, vielleicht 30.000 Leute oder so.

Und was schaust du dir an?
Mein Ding ist eher Black Metal und Death Metal. Gestern habe ich mir Napalm Death und Witchery angeschaut – supercool. Bis ich in die USA gezogen bin, war ich jedes Jahr hier. Mit der Mutti am Start, die ist auch heute mit dabei und verkauft mein Merch, haha.

Hättet ihr gedacht, dass früh um 11 Uhr so viele Yoga-Begeisterte kommen?
Wir haben davor Emails geschrieben, wie viele Matten wir holen sollen. Wir dachten so an 30, mal gucken was passiert. Heute waren weit über 100 Leute da, gestern und vorgestern waren noch mehr da, die 30 Matten haben also definitiv nicht ausgereicht. Die Hütte war voll! Supergeil, hätte ich überhaupt nicht erwartet, dass das so gut ankommt, dass so viele Leute kommen.

Und nur 30 Matten.
Also die meisten Leute sitzen im Dreck, haha.

Ich war aber überrascht, wie viele sich vorm Reingehen den Schlamm von den Stiefeln abgetreten haben.
Total cool, das sind Metalheads. Die sind respektvoll, ehrlich und supercool.

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Saskia Thodes Metal Yoga Bones findet ihr hier: metalyogabones.com

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