Im Jahr 2001 hatte sich Paul Hunter als Regisseur von diversen berühmten Musikvideos, darunter Puff Daddys „Can’t Nobody Hold Me Down”, Notorious B.I.G.s „Hypnotize” und Mariah Careys „Honey”, bereits einen Namen gemacht. Doch schon immer hatte es ihn gereizt, auch mal einen Werbesport für den Sportartikelhersteller Nike zu drehen. Als dann Nike und seine Marketingagentur Wieden+Kennedy auf ihn zukamen, um mit ihm über einen möglichen Spot zum Thema „Basketball meets Hiphop” zu sprechen, war er sofort Feuer und Flamme. Während des Allstar-Wochendes 2001 feierte der Nike-Film dann sein Debüt:
Das Video gilt bis heute als einer der besten Werbespots, den Nike jemals produziert hat. Zusammen mit Profi-Spielern und Streetballern—und unterlegt mit einem düsteren „Planet Rock”-Instrumental—wurde ein echtes Meisterwerk für alle Freestyle-Liebhaber geschaffen. Nach diesem Video haben Basketballfans aus aller Welt versucht, die coolen Moves und Tricks nachzumachen. In den darauffolgenden Jahren entstanden außerdem auch viele Parodie- und Hommage-Videos. Einer der Profis in dem Video war Vince Carter, der erst kurz zuvor den Slam Dunk Contest für sich entscheiden konnte und zu der Zeit der beliebteste Spieler der NBA war. Das Video wurde am Ende in Los Angeles, New York und Toronto gedreht. Der Werbefilm war so erfolgreich, dass der kanadische Fernsehsender TSN beschloss, darüber eine 30-minütige Making-of-Doku zu senden.
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Hunter hat seitdem bei noch vielen weiteren Werbespots und Musikvideos Regie geführt, doch bis heute zählt er das Nike-Video zu den größten Erfolgen seiner Karriere. Wir wollten mehr über die Entstehung dieses Videos erfahren und haben uns deswegen mit Hunter zusammengesetzt.
VICE: Wie entstand die Idee zu diesem Video?
Paul Hunter: Die Ursprungsidee kam von Wieden+Kennedy. Die wollten schon immer mal ein Piece produzieren, bei dem Musik und Dribbeln zusammenfließen. Für mich ging es vor allem darum, es so einfach wie möglich zu gestalten und dadurch die Basketball-Moves in den Vordergrund treten zu lassen. Dafür musste man die Musik so isolieren, dass sie die Zuschauer auch auf visueller Ebene mitreißen würde. Zu der Zeit hatte ich gerade ein Musikvideo für D’Angelos „Untitled (How Does It Feel)” gemacht, und auch in dem ging es darum, die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu bündeln. Ich hatte das Gefühl, dass das auch für den Nike-Spot eine gute Idee wäre. Und dann war da noch die Tatsache, dass ich als Kind gerne zu den Harlem Globetrotters gegangen bin, und die haben ja auch immer mit Musik im Hintergrund ihre Tricks gemacht und sich die Bälle durch die Beine gedribbelt. Diese persönliche Erfahrung von mir hat auf jeden Fall auch noch eine wichtige Rolle gespielt.
Die Idee war also schon mal da. Jetzt ging es an die Umsetzung.
Genau. Nike arbeitete zu der Zeit mit verschiedenen Profis zusammen. Anfangs war aber die Idee, nur mit Streetballern zu drehen, denn Streetball wurde damals immer populärer. Ich bin auch mit Basketball groß geworden. Diesen Werbesport zu drehen, bedeutete für mich also, mit meinen Idolen abzuhängen. Es hat von der ersten bis zur letzten Sekunde unglaublich viel Spaß gemacht. Außerdem konnte ich mir als Kind nie Schuhe von Nike leisten.
Es gibt nichts Schöneres, als auf dem Freiplatz die Zeit zu vergessen
Also war das eine gute Gelegenheit, das ein für alle Mal zu ändern.
[lacht] Absolut! Als ich noch auf der Junior High war, hatten meine Eltern einfach nicht genug Geld dafür. In meinen Schuhen bin ich immer furchtbar gerutscht, darum habe ich einen Kumpel gefragt, ob er mir nicht seine Nikes ausleihen könnte. Der musste dann über einen Monat darauf warten, sie wieder sein Eigen zu nennen.
Was führte zur Entscheidung, als Soundtrack „Planet Rock” von Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force zu nehmen?
Wir haben uns anfangs eine Reihe unterschiedlicher Künstler angeschaut. Darunter war auch ein Song von Outkast. Ich fand aber Planet Rock besser, weil es einfach ein Klassiker ist. Schon als Kind habe ich das Video dazu geliebt und wusste, dass sein Beat bei vielen Menschen gut ankommt. Er hat etwas Fesselndes. Einfach ein echter Hiphop-Beat.
Dieser Clip hatte also eine persönliche und emotionale Bedeutung für dich.
Ich wollte schon immer eine Nike-Werbung drehen. Ich habe nur nie die Möglichkeit dazu bekommen. Dann war ich zur richtigen Zeit mit der richtigen Idee da. Ich wusste, wie man sich ausdrückt. Ich habe in einem Kirchenchor gesungen, ich habe Schlagzeug gespielt, all diese rhythmischen Prozesse und meine Lebenserfahrungen halfen mir beim kreativen Prozess hinter dem Spot. Deswegen war alles sehr real für mich.
Du hast jetzt also die Besetzung und die Musik. Nun kommt das Schwierigste: das alles zusammenfügen.
Zuerst ging es einfach darum, die Musik aufzuteilen, herauszuarbeiten, welchen Teil des Beats wir für welche Einstellung benutzen wollen. Am Ende haben wir etwa zehn Tage gedreht, wahrscheinlich sogar mehr. Wir waren in Los Angeles, Toronto und New York. Doch davor habe ich erstmal mit Savion Glover gearbeitet. Er ist ein amerikanischer Stepptänzer, Schauspieler und Choreograph. Es standen damals auch andere Choreographen zur Auswahl, aber ich hatte das Gefühl, dass er aufgrund seiner Erfahrung der Beste dafür war, den Rhythmus festzuhalten. Bevor wir irgendwas gemacht haben, bin ich zum Santa Monica Boys and Girls Club gegangen, um ein paar Basketballer für das Video zu gewinnen. Dann haben wir einfach nur dribbeln und passen geübt. Es war ein kleiner Test. Ich habe Savion gezeigt, was ich gemacht habe, damit er eine Idee davon bekam, was wir suchen würden. Wir waren dann in einem Studio in New York und haben einfach dran gearbeitet, den Beat zu vereinfachen.
Was mich an dem Video fasziniert hat, ist die Tatsache, dass auch die Freestyle-Elemente perfekt choreographiert rüberkommen.
Das Ding mit dem Freestyle-Element ist: Als die Basketballer den Rhythmus gefühlt haben, haben wir sie einfach ihr eigenes Ding machen lassen. Egal, was dabei rauskam, nutzen konnten wir fast alles, weil sie immer on beat waren.
Neben berühmten NBA-Spielern wie Vince Carter, Lamar Odom, Darius Miles oder Jason Williams sind in dem Video auch eine Menge Streetballer zu sehen. Wie habt ihr diese Leute gecastet?
Ich hatte die Nummer von einem Casting-Agenten und wenn immer ich mal wieder ein paar Streetballer benötigt habe, sind wir zusammen durch New York gezogen—von Uptown über Harlem und der Fourth Street bis zum Rucker Park. Außerdem haben wir auch noch ein paar Typen aus Los Angeles dazugeholt. Wir haben traditionelle Spieler mit eher verrückten Typen zusammengetan. Da trafen also ganz unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander. Das Tolle am Basketball ist eh, dass man viel von einer Person verstehen kann, wenn man ihr beim Spielen zuschaut. Wenn jemand von Natur aus eher egoistisch ist, wird er ständig den Wurf suchen. Wenn es sich hingegen um einen Team-Player handelt, hat er auch immer seine Mitspieler im Blick. Diese verschiedenen Elemente machen den Reiz aus.
Eine meiner Lieblingsstellen in dem Video ist die, als Rasheed Wallace auftaucht, ohne zu dribbeln. Stattdessen schubst er einfach einen anderen Spieler weg. Das war irgendwie so typisch für ihn.
Ist das nicht verrückt? Rasheed hatte ja den Ruf eines Bad Boys und einige der Spieler am Set waren seinetwegen auch ein bisschen nervös, schließlich beging er ja ständig technische Fouls. Ironischerweise war er der Netteste von allen, hatte aber trotzdem eine sehr starke Präsenz, sobald wir ihm den Ball gaben. Was seine Rolle betrifft, habe ich hier auch noch nachträglich meinen Senf als Regisseur dazugegeben. Denn da ich noch für eine Story in der Story sorgen wollte, habe ich beim Editen nach seinem Schubser noch einen Schiedsrichterpfiff eingefügt.
Wie war das Shooting mit Vince Carter, der damals ja auf dem Höhepunkt seiner Karriere war?
Ja, er war damals echt erfolgreich und beliebt, ich fand ihn aber überraschend schüchtern. Eine Menge Charme hat er trotzdem versprüht.
Es muss cool gewesen sein, mit so vielen verschiedenen Persönlichkeiten zusammengearbeitet zu haben…
Das schon. Man hat aber einigen angemerkt, dass sie sehr kontrolliert aufgetreten sind, so wie es ihnen ihre Berater und Manager wohl eingetrichtert haben. Dem Clip echt gutgetan hat Lamar Odom, weil er sich einfach gehen gelassen hat. Er hat „Planet Rock” gehört und ist dann zusammen mit Darius Miles herrlich dazu abgegangen. Es waren ja auch noch junge Burschen. Stark war auch Baron Davis mit seinem Crip-Walk.
Was war das schönste Feedback, das du bekommen hast?
Das kam wohl von Kobe Bryant. Der Typ ist einfach nur super und einer meiner Lieblingsspieler. Er fand den Clip phänomenal. Ich glaube, Kobe hätte eigentlich auch gerne mitgemacht, aber er stand damals ja noch bei Adidas unter Vertrag.
Du hast bestimmt auch die Parodie deines Videos von den Wayan-Brüdern in Scary Movie 2 gesehen?
[lacht] Ja, hab ich. Ich kenn die beiden. Die machen ja vor nichts Halt. Ich fand’s ziemlich lustig.
Gibt es denn einen aktuellen Spieler, mit dem du gerne mal einen Freestyle-Werbeclip machen würdest?
Chris Paul. Auf jeden Fall! Ich finde, der sticht einfach heraus. Er hat das perfekte Ballgefühl und die nötige Attitude. Wenn er auf dem Platz steht, wird das gesamte Spiel aufgewertet. Und weißt du, wer noch ein Wahnsinnsballgefühl hat? Kyrie Irving!
Kyrie Irving ist ein verdammter Rebell
Du hast in deiner Karriere viele verschiedene Dinge gemacht. Wo würdest du den Spot einordnen?
Ganz oben! Er ist mein absolutes Lieblingswerk. Ich schau ihn mir noch heute regelmäßig an und muss sagen, dass er immer noch fresh und zeitgemäß rüberkommt. Dann überlege ich immer, wie ich dieses Video noch toppen könnte, also nicht nur in Bezug auf Basketball-Spots, sondern im Allgemeinen.
Könntest du dir denn vorstellen, mit aktuellen Spielern ein ähnliches Piece zu drehen?
Vorstellen schon, aber ich glaube nicht, dass es jemals ans Original heranreichen könnte. Sowas gelingt dir nur einmal. Es war einfach künstlerischer Ausdruck in Reinkultur und das kannst du nicht einfach so remixen. Es ist wie ein echter Hit-Song.