Frauen im Rap. Gibt es sehr wenige. Bis gar keine. Was ich dir erzähle, ist keine neue, überraschende Nachricht, die das Universum und das Raumzeitkontinuum kurz ins Wanken bringen wird und dich völlig verblüfft, überrascht und erleuchtet mit einem neuen Weltbild zurücklassen wird. Auch wenn in den letzten Jahren immer mehr Frauen in der Rapszene auftauchen und diese aufmischen. Sxtn, Haiyti oder Lady Leshurr sind nur einige Namen davon, und mit einer Iggy Azalea oder Nicki Minaj sind auch weibliche MCs am Mainstream-Himmel vertreten – und doch: Rap bleibt überdurschnittlich männerdominiert. Das ist ein Fakt, welcher sich seit der Entstehung des HipHops bis ins Heute durchzieht. So auch am vergangenen Donnerstag amSRF Virus Bounce Cypher, einem der wichtigsten Rap-Treffen des Landes. Mit La Nefera fand nur eine Frau ihren Weg in die illustre Runde der 84 Rapper. Ich habe sie begleitet.
Ich treffe La Nefera im Backstage der SRF-Studios. Die Rapperin wirkt aufgedreht und nervös. Die 28-jährige soziokulturelle Animatorin mit den rabenschwarzen Locken und dem ansteckenden Lachen sehe ich heute nicht zum ersten Mal. Schon an früheren HipHop-Events im Raum Basel konnte ich mich von ihrem Talent überzeugen. La Nefera redet stets bedacht, souverän und wirkt sehr selbstbewusst. Heute scheint sie aber ein wenig hibbelig zu sein, sie umarmt mich herzlich. Wir sind früh dran, die erste Stunde des Bounce Cyphers 2017 hat gerade erst angefangen. Während sich die ersten Rapper ans Mic stellen und ihre Lines droppen, versammeln sich die anderen vor dem Livestream im Saal. In einem improvisierten Fotostudio werden Bilder der MCs und ihrer Schuhe geschossen. Es soll später ein Quiz dazu geben, welche Sneaker zu welchem MC gehören. Sie habe extra die schönsten Schuhe angezogen, entgegnet La Nefera verschmitzt. Das Backstage-Buffet riecht nach dem legendären Beggar’s-Chicken-Rezept von Bounce-Moderator Pablo Vögtli und die Parts der anderen Rapper erfüllen durch die Boxen den Raum.
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Begleitet wird La Nefera von ihrem guten Freund und Manager Matt Siegenthaler vom Label Empire Music und drei Freundinnen. Eine von ihnen bildet mit La Nefera einen Teil der vierköpfigen Gruppe Vybezbilder, ein rein weibliches Rapkollektiv, bestehend aus vier Solokünstlerinnen aus Basel. Zusammengefunden haben die Vybezbilder beim Projekt “1 City 1 Song” der Basler Raplegende Black Tiger. Untereinander unterstützen sie ihre Soloprojekte und machen auch gemeinsame Sache. Jenny, wie La Nefera mit bürgerlichem Namen heisst, gründete ihr Soloprojekt 2008 und ist seit längerer Zeit in Basels HipHop-Underground-Szene unterwegs. Nach ihrem Album-Release im November 2016 wurde das Bounce-Team schnell auf die gebürtige Dominikanerin aufmerksam und lud sie für eine Session ins Studio ein. Kurz danach folgte die Anfrage für den Cypher. Eine Gelegenheit, welche sie sich nicht entgehen lassen wollte. So sticht Jenny heute nicht nur mit ihrem spanischen Rap aus der Masse der MCs, sondern offensichtlich auch wegen ihres Geschlechts. Sie ist nach Steffe La Cheffe erst die zweite Frau, die je am Cypher teilnimmt.
“Grundsätzlich trauen sich Frauen leider oft weniger zu”, versucht sich die Baslerin die niedrige Frauenquote zu erklären. In ihrem privaten und beruflichen Umfeld erlebe sie auch immer wieder, wie sich Frauen lieber zurücknehmen. “Der Cypher ist eine Plattform, bei der du dich sehr exponierst. Es entstehen Hemmungen, wenn du dich unter der Rap-Elite des Landes beweisen musst”, fügt sie an. Sie sieht das Problem aber auch darin, dass Frauen ganz anders mit Rap aufwachsen: “Viele Rapper veranstalten seit ihrer Jugend Sessions unter Freunden, bei denen Freestylen geübt wird oder sich neue Texte vorgerappt werden. Dadurch lernst du, dich vor anderen zu zeigen und mal Fehler zu machen. Irgendwie machen das Frauen nicht so. Auch wir als Vybeszbilder hatten nie solche Sessions.”
Ob sie auch aus den genannten Gründen nervös sei, schliesse ich an. “Nein, ich bin nervös, aber mache mir jetzt keinen zu grossen Stress daraus. Es ist die gleiche Nervosität wie vor einem Konzert. Dank der Erfahrung, die ich bei meiner ersten Einladung im Dezember in einer SRF Bounce-Sendung machen konnte, weiss ich in etwa, wie es sein wird. Natürlich fragst du dich selbst, wie deine Sachen ankommen. Da ich auf Spanisch rappe, versteht mich kaum jemand und es wird noch viel mehr auf das Technische und die Reimschemen geachtet.”
Wir entscheiden uns, das Backstage-Buffet zu probieren. Während ich mir eine ordentliche Portion Beggar’s-Chicken auf den Teller häufe, isst Jenny ein bisschen vom Hummus. Verständlich. Vor so einem Auftritt würde ich auch nicht so viel runter bekommen, denke ich mir.
Langsam trudeln auch die anderen Basler Rapper am Cypher ein. Von allen wird Jenny herzlich begrüsst und umarmt. Kush Karisma von K.W.A.T bezeichnet sie gar als seine Schwester: “Sie gehört zu uns und wir zu ihr. Empire-Music-Family! Sie ist auch auf meinem Album zu hören. Ich habe echt maximalen Respekt vor ihr und stehe voll und ganz hinter ihr. Sie ist Fuego Puro.” In der Basler HipHop-Szene ist Jenny vollends integriert. “Im HipHop hat vieles mit Attitüde zu tun. Wie du die Sachen rüber bringst und wie du redest. Wenn du das mit vollem Selbstbewusstsein durchziehst, dann nehmen sie dich auch ernst”, sagt sie.
Ins Gespräch vertieft und umgeben von all den verschiedenen Impressionen des Anlasses vergeht die Zeit schnell. Vor der Fotokabine hat sich mittlerweile eine ganze Schlange MCs gebildet, welche für die Coverfotos ihrer Cypher-Videos abgelichtet werden müssen. Bis zu La Neferas Auftritt im Radiostudio dauert es nicht mehr lange. Sie mag ihre Coolness noch bewahren, zeigt aber doch, dass die Anspannung für sie steigt. Sie zückt immer wieder das Smartphone hervor, steckt sich Kopfhörer an und übt nochmals ihren Part.
Mit den Rappern sind mittlerweile auch eine Handvoll andere Frauen im Backstage-Bereich eingetroffen – doch natürlich sind wir immer noch in der Unterzahl. Die meisten der Frauen sind HipHop-Fans und haben am Wettbewerb von SRF Virus VIP-Tickets für den Cypher gewonnen. Die anderen gehören zu den Entouragen der Rapper oder sind ihre Freundinnen. Ich komme mit Pia und Bettina ins Gespräch. Sie hören seit 20 Jahren HipHop und setzen sich seit 15 Jahren auch intensiv mit Schweizer Rap auseinander. Ich spreche sie auf das Thema Frauen im Rap an. “Viele Frauen haben das Talent aber nicht den Mut zum Rappen”, sagen beide einstimmig. Sie selbst hätten sich auch mal am Zeilenschreiben versucht, erzählt Pia: “Es ist aber am Ehrgeiz und der Zeit gescheitert.” Speziell schwer sei es, weil nur wenige Frauen das Hobby Rap teilen. “Wir würden uns aber definitiv mehr Frauen am Mic wünschen”, lautet der Tenor – bei Pia und Bettina, den anderen Frauen im Saal, den Rappern, Szene-Insidern und Virus-Moderatoren.
Als ich zu La Nefera zurückkehre, ist es endlich soweit. 18:00 Uhr. Der Beginn der Basler Stunde. La Nefera wuselt umher, ist in Gedanken schon beim Auftritt, verschwindet kurz irgendwo, wohl um ihren Part noch einmal durchzugehen. Als sie zurückkehrt, betreten wir zusammen das Radiostudio. Mit uns ein ganzer Girls-Squad im Gepäck. Neben ihren Freundinnen möchten sie mehrere Zuschauerinnen aus dem Backstage supporten. Schön zu sehen, dass sich hier die Frauen so unterstützen. Das Studio ist überfüllt von Menschen und heiss, viele gute MCs haben während den vorigen zwei Stunden schon eingeheizt und Punchlines ausgepackt. La Nefera wird angekündigt und kämpft sich ihren Weg durch die Menschen zum Mic hindurch. Ich erinnere mich, wie sie mir vorhin noch sagte: “Allgemein musst du im HipHop einfach auch viel ‘Ellenbögeln’.” Die Jungs im Studio jubeln. Den Support der Basler Crew hat sie voll und ganz.
Und dann legt sie los. Fokussiert. Nur sie und das Mikrofon. Die 28-Jährige brettert ihren Text mit ordentlich Druck nieder. Feurige Rhymes. Niemand kann bei dem Rhythmus still stehen bleiben. Auch Moderator Pablo Vögtli bounct zum Beat mit. Ohne grosse Show und nüchtern bringt La Nefera ihren Text, was sie einfach authentisch wirken lässt. Mit der Hitze des Studios und dem lateinamerikanischen Einflüssen fühlt es sich plötzlich an, als wäre es gar nicht Zürich im Januar, sondern in der Dominikanischen Republik im Hochsommer. Am Ende gibt’s nochmal fette Probs von den anderen MCs und Gästen im Studio und eine Fistbump von Pablo. Ein verlegenes “Merci” ihrerseits trifft das Mikrofon. Sie hat definitiv gerade bewiesen, dass sie nicht umsonst eingeladen wurde.
Wir treffen uns vor der Studiotüre wieder. “Es war speziell. Ich war sehr nervös. Meine Hand hat, glaube ich, sehr gezittert. Leider waren da zwei, drei Versprecher, aber sonst bin ich zufrieden”, resümiert sie ihre Leistung, sieht ihr Spanisch aber etwas als Sprachbarriere: “Beim Cypher geht es viel um Punchlines, aber mich versteht natürlich fast niemand.” Ich habe natürlich genauso wenig, wie die meisten Anwesenden verstanden und lasse mir ihren Part erklären: “Auf meinem ersten Beat habe ich über meine Dankbarkeit gegenüber dem, was ich alles erleben darf, gerappt. Auch wenn ich oft falsche Entscheidungen treffe und andere mich runtermachen wollen, versuche ich, mein Urvertrauen in mich selbst und meine Fröhlichkeit zu bewahren.”
In diesem Moment stösst Mauro zu uns, umarmt Jenny herzlich und bedankt sich für ihren Part. Unser Gespräch driftet irgendwann zu der Frage, wieso mit La Nefera nur eine Frau am Cypher ist. Mauro und sein Co-Moderator Pablo Vögtli würden bei der Suche nach möglichen Teilnehmern für den Cypher immer versuchen, neutral gegenüber den Geschlechtern zu handeln. “Entweder ist es dope oder es ist whack. Unser Credo ist, dass wir Gleiches gleich behandeln. Denn Gleichberechtigung fängt genau da an.”
Den Grund für die Seltenheit von weiblichen MCs erklärt er in drei Punkten: “Als allererstes ist es die Realität, dass weniger Frauen rappen. Dazu kommt die Frage, wieviele Frauen auch qualitativ gut genug sind, um unter den 84 besten Rappern des Landes mitzuhalten. Weisst du, wieviele Absagen wir an männliche Rapper verteilen mussten und wieviele keine Einladung von uns erhielten, weil sie einfach nicht gut genug waren? Und wenn alle diese Aspekte stimmen, müssen die Rapperinnen noch die Lust, Motivation und den Ehrgeiz haben, am Cypher teilzunehmen. Dann bleiben am Schluss noch eine bis zwei Rapperinnen übrig.”
Im Vergleich hätten ausserdem viel mehr gute Rapper abgesagt als Rapperinnen. “Schon alleine, wenn du die Berner Stunde anschaust, siehst du, wieviele namhafte MCs nicht erschienen sind. Von Manillio über Lo und Leduc bis zu S.O.S.” Auch sei leider oft noch dieses klassische Bild der Rollenverteilung in den Köpfen. Viele der Jungs, welche HipHop machen, seien in einem Umfeld aufgewachsen, in dem sie sich mit anderen Dingen beschäftigt hätten als Genderfragen. “HipHop ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Und solange in der Gesellschaft Sexismus vorhanden ist, wird sich das im HipHop auch nicht so schnell ändern.” Was er und Pablo sich aber wünschen, sind gute Rapperinnen, welche einfach guten HipHop machen und bei denen das Geschlecht überhaupt keine Bedeutung hat.
Während sich im Studio die Zürcher breit machen, gehen La Nefera und ich zurück in den Backstage-Bereich. Im SRF Virus-Büro, welches das Studio mit dem Backstage verbindet, herrscht Hochbetrieb. Videos werden live zusammengeschnitten und die Fotos vom Event hochgeladen. “Und jetzt endlich essen”, sagt Jenny mit einer spürbaren Erleichterung. Wir laden uns nochmals vom Beggar’s-Chicken auf den Teller und setzen uns zu den Jungs von K.W.A.T. Sie alle finden es super, dass eine Frau am Cypher rappt und wünschen sich noch mehr Frauen in der Schweizer Rapszene. Rapper Levo rimeD entgegnet überschwänglich, dass nur Realness, der Style und Geschmack wichtig seien: “Dein Geschlecht spielt keine Rolle. Emanzipation for life!”
Obwohl sich La Nefera in der Szene emanzipiert hat, musste sie trotzdem mit Sexismus kämpfen: “Als ich 16 Jahre jung war und von einem Bekannten einen Beat wollte, entgegnete er mir: ‘Was du rappst? Das wäre eigentlich ein verschwendeter Beat. Ob du ihn bekommst, liegt daran, wie gut du blasen kannst.’” Ein anderes Mal sei jemand nach dem Konzert zu ihr gekommen und habe gemeint: “Ja, du siehst schon gut aus und hast grosse Titten, das verkauft sich natürlich gut.” Auch das typische “Du bist echt gut für eine Frau” kriegt sie des Öfteren zu hören. “Dieses ‘Kompliment’ kann man sich aber direkt sparen, denn es sagt genau nichts aus. Im Vergleich zu wem bin ich denn gut?”
“Es gibt auch einfach keine Identifikationsfiguren für junge Frauen im Schweizer Rap”, sagt La Nefera. Dieser Meinung ist nicht nur sie, sondern auch Knackeboul, der mittlerweile auch im Backstage-Bereich angekommen ist: “Mimiks hat beispielsweise viele neue, junge Rapper inspiriert. Bei den Frauen ist mit Steffe La Cheffe oder einer Big Zis ausgedient und diese halten sich dazu momentan eher im Hintergrund.” Ich verbringe den Rest des Abends mit Jenny und den anderen Basler MCs. Als sich Jenny und ihre Entourage schliesslich verabschieden, drückt sie mir für die Noisey-Redaktion noch drei Kopien ihres ersten Albums A Lo Hecho Pecho in die Hand. Das heisst zu Deutsch soviel wie “Wer Asagt, muss auch B sagen”. Zum Glück hat das La Nefera 2008 gemacht.
Schlussendlich ist aber der Mangel an weiblichen Rappern in der gesamten Szene ein viel tiefergehendes Phänomen, das mit unserem Besuch am Cypher sicher nicht abschliessend beleuchtet werden kann. Obwohl es den Anschein macht, dass sich hier alle für mehr Östrogene in der Rapszene einsetzen, zeigen gerade La Neferas Erfahrungen mit, dass die HipHop-Szene aufgesplittet ist und es immer noch Männer gibt, die Frauen da nicht haben wollen. Ich denke, dass der Cypher gezeigt hat, dass wir uns mehr denn je bemühen müssen, alte, verrostete Denkmuster aufzubrechen und uns Emanzipation nicht nur auf die Fahne schreiben, sondern Frauen im Rap aktiv fördern sollten. Denn dann etablieren sich Talente wie eine La Nefera mit ihrem Auftritt am Bounce Cypher vielleicht als neue Identifikationsfigur für junge Frauen im Schweizer HipHop. Die Zukunft des HipHops ist auch weiblich.
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By the way: Wir teilen die Alben von La Nefera mit dir. Wenn du eins haben willst, schreib uns ein Mail an noisey.schweiz@vice.com mit dem Betreff “La Nefera” und deiner Adresse*.
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