Er ist Guillaume Bacchieri. Aber im Stadion von OGC Nizza kennen ihn alle nur unter seinem Spitznamen Biba. Biba ist der Capo von den Ultras Populaire Sud, der Nachfolge-Gruppierung der berüchtigten Brigade Sud. Ein Typ, der jedes Wochenende auf dem Zaun steht und seine Jungs nach vorne peitscht. Das heißt, wenn er nicht gerade Stadionverbot hat. Wir haben uns mit Biba getroffen und über Stadionumzüge, Stadionverbote und Erfolgsfans gesprochen.
VICE Sports: Du bist einer der wichtigsten Mitglieder der organisierten Fanszene in Nizza. Seit wann ist das so?
Biba: Seit der Saison 1997/1998, als wir noch in der zweiten Liga gespielt haben. Wir waren nur wenige auf der Tribüne, also war es recht leicht, den harten Kern in die Gruppe zu integrieren. Ich war damals aber nicht unbedingt der Aktivste.
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Wie wurdest du zum Capo? War das schon lange dein Wunsch?
Ich hatte anfangs gar keine große Lust darauf. Das hat sich 2010 dann so ergeben. Nach der Auflösung der Brigade Sud durch die Regierung und den Sanktionen, die damit einhergingen, hatten wir mehrere Monate lang keinen Capo. Marco und Tchoa, die beiden vorherigen Capos, konnten die Funktion nicht länger ausfüllen, da haben plötzlich mehrere Personen mich vorgeschlagen. Ich war nicht begeistert, habe aber dennoch beschlossen, das Heft in das Hand zu nehmen. Ich bin also zu unserem Hauptquartier gegangen und habe mich vorgeschlagen. So wurde ich dann zum Capo.
Hast du dich dazu befähigt gefühlt?
Ja. Ich war schon so lange dabei und innerhalb unserer Gruppe bekannt, ich habe also die nötige Autorität für den Posten mitgebracht. Dazu kommt noch, dass die anderen noch weniger Bock drauf hatten. Wir haben uns damals alle runterziehen lassen. Die Medien haben gegen uns gehetzt, genauso die Politiker .. Im Nachhinein ist klar, dass es echt nötig war, dass sich jemand wieder das Megafon geschnappt hat.
Du hast die Nachfolge von Tchoa angetreten, einem berühmten und sehr geschätzten Mitglied deiner Gruppe. War der Druck da nicht besonders groß?
Nein, nicht wirklich. Ich kenne ihn seit meiner Geburt, es gibt zwischen uns also keine Konkurrenz. Der Führungswechsel verlief reibungslos, auch von seiner Seite.
Was hast du empfunden, als du zum ersten Mal auf den Zaun geklettert bist?
Ich war an dem Tag in Topform und mega glücklich und stolz da oben zu stehen, vor meiner Gruppe. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass es eine heilige Weihe war, ich suche nicht den Ruhm. Aber es war eine riesige Ehre. Im Ray (dem alten Stadion von Nizza, Anm. d. Red.) waren wir 2.000 auf der Tribüne und ich kannte sie fast alle, das waren unglaubliche Emotionen.
Wie wurdest du von den anderen Fans aufgenommen? War es schwer, sie hinter dich zu vereinen?
Nein, nicht wirklich. Wie gesagt, wir hatten echt chaotische Monate hinter uns nach der Auflösung der Gruppe. Auch im Stadion herrschte eine Menge Frustration. Als dann endlich wieder jemand auf den Zaun geklettert ist, waren alle voll Motivation und Vorfreude. Ich habe meinen Leuten folgende Botschaft vermittelt: „Wir bewegen uns vielleicht in der Illegalität, aber die BSN ist eine Gemeinschaft, ein Gefühl. Wir müssen der Welt zeigen, dass wir nicht tot sind!”
Wie kann man Tausende Leute zum Mitbrüllen motivieren?
Die leidenschaftlichste Tribüne ist die mit frustrierten Fans. Darum war es am Anfang auch nicht wirklich schwer, meine Leute mitzureißen. Wenn du dann aber im tiefsten Winter mehrere Begegnungen am Stück verlierst und die Mannschaft ohne Herz spielt, kann es doch etwas kompliziert werden. Manchmal versuche ich es mit Humor, manchmal raste ich aus und schreie sie einfach an. Ich passe mich der jeweiligen Situation an. Wenn ich vom Zaun muss, um meine Leute einzupeitschen, dann mache ich das. Ich kann mich ziemlich gut selber pushen (lacht). Insgesamt ist es im neuen Stadion schwieriger geworden. Die Tribüne ist viel größer als vorher, es gibt viele neue Gesichter, zumeist Jüngere. Wenn ich sehe, dass bei uns jemand Selfies schießt, könnte ich ausrasten. Dann komme ich gerne mal rüber und erkläre den Sportsfreunden, dass sie hier nicht in der Schule sind.
Wahrscheinlich informierst du dich im Internet auch darüber, was andere Ultras so machen. Hast du irgendein bestimmtes Vorbild?
Was Gesänge und Choreos betrifft, nicht. Wir sind Nizza, wir haben unsere eigene Identität und der wollen wir auch treu bleiben. Geographisch betrachtet stehen wir natürlich Italien nahe, und von dort holen wir uns auch eine gewisse Inspiration. Aber mehr, was Teamführung betrifft sowie die Kunst, auf die Leute einzuwirken, vor allem auf unsere jüngeren Fans. Unsere Gruppe hat auch eine soziale Verantwortung, einige unserer jüngeren Fans leben nur für den Verein, da ist es wichtig, dass wir aufpassen, dass sie keinen Scheiß bauen. Wir haben auch einen guten Draht zur Sicherheitsabteilung unseres Vereins.
Viele Fans beschweren sich darüber, dass das neue Stadion keine großen Emotionen weckt. Ist es eure Aufgabe, das zu ändern?
Das ist auf jeden Fall unsere Aufgabe. Für diesen Zweck haben wir uns als Ultras Populaire Sud auch neugegründet. Es war nicht leicht, weil wir unter dem Namen Brigade Sud bekannt waren. Dieser Schritt wurde aber durch den Stadionumzug nötig. Jetzt wollen wir auch im neuen Stadion für mehr Stimmung sorgen. Das ist aber ein langfristiges Projekt.
Kann die Teilnahme an der Europa League in der nächsten Saison dabei behilflich sein?
Natürlich. Beim letzten Duell gegen Saint-Etienne kamen auch schon viele alteingesessene Fans zurück. Das kann die Gruppe stärken. Und dann kommen ja auch bald die Stadionverbotler zurück. Wir haben aktuell eine Menge Anfragen für unsere Gruppe. Das ist cool, aber ich hoffe, das ist nicht nur wegen der kommenden Europapokalspiele.
Wo wir gerade von Stadionverbotlern sprechen: Diese Situation kennst du ja auch sehr gut…
Genau, seit rund anderthalb Jahren. Im Dezember darf ich ins Stadion zurück. Der Grund für meine Strafe war, dass zwei Polizisten, die in einem anderen Block waren, angegeben haben, dass ich eine Rauchbombe gezündet hätte. Dafür habe ich acht Monate Stadionverbot bekommen. Dann habe ich eine weitere Strafe kassiert, weil ich nach einer Provokation vom Bastia-Torhüter aufs Spielfeld gelaufen bin. Ich gebe zu, dass das vielleicht nicht ganz so clever war. Ich wurde dafür wegen Stadiongewalt bestraft. Aber das ist mir egal, ich glaube, die wollte eh nur ein Exempel am Capo statuieren.
Die ersten Ultra-Gruppen traten vor mehr als 30 Jahren in Frankreich in Erscheinung. Trotzdem tun sich immer noch viele, vor allem auf Regierungsseite, mit dieser Welt schwer. Hast du eine Erklärung dafür?
Das große Problem in Frankreich ist, dass noch immer nicht zwischen Ultras und Hooligans unterschieden wird. Die Art, wie wir Ultras in den Medien dargestellt werden, führt dazu, dass der 08/15-Leser uns alle für einen Haufen wilder Gewalttäter hält. Die nationale Behörde zur Bekämpfung von Hooligangewalt nimmt jedes noch so kleine Vergehen mit auf, um ihre Statistik schön aufzublähen. Und wenn die Zahlen dann von den Medien abgedruckt werden, wird keinerlei Unterscheidung vorgenommen.