Wir haben einen Experten gefragt, ob die Welt sich wegen Nordkoreas Wasserstoffbomben-Behauptung fürchten muss

Gestern hat Nordkorea verkündet, erfolgreich eine Wasserstoffbombe gezündet zu haben. Sofort meldete sich eine ganze Reihe von Menschen zu Wort und sagte, dass in dem Land ziemlich sicher kein erfolgreicher Wasserstoffbomben-Test stattgefunden habe.

Das United States Geological Survey hatte seismische Wellen in der Größenordnung eines Erdbebens der Stärke 5,1 gemessen, was für eine nukleare Explosion spricht. Aus Pjöngjang hieß es außerdem, dass man dort in der Lage sei, seine Nuklearwaffen zu miniaturisieren und Raketen damit zu bestücken. Das würde es Nordkorea ermöglichen, Atomsprengköpfe auf alle imperialistischen Schweinehund-Feinde auf der ganzen Welt zu schießen. Der Beweis für diese Behauptung steht, wie eigentlich nicht anders zu erwarten, ebenfalls noch aus.

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Nichtsdestotrotz haben Politiker auf der ganzen Welt—inklusive China, Nordkoreas wichtigstem Verbündeten—nicht lange gewartet, Nordkoreas Behauptungen vehement zu kritisieren. In einem Statement, das der britische Schatten-Außenminister Hilary Benn gestern veröffentlichte, hieß es: „Wenn sich das bewahrheiten sollte, stellt der Atomwaffentest von Nordkorea eine klare Verletzung diverser Resolutionen des UN-Sicherheitsrates dar und ich verurteile dies aufs Schärfste.”

Da Nordkorea hinlänglich dafür bekannt ist, große Töne zu spucken, aber keine miniaturisierte Wasserstoffbombe zu besitzen, haben wir einen Experten zum tatsächlichen Gehalt der Behauptungen befragt. Dieser Experte ist John Sweeny von BBC Newsnight und Autor von North Korea Undercover—einem Buch über die Zeit, die er für eine Panorama-Reportage in dem Land verbracht hat (die BBC entschuldigte sich später dafür, einen Ausflug der London School of Economics als Tarnung benutzt zu haben, um in das Land zu kommen).

Am Telefon haben wir kurz über Nordkoreas aktuellste Drohgebärde gesprochen.

VICE: Glauben Sie, dass an Nordkoreas Behauptungen über einen Atomwaffentest etwas dran ist?
John Sweeney: Ja, weil die Amerikaner die Erdbeben-Erschütterungen nahe des Testgeländes gemessen haben. Die Nordkoreaner sind besser darin geworden, Bomben zu bauen, und die Chinesen unterstützen sie wirtschaftlich. Es sieht so aus, als würde Kim Jong-un das Geld verwenden, um Bomben zu entwickeln.

OK, also der Test war ein Erfolg, aber das heißt doch nicht zwangsläufig, dass sie die Bombe irgendwohin bekommen, wo sie auch wirklich Schaden anrichten könnte, oder?
Nein, der Haken an der Sache ist der: Eine Bombe zu bauen—Atombombe oder Wasserstoffbombe—ist heutzutage nicht mehr allzu schwer, wenn man Milliardensummen zur Verfügung hat und der Entwicklung oberste Priorität einräumt. Das Problem ist viel mehr, die Bombe zu schrumpfen und sie auf eine Rakete zu packen.

Glauben Sie, dass sie dazu in der Lage sind?
Menschen, die über entsprechende Informationen verfügen, gehen immer noch davon aus, dass die Nordkoreaner nicht in der Lage sind, Atomwaffen so weit zu verkleinern, dass sie damit Raketen bestücken können. Ihre Raketentests waren bislang auch nicht besonders erfolgreich. Ihre beste Testrakete ist hinter Japan in den Pazifik gestürzt, aber nicht auch nur annähernd in die Nähe der USA gekommen. Es gibt eine nordkoreanische Grafik mit einer Atomrakete, die Washington DC trifft, aber das ist ein Witz und bleibt auch ein Witz.

Die Welt bleibt also weiterhin ein unheimlicher Ort, aber nicht so unheimlich?
Die Nordkoreaner übertreiben die Fähigkeiten ihrer Raketen unglaublich. Sie stellen wirklich lächerliche Behauptungen auf. Sie haben eine Rakete, die 500 bis 800 Meilen [ca. 800 bis 1200 Kilometer] weit reicht, aber keine, die die mehreren tausend Meilen nach Amerika zurücklegen könnte.

Wenn die also sowieso immer übertreiben, warum sollten wir die neusten Behauptungen dann überhaupt ernst nehmen?
Wir sollten sie zumindest halbernst nehmen, weil schließlich noch die Gefahr besteht, dass man die Rakete auf ein Schiff verlädt und damit in einen Hafen fährt und sie dort hochjagt. Aber das wäre Selbstmord für Nordkorea und ich glaube nicht, dass Kim Jong-un Selbstmord begehen möchte.

Warum dann also der ganze Trubel?
Ich schätze, dass Nordkorea seine Atomwaffen und solche Ankündigungen dafür verwendet, um von enormen Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Und je mehr wir uns um die Bedrohung sorgen, die von Nordkorea ausgeht, desto weniger Raum bleibt in unseren Köpfen und Herzen für Nordkoreas normale Bevölkerung, die zweifelsohne leidet. Wir müssen diesem „Hoo-Ha” viel weniger Aufmerksamkeit schenken.

Sie haben gerade „Hoo-” gesagt, also nehme ich an, dass es gerade wirklich keinen Grund zur Sorge gibt.
Doch, es gibt durchaus Grund zur Sorge, weil dieser Wahnsinnige seinen Finger am Abschussknopf für Atomwaffen hat.

Was ist mit den übrigen internationalen Verbündeten von Nordkorea—bzw. dem, was von ihnen übrig ist?
Nordkorea hat heutzutage nur noch einen Verbündeten und das ist China. Die Chinesen müssen sehr genau aufpassen, was gerade passiert. Momentan verfügt Japan über keine Atomwaffen, aber wenn Nordkorea ihnen weiter mit der Atombombe droht, fangen sie vielleicht an, eine zu entwickeln und dann wäre China in höchster Alarmbereitschaft. Darin liegt die große Gefahr—es braucht nur eine Reihe von Fehleinschätzungen und man hat wieder eine Situation wie im August 1914. Die Lage zwischen China, Japan und anderen Ländern Südostasiens ist momentan sehr angespannt.

Nordkoreas Behauptungen könnten also im allerschlimmsten Fall zu einer Eskalation an allen Fronten führen?
Es besteht die Gefahr, dass Nordkoreas Rücksichtslosigkeit die Region destabilisieren könnte—sie könnte Japan dazu drängen, selber eine Atommacht zu werden. Es ist nicht direkt angsteinflößend, aber es ist auf jeden Fall beunruhigend. Die Realität sieht einfach so aus, dass Nordkorea einer der dunkelsten Orte auf der ganzen Welt ist.

Motherboard: Nordkoreas totalitäres Betriebssystem Redstar OS

Was das Leben der durchschnittlichen Menschen dort angeht?
Ja. Vergleich das nur mal mit den Teilen von Syrien und Irak, die momentan vom IS besetzt sind. 2003, als Saddam gestürzt wurde, konnte jeder im Irak eine Satellitenschüssel besitzen und frei Sender aus der ganzen Welt empfangen. Selbst Menschen, die im Gebiet vom IS leben, haben eine bessere Vorstellung davon, wie Demokratie funktioniert. Niemand in Nordkorea hat die leiseste Ahnung, was wir von ihrem Regime halten. Die leben in absoluter Dunkelheit. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass die BBC nach Nordkorea senden sollte—und die BBC arbeitet auch gerade daran.

Wie real würden Sie die Drohungen des Regimes aufgrund Ihrer Erfahrungen in dem Land einschätzen? Würde Nordkorea einen Atomkrieg anfangen, wenn es die Möglichkeit dazu hätten?
Als ich für die BBC dort war, war die Rhetorik sehr aufgeheizt. Man drohte den USA zu der Zeit mit einem thermonuklearen Krieg. Aber es gab da auch diese unglaubliche Diskrepanz zwischen dem, was sie dem Westen sagten und wie sie sich vor Ort verhielten—nämlich sehr fröhlich. Wir haben mit dem Oberst, der für die DMZ zuständig war, Selfies gemacht—davon ist auch eins in meinem Buch. Und am gleichen Abend sang unser Aufpasser bei der Karaoke „My Way” von Frank Sinatra. Das verdammte Lied singst du einfach nicht, wenn du dich im Krieg befindest.

Danke, John.