Wir haben einen Kindergärtner gefragt, wie man die Konflikte mit der Türkei schlichten könnte

Nazi-Vergleiche in alle Richtungen, den niederländischen Botschafter rausgeschmissen – die AKP-Regierung verhält sich gerade so diplomatisch wie ein Mähdrescher. Wer hat angefangen? Am Anfang stand die Verhaftung des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel in Istanbul, die für sehr viel Ärger zwischen Deutschland und der Türkei gesorgt hat. Mitten in diese Auseinandersetzung fielen die schon vorher geplanten Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland, die Menschen mit türkischem Pass, die hier leben, für eine Verfassungsänderung begeistern wollten.

Als Deutschland eine Reihe dieser Auftritte verbot, wurde Erdoğan so richtig wütend. Er verglich das Vorgehen der Deutschen mit der Nazi-Zeit und warf Angela Merkel vor, Terroristen zu unterstützen. Als auch die Niederlande ähnliche Wahlkampfauftritte verboten, eskalierte der Streit auch dort: Mittlerweile hat die Türkei alle offiziellen Kontakte zu den Niederlanden abgebrochen, nur um dagegen zu protestieren, dass sie sich ungerecht behandelt fühlt.

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Die ganze Situation ist so verfahren, dass eigentlich niemand mehr weiß, wie man das noch auflösen soll. Und irgendwie ist es auch so albern, dass man sich ein bisschen fühlt, als würde man einem Haufen Kindergartenkinder zuschauen, wie sie sich die Köpfe einschlagen. Und genau deshalb haben wir einen Kindergärtner gefragt, wie man die Situation jetzt noch entspannen kann. Tobias, 32, Erzieher in einem Waldorf-Kindergarten in Fürth, hat Antworten, um diese Krise der Weltpolitik zu entspannen.

Tobias (32), arbeitet als Erzieher | Foto: mit freundlicher Genehmigung

VICE: Erdoğan beschimpft Staatschefs, sperrt einen deutschen Journalisten ein und will den niederlänischen Botschafter nicht mehr im Land haben. Was ist denn da los?
Tobias: Das Erdoğan-Kind ist trotzig. Es will Bauklötze haben und bekommt sie nicht. Aus Wut wirft er den Deutschen vor, was am meisten Bums hat: der Nazi-Vergleich. Das Erdoğan-Kind haut dem Merkel-Kind damit eine rein. Genauso ist es in Holland. Es nimmt dem Rutte-Kind [Mark Rutte, Ministerpräsident der Niederlande, Anm. der Redaktion] aus Wut Bauklötze weg, weil er beleidigt ist, dass die Wahlkampfauftritte verboten wurden.

Woher könnte das Erdoğan-Kind die ganze Wut haben? Hängt ihm die Armenien-Resolution nach, hat es gar das Gefühl, von dem Merkel-Kind gemobbt zu werden?
Vielleicht. Wir müssen aber das tiefergehende Problem suchen, warum das Erdoğan-Kind immer so aggressiv reagiert. Möglich ist zum Beispiel, dass es zu Hause Stress gibt – Stichwort Putsch-Versuch – und es das mit in den Kindergarten nimmt. Vielleicht hat es den Umgang mit Konflikten nie anders gelernt.

Jetzt kommst du rein und siehst die Drei am Kabbeln. Was würdest du machen?
Ich würde dazwischengehen, die Drei beiseite nehmen und einen neutralen Ort suchen. Wir würden also in einen anderen Raum gehen …

… nach Russland, Afrika oder China.
Er sollte auf jeden Fall so wenig mit der Sache zu tun haben wie möglich. Dann versuche ich, als Mentor zu vermitteln.

Was sagst du zu den Reaktionen des deutschen und des niederländischen Kinds?
Das Merkel-Kind hat besonnen reagiert, aber fast zu ruhig. Solchen Kindern helfen wir immer etwas auf die Sprünge und machen klar: Du darfst auch mal Nein sagen. Das niederländische Kind hat sehr trotzig reagiert. Die beiden haben sich quasi mit Bauklötzen beworfen. Dem Rutte-Kind würde ich also sagen: Du kannst auch reden, versuche es nur diplomatischer.

Wenn dann alles ausgesprochen ist – sollen sich alle entschuldigen und die Hand geben?
In einer Kindergartengruppe – beziehungsweise hier auf dem Kontinent Europa – ist es sehr wichtig, dass sich alle soweit anpassen, dass es sozial verträglich ist. Wenn alle provoziert haben – und das war ja so, wenn auch verschieden stark –, müssen sich auch alle entschuldigen.

Was, wenn es trotz Gesprächen langfristig nicht klappt und sich die Drei immer wieder streiten?
Wenn der Konflikt die ganze Gruppe spaltet, müssen wir schauen, ob man die drei voneinander trennt und auf andere Gruppen aufteilt.

Das hieße dann, Erdoğan nach Russland abzuschieben?
Bevor man ein Kind in eine andere Institution bringt, muss schon sehr viel nicht geklappt haben: viele Gespräche, eine heilpädagogische Beratung. Ich denke, der Worst Case ist eher, dass Europa sich von der Türkei abwendet. Aber eine Einigung wäre natürlich besser.

Mit deiner Erfahrung als Erzieher: Kommt es vor, dass Kinder, die sich heftig streiten, danach trotzdem gute Freunde werden?
Das ist gar nicht unwahrscheinlich: Es gibt im Kindergarten unter den besten Freunden oft den schlimmsten Streit. Wenn man jemanden gern hat, nimmt man den Konflikt umso intensiver wahr. Aber wenn sie den Streit ausgesessen haben, dann können die Kinder wieder friedlich miteinander spielen, als wäre nichts gewesen.

Es gibt also Hoffnung.
Auf jeden Fall. Die Türkei und Deutschland haben viele Gemeinsamkeiten. Darauf müssen wir jetzt aufbauen.

Danke Tobias! Auf dass bald alle wieder friedlich sind.

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