Wir haben einen Psychologen gefragt, was das Dschungelcamp mit den “Stars” macht

Das Dschungelcamp ist Gerechtigkeit: Man sieht, wie Prominente, die—so dachten wir immer—viel reicher sind als wir, plötzlich leiden. Sie essen Würmer, können sich nicht schminken. Ein Leben ohne Hochglanz.

Eigentlich ist es aber nur ein Menschenzoo. Es würde nicht wundern, wenn Zuschauer ihre Fernseher rütteln würden: “Die Affen da sollen mal was machen!”

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Und in diesem Jahr wirken die Menschen, die wir über Wochen beobachten, besonders verstört: eine gebrochene Gina-Lisa, eine überforderte Hanka und eine am Rande des Zusammenbruchs grollende Kader.

Wir sorgen uns, dass den Teilnehmer vollends die Sicherungen durchschmoren, und haben deshalb bei Sascha Neumann, Diplom-Psychologe und Dschungel-Fan (fast) der ersten Stunde, nachgefragt, welche Diagnosen er stellt.

VICE: Was fasziniert dich am Dschungelcamp?
Sascha NeumannDrei Dinge: Zum einen interessieren mich die psychologischen Mechanismen. Dann das Filmische, die Schnitte, die Dramaturgie. Am Anfang gab es noch längere Sequenzen, da wurde nicht so albern geschnitten. Leider bekommt man in den letzten Jahren die authentischen Reaktionen der Campbewohner nicht mehr mit. Das ist schade. Drittens: Es macht einfach Spaß. Vor allem, wie RTL versucht, das Ganze auf eine intellektuelle Ebene zu heben.

Wie würdest du das beurteilen? Ist es unverantwortlich von RTL, diese Menschen in all ihren tiefsten Tiefen so zu präsentieren?
Das ist eine moralische Grundsatzfrage. Die Leute sind alle erwachsen, haben sich selber dazu entschieden, die haben was unterschrieben, kriegen Geld dafür. Man kann grundsätzlich fragen, ob sich Menschen im Fernsehen präsentieren sollten, das ist fast schon philosophisch.

Was ist denn dieses Jahr besonders? Ich habe den Eindruck, dass viele verlorene Persönlichkeiten mit ernsthaften Problemen teilnehmen.
Die hatten wir auch in den letzten Jahren. Sarah Knappik und wie sie alle hießen, die haben eine ordentliche Störung gehabt, das ist keine Frage. Ich kann ihnen auch eine psychologische Diagnose zuweisen. Dieses Jahr ist es besonders offensichtlich. Hanka sagte gleich von Anfang an, sie sei zwangsgestört. Das heißt: Sie muss ja vorher irgendwo untersucht worden sein. In meinen Augen sind unterm Strich aber nicht mehr oder minder Gestörte dabei als in den letzten Jahren.

Sascha Neumann | Bild mit freundlicher Genehmigung

Bist du dir sicher?

Ja, ich kann dir zu jedem Jahr nachträglich einige Diagnosen zuweisen. Das reicht von einer einfachen Alzheimerstörung bei Ingrid van Bergen bis hin zu den narzisstischen Störungen von Sarah Knappik und Larissa Marolt. Der Unterschied zwischen diesem Jahr und anderen Jahren ist die Aufrichtigkeit und die Ehrlichkeit einer Kader Loth und einer Hanka Rackwitz. Die anderen kommen da gar nicht mit. Gina-Lisa Lohfink hat ein Tabu, über verschiedene Themen zu sprechen, eine gescriptete Art, aber die beiden nicht.

Kader Loth sagte gestern: “Ich mache seit sechs Jahren Büroarbeit. In einem Jahr sind wir alle durch, da will uns keiner mehr sehen, also muss ich ja irgendwie vorsorgen.” Und: “Alle Zuschauer sind Arschlöcher.” Herrlich! Das ist aufrichtig Hanka Rackwitz stellt das sogar noch besser dar. Die ist gestört und die pullert ins Bächlein, keine Frage, aber gleichzeitig sagt sie auch Dinge genauso, wie sie sind und das macht den großen Unterschied zu den letzten Jahren aus.

Und Gina-Lisa kann das nicht liefern?
Genau. Zum einen reicht ihr Intellekt nicht dazu aus, man muss nämlich schon sagen, dass Kader Loth nicht doof ist. Gina-Lisa hat es da sicher intellektuell schwieriger. Zusätzlich habe ich den Eindruck, alles ist gescriptet, was sie sagt. Genauso bei Honey.

Wir sehen ja jedes Jahr ähnliche Typen, die sich leicht übertragen lassen. Es gibt zum Beispiel Micaela Schäfer, das ist dieses Jahr Sarah-Joelle. Und obwohl man das Gefühl hat, sie alle schon einmal gesehen zu haben, entwickelt sich das Format weiter. Und diese Weiterentwicklungen sind für mich dieses Jahr diese am Boden liegenden Menschen, die auch zugeben können, dass sie am Boden liegen. Hanka sagt: “Ich bin gestört und da ist auch nichts mehr zu holen.”

Gina-Lisa denkt, es läuft schon irgendwie. Sie sagt: “Wir sehen uns bald wieder, ich bin dann beim Promi-Dinner dabei.” Kader Loth hingegen sieht, dass das einfach nicht der Fall ist. Sie hat das ja schon zum vierten Mal durch. Sie war auf der Alm, sie war bei Big Brother et cetera.

Wie könnte man denn diesen Menschen als Zuschauer helfen? Sollte man nicht mehr für sie anrufen und sie damit bestätigen oder genau das Gegenteil?
Als Zuschauer haben wir da wenig Chancen, überhaupt etwas zu machen. Aber ich würde die auf jeden Fall drin lassen. Das ist wie eine Kur für die Kandidaten. Kader Loth kann man unheimlich gut fördern, Hanka Rackwitz genauso und auch noch einige der anderen könnten davon profitieren. Man kann sich leichter mit denen identifizieren. Hanka sagte gestern: “Überall diese Ärsche und Titten und diese künstlichen Wimpern, ich kann es alles nicht mehr sehen.” Das spricht uns Zuschauern aus dem Herzen.

Du hast gesagt, es wäre eine Kur. Was meinst du damit?
Ich glaube, sie werden dort als andere Menschen wieder herauskommen. Sie können sich dort nicht so schminken und darstellen. Vor allem für Hanka, wenn sie wirklich eine echte Zwangsstörung hätte, dann würde die das nicht überstehen. Man erkennt schon, dass vieles davon einfach nicht stimmt. Sie hat gestern zum Beispiel Nicole Mieth umarmt, jemand mit einer extrem ausgeprägten Störung würde das nicht tun.

Sie spielt also damit?
Sie akzeptiert, dass ihr das Etikett gegeben wurde. Da kann man sich ja reinsteigern. Wenn man einer Person sagt, sie hätte eine Zwangsstörung, dann kann sie sich danach verhalten und dann wird das auch stärker. Aber wir sehen, dass sie das nicht konsequent durchhalten kann. An vielen Stellen sieht man, dass sie zuckt, wenn ihr eine Hand zu nahe kommt, aber gestern in der letzten Szene wurde sie umarmt. Das ist inkonsequent und eine echte Störung ist nie inkonsequent. Ich würde ihr eher eine Depression als eine Zwangsstörung zuschreiben.

Wenn es diese psychischen Störungen schon immer gab und Hanka eigentlich auch gar nicht so verrückt ist, wie es gezeigt wird, wie kommt dann diese Ehrlichkeit zustande?
Keine Ahnung, woher das kommt und warum das jetzt so passiert ist. Aber es ist angenehm, das zu betrachten. RTL hat das vorher wahrscheinlich selbst nicht gewusst.

Welche Störungen landen den am häufigsten im Dschungel?
In erster Linie Narzissten, also Menschen mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Histrionisch ist in erster Linie die Auseinandersetzung mit sich selbst, ohne den Blick auf den anderen. Dazu gehört auch mangelnde Impulskontrolle, das hat es bisher ganz oft gegeben. Zum Teil auch, weil die meisten nicht die hellsten Kerzen auf der Torte waren, daher ist vieles sehr impulsgesteuert. Es gab Depressionen, Helmut Berger standen sie richtig im Gesicht. Dann war es bei Ingrid van Bergen mit dem Alter schon ganz schön haarig, diese schleichende Alterssenilität. Hier und da ist es auch mal ein bisschen was Schizoides dabei wie bei Larissa Marolt.

Und wie ist es, wenn man das in aller Öffentlichkeit auslebt?
Es ist heilsam, weil plötzlich der Kontext stimmt. Wenn man die schizoide Persönlichkeitsstörung von Larissa nimmt und die in diesen schizoiden Kontext packt, stimmt es ja wieder. Als Vergleich: Ein Hacker macht etwas Illegales, aber in einem bestimmten Kontext ist es förderlich und er verdient sogar Geld damit. Nämlich wenn er für große Unternehmen Sicherheitslücken findet. Und so ist es im Dschungel auch. Die sind ja in einer völlig reduzierten Umgebung, es passiert ja nichts, außer, dass man schlafen und irgendwelche seltsamen Sachen machen muss. Das ist schon so eine dermaßen surreale Situation, die einer Psychiatrie gleich kommt. Für die kann das extrem heilsam sein, weil sie sich hier an keine Norm halten müssen. Es ist eine außergewöhnliche Situation für außergewöhnliche Persönlichkeiten. Ich halte es bei bestimmten Störungen für super.

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