Wir haben einen Sexualtherapeuten gefragt, wer ‘Die Bachelorette’ gewinnt

Seit dem 14. Juni 2017 läuft die vierte Staffel der Bachelorette – und Single Jessica Paszka, bekannt aus einer früheren Staffel des Bachelors, versucht im Fernsehen unter 20 Anwärtern ihren Traummann zu finden. Was gesucht wird? Die große Liebe. So sagt es zumindest das Marketing des Senders RTL. Aber wie viel Romantik kann wirklich in so einem Format stecken? Was ist dran an der großen Liebesgeschichte vor laufenden Kameras? Ich beschloss, mich an einen Experten zu wenden: Roland Michna, einem Sexualtherapeuten aus Berlin.

Ich komme mit einem gekühlten Sixpack Bier in seiner Praxis an. “Hi, ich bin Roland” empfängt mich Michna gut gelaunt, “aber Bier trink’ ich nicht.” Kann man Die Bachelorette gucken, ohne dabei zu trinken? Eine Sendung, deren Konzept elementar darauf baut, überdurchschnittlich schönen Menschen überdurchschnittlich viel Alkohol einzuflößen? Ich werde es herausfinden.

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Bevor ich die Sendung anwerfe, gehen wir noch schnell in den Biomarkt und kaufen Mate. “Bachelor, das ist doch der Studienabschluss, oder?” fragt mich der Therapeut an der Kasse, und als ich ihm das Sendekonzept erkläre, schüttelt er den Kopf. “Du weißt aber, dass das alles nur Fake ist, oder?”

“Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jungs das richtig ernstnehmen. Ganz so blöd sehen die ja jetzt auch nicht aus.”

Klar, im Jahr 2017 wissen wir alle eigentlich, dass Datingshows und allgemein Reality TV nicht “echt” sind. Trotzdem schalten Woche für Woche fast zwei Millionen Zuschauer_innen ein. Zugegeben: Michna und ich gehörten nicht dazu. Niemand von uns hat bisher eine Folge des Formats gesehen. Beste Voraussetzungen also, um das Ganze fachmännisch zu kommentieren. Dafür ist das Konzept recht einfach. Insgesamt 20 Kandidaten buhlen um die Bachelorette und hoffen, am Ende jeder Folge eine Rose zu bekommen. Wer keine bekommt, fliegt raus. Wer weiterkommt, kann auf Einzeldates hoffen, um Jessica vollends von sich zu überzeugen.

“Naja, für sie ist das doch ganz süß?” lacht er, als das Intro läuft. “All diese Männer, die sich um sie bemühen.” Die Art und Weise, wie die Kandidaten vorgestellt werden, erinnert ihn an Fußballer. “Manege auf und dann kommen da so Archetypen rein” sagt er. Sie sähen sich allerdings alle sehr ähnlich, und wo er es erwähnt, fällt mir auf, dass er recht hat. “Es gibt ja kaum noch Dreißigjährige ohne Bart – oh doch, einer!” Wo sie sich bei der Gesichtsbehaarung kaum unterscheiden, tun sie es laut Michna nur noch in Details. “Einer muss eine Baseball-Kappe tragen, dann gibt es einen Tätowierten, einer ist mit Sicherheit gepierct” mutmaßt er, und genau in dem Moment erscheint Kandidat David auf dem Bildschirm. Er trägt ein Nasenpiercing. Gruselig. Michnas Timing, nicht das Piercing.


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Ob das eine unnatürliche Situation sei für die Männer, in so einer künstlichen WG zusammenzuleben, will ich von ihm wissen. “Eigentlich verstehen sich Männer ja ganz gut bei sowas. Das hat ja auch ne Tradition: Fußballmannschaften, Krieg, Kompanie.” Und Bachelorette. Der Vergleich zum Krieg kommt immer wieder zur Sprache: Die Kurzhaarschnitte sähen aus als passe “überall ein Helm drüber, so wie 1914 kurz vorm Kriegsausbruch”, sagt Michna. Mit Krieg oder Kampf hat das Konkurrenzverhalten der Männer um die Bachelorette jedoch nicht viel zu tun. “Das männliche Leben ist geprägt von Kumpanei. Da gibt es eine gewisse Tradition, auf einer bestimmten Ebene gut klarzukommen und ich kann mir vorstellen, dass sie da einigermaßen fair miteinander umgehen”, ist der Sexualtherapeut überzeugt.

“Ich würde denen eher zu Ecstasy raten, da lernt man sich besser kennen.”

Aus Sicht des Senders dürfte das eher enttäuschend sein, schließlich sind es beim männlichen Bachelor insbesondere die Streits zwischen den konkurrierenden Frauen, die für künstliche Spannung sorgen. Auch bei der Bachelorette blendet RTL immer wieder Szenen ein, die Konflikte zwischen den Teilnehmern suggerieren sollen. Michna ist allerdings nach wie vor nicht überzeugt. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jungs das richtig ernstnehmen. Ganz so blöd sehen die ja jetzt auch nicht aus.” Ich zucke mit den Schultern. Insgeheim denke ich schon, dass sie das ernst nehmen, schließlich besteht ja oft die Hoffnung, dass aus einer Teilnahme an so einer Show eine Karriere entspringen kann. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass Michna mit der Jobbeschreibung “Influencer” etwas anfangen kann, also schweige ich.

Kann man in einer Sendung, in der so viel gescriptet ist, überhaupt erkennen, ob Menschen sich tatsächlich mögen? Laut Michna ja. “Beim Küssen zum Beispiel.” Geküsst wird in der Sendung nicht so viel, dafür geht die Bachelorette in der vierten Folge, die wir zusammen gucken, dauernd auf Dates, wo sie sich verletzt. “Wollen die sie umbringen?” fragt Michna irgendwann, als Paszka schon wieder irgendwo hinfällt. “Da müssen natürlich hysterische Schreie dabei sein”, ganz der stereotypen Rollenverteilung nach. “Da kommen sie alle, die Retter.” Mich ödet die gespielte Hilflosigkeit der Frau an. Vielleicht einer der Gründe, warum ich solche Formate nur selten einschalte. “Es geht um die Erzeugung von Bildern” sagt der Therapeut, als wir über diese surrealen Situationen sprechen. “Ich sehe da nur Männekens, die aussehen als würden sie in den Krieg ziehen wollen, und kleine Prinzesschen, die ihnen zublinzeln.”

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Als ich ihn frage, ob man sich beim durch die Wüste im Auto rasen überhaupt kennenlernen kann, rollt er die Augen. “Ich würde denen eher raten, mal schön Ecstasy zu nehmen, ein paar Tage durchzufeiern oder gemeinsam in den Urlaub zu fahren.” Da könne man sich besser kennenlernen. Ich lache, doch Michnas Grundgedanke erscheint mir nicht falsch: Zeit zu verbringen müsse das Ziel sein, miteinander statt nebeneinander her.

“Der ist auf jeden Fall souveräner” findet der Experte, als Bachelorette Jessica nach dem ersten Autounfall ins Auto von David wechselt. “Manche Männer haben’s so richtig drauf, die Frauen zuzulabern” erwidert er auf meine Beobachtung, dass die beiden jetzt auf jeden Fall mehr miteinander zu sprechen scheinen. “Manche Frauen kommen dann gar nicht von denen weg, weil die immer neue Themen finden. Das ist wie verbales Kidnapping.” Klingt ja sehr sympathisch.

Bedeutet das allerdings auch, dass David die Sache schon im Sack hat? Oder hat doch Sebastian die besseren Chancen, ein Fitnesstrainer mit dunklen Haaren und Bart, der als nächstes ein Einzeldate mit der Bachelorette hat?

“‘Ich will gefickt werden’ sagt der Blick, aber das wollen sie ja alle.”

“Lehrer-Typ”, kategorisiert Michna sofort. “Die haben immer ‘ne spezielle Erotik.” Männer dieser Kategorie würden so tun als wüssten sie wo’s lang geht (“Weiß er natürlich nicht”) und würden an den Vater erinnern (“Papi-Instinkt”). “Man muss den Papi beschützen und das löst einen Milchtreiberinstinkt aus” erklärt er. Ich stutze. Bei ihr oder generell? Michna holt etwas weiter aus und spricht von frustrierten Männern, deren Traurigkeit auf ihre Töchter abstrahlt. Ein Faktor, der bei der späteren Partnersuche eine entscheidende Rolle spiele – zumindest bei heterosexuellen Frauen. Frauen suchen sich ihre Männer also rein nach ihren Daddy Issues aus? Beruhigend. “Wie soll’s denn auch sonst sein?” schnaubt er. Schließlich müsse die Blaupause dazu, wie man sich gegenüber dem anderen Geschlecht verhalte, ja irgendwo herkommen. “Wir sind ja nicht vom Himmel gefallen.”

Sebastian habe einen “Lehrer-Blick”, auf der einen Seite nachdenklich, auf der anderen Seite alleine und traurig. “‘Ich will gefickt werden’ sagt der Blick” summiert Michna, “aber das wollen sie ja alle.” Als das Date vorbei ist, verabschieden sich die Bachelorette und der Fitnesstrainer etwas distanziert voneinander. “An den Lehrer-Typ glaube ich nicht mehr” überlegt der Sexualtherapeut laut und die Rehaugen hätten ja schließlich alle Kandidaten. Trotzdem will er Sebastian im Rennen nicht endgültig ausschließen.

In der Sendung wird Jessica gerade von Kandidat Johannes von der Gruppe weggelotst, um zu zweit zu sprechen. Ich will von dem Therapeuten wissen, wie Johannes Chancen stehen. “Na ja, was viele Frauen ja mögen: Überzeugtheit”, erklärt er, “so eine Schwanz-Überzeugtheit.” Uhm, was? Wer mit einer ihn vergötternden Mutter aufwachse, könne später in eine Art körperlich-emotionalen Größenwahn fallen: ohne Angst vor der eigenen Sexualität oder dem anderen Geschlecht.

Trotz allem bewusst nach außen getragenem Selbstbewusstsein, sei bei der Bachelorette jedoch kein solcher “Hengst” zu finden – sorry Johannes. Die anderen hätten auch gar keine Chance dagegen, meint Michna, schließlich würden solche “Bezirksbegatter” unwiderstehlich auf viele Frauen wirken. “Die gehen sehr in die Säfte rein. Weißte, was ich meine, ne?” Ja, Oralsex, kenne ich, danke. Ich überlege: Falls das stimmt, wäre es auf jeden Fall klug von den Machern, solche Männer vorher auszusieben. Ob Psychologen die Bewerbungen lesen?

Es gibt keine wahre Liebe, Erotik ist tot und selbstbewusste Männer sind Muttersöhnchen.

Nach mehreren potentiell lebensbedrohlichen Dates, die die Bachelorette als hilfloses Mäuschen stilisieren und den Kandidaten die Chance geben, sich als besonders männlich zu präsentieren, ist der Sexualtherapeut zu einem Fazit gelangt: “Sie braucht fürs Grobe einen Typen, der mit Muskeln ausgestattet ist – falls sie sich mal ein Bein bricht oder so.” Das bedeute allerdings nicht, dass sie sich von ihrem Partner die Welt erklären lassen möchte. “Die wirkliche Steuerung wird sie sich nicht aus der Hand nehmen lassen.” Das ist das Netteste, was Michna bisher über die Kandidatin gesagt hat. Wir merken uns: Augen offenhalten nach einem Kandidaten, der nach außen hin bewusst souverän wirkt, gleichzeitig aber klar durchblicken lässt, dass er sie als die eigentlich stärkere Person akzeptiert.

Sebastian und Johannes sind in der dramatisch inszenierten “Nacht der Rosen” beide eine Runde weitergekommen. Dafür fliege ich so langsam raus, denn ein Patient ist gekommen. Wir diskutieren noch eine Weile zu Dritt weiter, bevor ich losgehe. Ich bin müde. Nicht mal so sehr von der Sendung, sondern weil wir so viel und intensiv diskutierten. Ich war nicht wirklich darauf vorbereitet, wie zynisch der Sexualtherapeut sein würde. Es gibt keine wahre Liebe, Erotik ist tot, selbstbewusste Männer sind Muttersöhnchen und Familien geben alles von Generation zu Generation aneinander weiter? Wenn das die ernüchternde Realität ist, sind zwei Stunden gespielte Romantik pro Woche vielleicht doch nicht so schlimm.

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