In den vergangenen zwei Jahren konnten die Bewohnerinnen und Bewohner Amsterdams erleben, wie es ist, in einer Stadt zu leben, die nicht jedes Wochenende von eskalierenden Partytouristen heimgesucht wird. Das pandemiebedingte Fortbleiben der rotäugigen und kichernden Massen war für viele eine befreiende wie – nun ja – ernüchternde Erfahrung. Denn was bleibt von Amsterdams Stadtzentrum, wenn dort keine mit Kiffermerch geschmückten Touristen mehr herumschlurfen?
Zur großen Freude der Touristen und Coffeeshop-Besitzer wurden alle Reisebeschränkungen aufgehoben und zwischen den Grachten riecht es wieder klebrig-süß nach Marihuana. Aber wie lange noch?
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Amsterdams regierende grüne Bürgermeisterin Femke Halesema hat nämlich keinen Bock mehr auf die Drogentouristen. Die Politikerin von der Partei GrönLinks reichte im Januar 2021 formell einen Gesetzentwurf ein, nach dem die 167 registrierten Coffeeshops der Stadt nicht länger Gras an Touristen verkaufen dürften. Nur noch Einheimische würden die Läden betreten dürfen. In anderen niederländischen Gemeinden wie Maastricht gibt es solche Regelungen bereits.
Halsema ist davon überzeugt, dass diese Gesetzesänderung Amsterdam für seine 900.000 Einwohnerinnen und Einwohner zu einer Stadt machen würde, die sicherer und lebenswerter sei. Auch den Rotlichtbezirk De Wallen will die Bürgermeisterin in einen Randbezirk umsiedeln lassen. Nicht alle sind von ihren Plänen überzeugt. Einige Mitglieder der Stadtverwaltung fürchten, das Gesetz treibe die Touristen lediglich in die Arme von Straßendealern. Vor allem die Coffeeshop-Besitzer und ihre Angestellten sind – wenig verwunderlich – alles andere als begeistert.
Kurz nachdem Halsema ihren Vorschlag 2019 zum ersten Mal öffentlich gemacht hatte, wurde eine Umfrage unter 100 Touristinnen und Touristen im Alter von 18 bis 35 Jahren durchgeführt. Sie ergab: 34 Prozent von ihnen würde Amsterdam wahrscheinlich seltener besuchen, wenn sie die Coffeeshops nicht mehr betreten dürften.
Und wie sieht das ein paar Jahre und eine Pandemie später aus? Um das herauszufinden, haben wir einen Nachmittag im Prix D’Ami verbracht, dem wahrscheinlich ersten Coffeeshop, den Touristen sehen, wenn sie am Hauptbahnhof ankommen. Aus Gründen der Privatsphäre nennen wir hier nur ihre Vornamen.
“Wenn sie die Pläne der Bürgermeisterin umsetzen, komme ich nicht wieder her”
Den Touristen zu verbieten, die Coffeeshops zu besuchen, halte ich für keine gute Idee. Dann wird das hier einfach wie in England sein. Da musst du dich irgendwo mit einem zwielichtigen Drogendealer treffen, wenn du Gras kaufen willst. Das ist ziemlich unheimlich – vor allem für Frauen.
Ich kann schon verstehen, dass die Stadt lieber weniger Drogentouristen hätte, und ich glaube auch, dass die Pläne der Bürgermeisterin Wirkung zeigen könnten. Aber wenn sie das umsetzen, komme ich nicht wieder her. Es gibt nur zwei Dinge, die ich gerne in Amsterdam mache: Coffeeshops besuchen und Zeit im Rembrandt-Museum verbringen. Ersteres könnte ich nicht mehr und Letzteres habe ich schon ein paar Mal getan. Viel bliebe mir dann nicht mehr. – Alice, 25, Großbritannien
“Idealerweise wäre ich für immer stoned”
Eigentlich bin ich für eine Technoparty nach Amsterdam gekommen, aber ich habe Tag und Nacht in Coffeeshops verbracht. Ich liebe es, bekifft zu sein. Idealerweise wäre ich für immer stoned. Wenn ich als Tourist nicht in die Shops dürfte, würde ich einfach Einheimische auf der Straße fragen, ob sie mir Gras kaufen können. Ich bin mir sicher, dass einen Haufen Leute gibt, die das gerne machen, wenn man sie ein bisschen bezahlt. – Gal, 23, Israel
“Es macht mir einfach Spaß”
Ich liebe Kiffen. Deswegen finde ich Amsterdam so toll. Beim Kiffen geht es mir nicht um Eskapismus, es macht mir einfach Spaß. Ich bin vor drei Tagen hier angekommen und direkt in einen Coffeeshop gegangen. Seitdem habe ich bestimmt 14 Gramm geraucht. Wenn der Vorschlag der Bürgermeisterin durchkommt, komme ich wahrscheinlich nicht zurück nach Amsterdam. Museen, lustige Leute und Straßendealer gibt es auch in London. – Anna, 21, Großbritannien
“Ich habe dank Cannabis eine Menge erreicht”
Ich rauche eine Menge Gras, weil ich finde, dass es meiner Psyche guttut. Stoned zu sein, hilft mir, mit der Gesellschaft klarzukommen – und mit mir selbst. Ich habe dank Cannabis eine Menge erreicht: Ich habe meine finanziellen Probleme in den Griff bekommen, an meiner Gesundheit gearbeitet und es hat dazu beigetragen, die Gesundheit meiner Familie zu verbessern. Ich liebe das Kiffen, aber letztendlich bin ich hier wegen der freundlichen Einwohner Amsterdams. Ich würde auch herkommen, wenn ich die Coffeeshops nicht mehr betreten dürfte. – Ralph, 29, Indien
“Ich würde mich diskriminiert fühlen”
Ich liebe Amsterdam wegen seiner Grachten und den Coffeeshops. Deswegen besuche ich tendenziell auch eher die Cafés mit Kanalblick. Wenn ich zu Hause bin, rauche ich etwa ein Gramm Gras am Tag, hier sind es eher vier. Trotzdem merke ich nicht viel davon, weil ich inzwischen eine große Cannabis-Toleranz aufgebaut habe.
Wenn die Cafés mich nicht mehr bedienen dürften, würde ich nicht gerade heulen, aber ich würde mich diskriminiert fühlen. Ich würde aufhören, die Stadt zu besuchen, wie wahrscheinlich viele andere Touristen. Deswegen halte ich das auch für keine schlaue Idee. Coffeeshops sind große Touristenattraktionen. – Melita, 20, Großbritannien
“Ich würde in Utrecht Urlaub machen. Ich weiß nicht, wie es da ist. Aber ich mag den Namen”
Ich finde es gerade schwer, etwas Gehaltvolles dazu zu sagen, weil ich unfassbar stoned bin. Aber ich versuch’s: Ich liebe Weed. Wenn ich nicht länger in Amsterdams Cafés darf, werde ich anfangen, Urlaub in anderen niederländischen Städten zu machen, Utrecht zum Beispiel. Ich weiß nicht, wie es da ist, aber ich mag den Namen Utrecht. Ich würde auch in einem ausgestorbenen Bauerndorf Urlaub machen. Mir ist egal, dass es dort keine Coffeeshops gibt. Ich würde einfach in der Natur chillen. Wie du dir vielleicht bei meinem Namen denken kannst, mache ich das sehr gerne. Ocean ist nicht nur ein Name: Es ist, was ich bin. – Ocean, 20, Israel
“Kiffen hilft mir, mit meinen psychischen Problemen klarzukommen”
Ich bin vor allem wegen der Coffeeshops hier. Wenn ich in so einem Laden wie hier rauche, fühle ich mich sicher. Zu Hause in Großbritannien bin ich gezwungen, zu einem Dealer zu gehen, und das mag ich nicht. Du musst an unheimliche Orte gehen und dich mit gruseligen Leuten treffen. Du läufst immer Gefahr, verarscht zu werden, schlechtes Zeug zu kriegen oder im schlimmsten Fall von der Polizei verhaftet zu werden.
Gras ist wichtig für mich, weil es mir dabei hilft, mit meinen psychischen Problemen klarzukommen. Ich bin autistisch, was bei mir Stress und Angststörungen verursacht. Kiffen beruhigt mich. Ich habe Probleme in sozialen Situationen und kaum Freunde. Wenn ich einen Joint geraucht habe, ist es für mich leichter, mit Menschen zu sprechen. Trotzdem würde ich immer noch nach Amsterdam kommen, wenn ich nicht mehr in die Coffeeshops darf. Es wäre aber schon ein bisschen schade: Nichts ist besser, als zwischen den Coffeeshops und den Museen hin- und herzupendeln. – Chloe, 21, Großbritannien
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