Wir haben Max Verstappen gefragt, warum er so frech ist

Man sagt oft, dass das Alter nur eine Zahl sei. Wenn jemand gut genug ist, ist der Umkehrschluss, dass er auch alt genug ist. In der Welt des Sports tauchen immer wieder Wunderkinder und Riesentalente auf, die die bestehende Hackordnung durcheinander bringen und sich anschicken, zum nächsten Superstar ihres Sports zu werden.

Aber machen wir uns nichts vor: Natürlich ist die Erfahrung, die mit dem Alter einhergeht, im Normalfall von entscheidender Bedeutung. Dass man mit dem Alter besser wird, liegt vor allem daran, dass man an Erfahrung reicher ist. Man weiß mehr, hat aus seinen Fehlern gelernt und für sich herausgefunden, was persönlich am besten funktioniert. Es dauert seine Zeit, in der Regel etliche Jahre, um ein Meister seiner Sportart zu werden. Auch für das Ziel, in der Formel 1 um den Titel mitzufahren, braucht es—neben Talent und den richtigen Sponsoren—eine ganze Menge Zeit und Geduld.

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In diesem Sinne ist Max Verstappens Aufstieg in der Welt des Motorsports einfach nur blanker Wahnsinn. Verstappen sorgte am 15. Mai für Schlagzeilen, als er im Alter von gerade mal 18 Jahren und 228 Tagen den Großen Preis von Spanien gewann—und war ab diesem Tag jüngster Sieger der F1-Geschichte. Für den Ex-Toro-Rosso-Fahrer war es sein allererstes Rennen nach seiner Beförderung zum Red Bull Racing Team. Das war schon stark genug. Aber was es wirklich beeindruckend machte, war die Ruhe und Abgeklärtheit, die er hinter dem Steuer an den Tag legte. Er fuhr so, als hätte er schon Dutzende Formel-1-Rennen auf dem Buckel.

Rund ein Jahr zuvor hatte er seinen ersten Rekord in der Formel 1 in der Tasche. Als er beim Großen Preis von Australien 2015 ins Rennen ging, war Verstappen 17 Jahre alt.

Wir haben uns vor Kurzem mit Max zusammengesetzt und ehrlich gesagt nach wenigen Sätzen vergessen, dass er 19 Jahre alt ist. Es ist überhaupt schwer, sein Alter einzuschätzen. Denn der junge Mann mit dem Milchbubi-Gesicht sprach wie ein alter Hase, ohne dass es aufgesetzt wirkte. Wenn man sich überlegt, wie 19-Jährige sonst so ticken, wird wieder einmal bestätigt: 19 ist auch nur eine Zahl.

Foto: Red Bull Content Pool

Verstappen kommt bekanntlich aus einer Rennfahrerfamilie. Sein Vater Jos startete zwischen 1994 und 2003 bei 106 Formel-1-Rennen und kam auf zwei Podiumsplatzierungen. Während der Saison 1994 fuhr er für kurze Zeit im selben Team wie Michael Schumacher. Doch nicht nur von seinem Vater hat er Rennsportgene mitbekommen. Auch seine Mutter, Sophie Kumpen, gewann im Kartsport mehrere Titel, während sein Großvater mütterlicherseits, Paul Kumpen, ein Rallycross-Champion war. Und sein Onkel, Anthony Kumpen, war ein erfolgreicher Rennfahrer in verschiedenen Serien.

Darum sind Max’ Kindheitserinnerungen an Rennsport auch nicht die eines Dreikäsehochs, der vor dem Fernseher Formel 1 glotzt: „Ich war drei oder vier Jahre alt, als ich zum ersten Mal in einem Formel-1-Wagen sitzen durfte”, erzählt er. Ungefähr zur selben Zeit nahm er auch zum ersten Mal in einem Go-Kart Platz. „Ich war rund vier Jahre alt und konnte den Start gar nicht erwarten. Ich habe den ganzen Tag den Helm aufgehabt.

„Ich bin in einem echten Motorsport-Umfeld aufgewachsen”, fährt er fort. „Meine Familie war für meine Karriere sehr wichtig, vor allem mein Vater, weil wir immer zusammen gereist sind. Er war mein Motorentuner, mein Mechaniker, wir haben einfach immer alles zusammengemacht.”

Auch heute ist sein Vater ein entscheidender Baustein in der Karriere seines Sohns. Er half Max dabei, bei Toro Rosso unterzukommen, und ist sein wohl größter Kritiker.

„Auch nach einem guten Rennen von mir bleibt er kritisch”, sagt Max. „Wenn ich zum Beispiel Zweiter werden würde, würden wohl die meisten Leute sagen, ‚Wow, super Rennen’. Mein Vater aber würde raushauen, ‚OK, super mit dem zweiten Platz, aber ich sag dir jetzt mal, wo ich noch Luft nach oben sehe.’”

Jos Verstappen (rechts) feiert zusamen mit Teamkollege Michael Schumacher und Damon Hill auf dem Podium // Foto: PA Images

Auch wenn Verstappen noch immer ein Newcomer ist, treibt er in der Szene schon seit Ewigkeiten sein Unwesen. Da wäre beispielsweise ein Foto von Max als Kleinkind, wie er Schumi trifft, oder ein anderes, wie er als Kartfahrer mit Jenson Button posiert (gegen den Briten fährt er jetzt Rennen, genauso wie schon sein Vater).

Wie die meisten Formel-1-Fahrer hat auch Verstappen sein Handwerk im Kartsport gelernt, wo er zahlreiche nationale und internationale Titel gewinnen konnte. Er glaubt, dass „80 Prozent” von dem, was er in Go-Karts gelernt hat, auf die Formel 1 übertragen werden kann. „Die Basics lernt man im Go-Kart” Zwischen seiner Kart- und seiner Formel-1-Karriere fuhr er—wenn auch nur kurz—in der Formel-3-Serie mit. Genauer gesagt nur eine Saison, in der er 10 Rennen für sich entscheiden konnte, bevor er den Sprung zu Toro Rosso in die Formel 1 wagte.

„Das waren beides große Sprünge”, sagt er hinsichtlich seiner bisherigen Karriere, „aber für mich war der größere Sprung mein Wechsel in die Formel 3, weil es ein komplett anderes Fahren als beim Go-Kart ist. Man muss erst einmal in Ruhe verstehen, wie man zu fahren, bremsen und die Kurven zu nehmen hat.

„Meine Herangehensweise in der Formel 1 ist dieselbe wie vorher”, erzählt er weiter. „Man sitzt einfach nur in einem größeren und schnelleren Auto.”

Verstappens Debüt in der Formel erinnerte an Kimi Räikkönens Aufstieg in die Formel 1 mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Der Finne war älter, er gab sein Debüt mit 22, hatte aber weniger Rennen auf dem Buckel als der 17-jährige Verstappen. Wie Verstappen galt auch Räikkönen als zu jung und unerfahren. Und wie Verstappen strafte auch Räikkönen seine Kritiker schon bald Lügen.

Verstappen feiert seinen ersten Sieg, während F1-Veteran das Nachsehen hatte // Foto: PA Images

Angesichts dieser Parallelen überrascht es irgendwie nicht, dass sich Räikkönen und Verstappen in dieser Saison schon mehrfach magnetisch angezogen haben. Der eine ist der jüngste Fahrer im Feld, der andere der älteste und zwischen beiden herrscht eine genauso faszinierende wie intensive Rivalität. Als Verstappen im Red-Bull-Boliden den Großen Preis von Spanien gewann, war es Kimi, dessen Angriffe er in den letzten Runden abwehren musste. Seitdem sind sie sich noch mehrfach auf der Rennstrecke in die Quere gekommen. Räikkönen hat Verstappens robuste Defensivtaktik öffentlich kritisiert, vor allem nach dem Belgien-Grand-Prix.

Als ich von ihm wissen will, ob er gegenüber Weltmeistern wie Räikkönen anders auftritt als gegenüber Fahrern in der Formel 3 oder im Kartsport, wirkt Verstappen fast ein bisschen überrascht: „Die sind sich alle ziemlich ähnlich”, meint er schulterzuckend. „Natürlich haben sie WM-Titel gewonnen, aber als Fahrer macht das keinen Unterschied. Sie haben natürlich mehr Erfahrung, aber auf der Rennstrecke sind alle Gegner gleich.”

Es sind solche Aussagen—und sein Hang zu Kontroversen—, die dazu geführt haben, dass Max schon jetzt mit Fahrern wie Schumacher und Senna verglichen wird. Beide kannten im Rennen keine Freunde und scherten sich nicht um ihren Ruf, als sie die Formel-1-Szene betraten. Beide gewannen Grand Prix um Grand Prix, aber haben sich im Laufe ihrer Karriere nicht immer nur beliebt gemacht. Es fällt einem nicht schwer, Verstappen einen ähnlichen Kurs einschlagen zu sehen.

Wenig überraschend ist der Hype um seine Person schon jetzt immens. Als jüngster Grand-Prix-Gewinner aller Zeiten rechnet die Fachwelt fest damit, dass er in seinem Sport Großes erreichen wird. Gleichzeitig bedeutet die Tatsache, dass er bei den Schwergewichten von Red Bull unter Vertrag steht, dass er in einer Tour von den Medien kritisch beäugt wird. Mit seinen 19 Jahren sieht er sich schon jetzt einer immensen Erwartungshaltung ausgesetzt—und das in einem Sport, der bekanntlich eh für maximalen Leistungsdruck steht.

„Ich versuche nicht, daran zu denken”, sagt er, ohne zu zögern. „Ich konzentriere mich auf das, was ich auf der Strecke zu tun habe. Alles andere interessiert mich nicht.”

Foto: Patrick J. Barrett

Auch wenn er den Hype ausblendet, ist dieser nicht von der Hand zu weisen. Kein Wunder, wenn man sich anschaut, wie abgebrüht Verstappen von seinem ersten Grand-Prix-Wochenende an rüberkommt. Und führt man sich vor Augen, wie eiskalt er den früheren Weltmeister Räikkönen bei seinem Sieg in Spanien hinter sich lassen konnte, kann man die Unkenrufe von Max als kommenden Dominator in der Königsklasse des Motorsports gut nachvollziehen. Es gibt in der Formel 1 nur wenige, die nicht glauben, dass Verstappen früher oder später—aber eher früher—den Titel holen wird. Er selbst, passend zu seinem Auftreten auf der Strecke, gehört nicht dazu. „Wir müssen es nur in die Tat umsetzen”, sagt er. Und spricht so, als ginge es um den nächsten Strandurlaub.

Wenn Verstappen den Titel in den nächsten paar Jahren holen sollte, würde er Sebastian Vettel als jüngsten Weltmeister aller Zeiten ablösen. Dem misst er aber nach eigener Aussage keine große Bedeutung bei: „Daran denke ich nie. Das Wichtigste ist für mich, dass ich eines Tages Weltmeister werde. Ich muss nicht der jüngste sein. Das wäre zwar nett, aber nichts, worauf ich mich konzentriere.”

Wie gesagt: Das Alter ist am Ende auch nur eine Zahl.