Alle Fotos von der Autorin, sofern nicht anders angegeben
Missverständnisse kommen selten allein. Im Vorfeld der Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung von Personen der dritten Ausländergeneration warnen uns Plakate vor “Masseneinbürgerung” oder der Einbürgerung nicht integrierter, weil verschleierter Frauen. Um es vorweg zu nehmen: Auch mit einem Ja am 12. Februar werden die Begünstigten weiterhin ein Einbürgerungsgesuch stellen müssen, wird ihre Integration genauso geprüft werden wie zuvor. Die Erleichterung besteht lediglich in kürzeren Verfahren und damit zusammenhängenden tieferen Kosten.
Schon heute wird Personen, die bestimmte Kriterien erfüllen, eine Einbürgerung vereinfacht. Zusätzlich zu den schweizweit geltenden Bundesnormen, die etwa für Ehepartner von Schweizern tiefere Einbürgerungshürden vorsehen, können Kantone und Gemeinden für weitere Personenkreise Vereinfachungen vorsehen.
So können etwa im Kanton Zürich wohnhafte Ausländer, die in der Schweiz geboren sind, gemäss Gemeindegesetz nach zwei Jahren Wohnsitz in ihrer Gemeinde ein Einbürgerungsgesuch stellen und müssen nicht die von den Gemeinden festgesetzten Wohnsitzdauern erfüllen, die meist über zehn Jahre beträgt. Jungen Leuten stellen viele Kantone ausserdem tiefere Gebühren in Rechnung. Viele Schweizer Gemeinden verzichten zudem bei Einbürgerungskandidaten, die hier zur Schule gegangen sind, auf die Ablegung eines Sprachtests.
Videos by VICE
Auch mit Vereinfachungen erleben die entsprechenden Ämter keinen Ansturm von Einbürgerungsberechtigten. VICE hat Personen getroffen, die in den Genuss einer solchen Vereinfachung kämen, aber dennoch keine Einbürgerung anstreben.
Alejandro, 45, Argentinier
VICE: Weisst du, dass du dich als Ehemann einer Schweizerin vereinfacht einbürgern könntest?
Alejandro: Ja, ich habe mich auch schon über die Erfordernisse erkundigt und würde diese erfüllen. Aber aktuell hat eine Einbürgerung für mich keine Priorität.
Weshalb nicht?
Einen Drang zur Einbürgerung würde ich dann verspüren, wenn meine Kinder keinen Schweizer Pass hätten. Diesen haben sie aber dank meiner Frau. Schon bevor ich mit meiner Familie in die Schweiz kam, waren meine Kinder Schweizer, da der einst nach Argentinien ausgewanderte Grossvater meiner Frau aus der Schweiz kam. Die Niederlassungsbewilligung C erlaubt mir, hier einer Arbeit nachzugehen und gibt mir fast alle Rechte, die auch Schweizer geniessen. Somit ist eine Einbürgerung für mich nicht dringend.
Und wie steht es mit dem Recht, abstimmen und wählen zu dürfen?
Zugegeben, das würde ich manchmal gerne. Ich bin ein politisch interessierter Mensch und informiere mich darüber, was die Schweizer Politik bewegt. Ich habe Respekt vor der direkten Demokratie der Schweiz und wie gut das politische System funktioniert. Nur schon deshalb, weil in meinem Heimatland die Politik sehr korruptionsbelastet ist.
Und das motiviert dich nicht genug, um eine Einbürgerung anzustreben?
Im Moment noch nicht. Auch wenn ich von Vereinfachungen profitieren könnte, empfinde ich den Aufwand als zu hoch.
Angel, 24, Peruaner
VICE: Angel, da du die Mindestanforderung von fünf Jahren Schule in der Schweiz erfüllst und noch keine 25 bist, könntest du dich an deinem Wohnort Zürich vereinfacht einbürgern lassen.
Angel: Ja, davon habe ich gehört. Aber ich habe mich noch nicht dazu entschlossen.
Weshalb?
Einerseits sagen mir viele Leute, eine Einbürgerung sei sinnvoll. Andererseits sehe ich selber keinen besonderen Sinn darin. Ich habe dank meinem momentanen Status genau die Freiheiten, die ich auch brauche.
Weisst du, welche Vorteile du mit dem Schweizer Pass hättest?
Den grössten Vorteil sehe ich persönlich darin, mit dem Schweizer Pass überall hinreisen zu können und praktisch keine Einreiseprobleme zu haben oder Visas zu benötigen. Mit dem peruanischen Pass ist das anders.
Wie steht es mit dem Stimm- und Wahlrecht, das du als Schweizer Bürger hättest?
Deswegen würde ich mich nicht einbürgern wollen. Die Politik ist nicht mein Ding und bei manchen Themen habe ich meine Mühe, zu verstehen, weshalb man darüber das Volk abstimmen lässt.
Du müsstest dann auch deine Niederlassungsbewilligung nicht alle zwei Jahre erneuern.
Das hat mich bisher eigentlich nie gestört, da ich sie immer ohne Probleme verlängern konnte. Natürlich wäre es einfacher, dazu durch eine Einbürgerung nicht mehr verpflichtet zu sein. Doch auch wenn ich alle Vorteile betrachte, motiviert mich das im Moment nicht, mich einbürgern zu lassen.
Lily, 37, Peruanerin
VICE: Wie alt warst du, als du in die Schweiz kamst?
Lily: Ich war 21. Ich habe meinen Schweizer Mann in meiner Heimatstadt Cuzco kennengelernt und bin mit ihm später nach Zürich gekommen.
Hast du bereits mit dem Gedanken gespielt, dich einbürgern zu lassen?
Ja, ich habe mich schon mit der Idee beschäftigt.
Aber du hast keine konkreten Einbürgerungspläne?
Nein, aber nicht aus mangelndem Interesse, im Gegenteil. Ich habe sehr grossen Respekt vor der Schweiz und finde, dass ich mich erst richtig als Schweizerin fühlen muss, bevor ich ein Gesuch zur Einbürgerung stellen kann.
Noch fühlst du die Schweizerin nicht in dir?
Sagen wir: noch nicht ganz. Ich fühle mich hier zu Hause, bin integriert und habe viele Schweizer Freunde. Auch spüre ich das Bedürfnis, bei Wahlen und Abstimmungen teilnehmen zu können. Aber die letzte Portion des “Schweizer Geistes” fehlt mir noch. Bis es soweit ist, werde ich mich nicht mit einer Einbürgerung befassen.
Maurizio, 55, Italiener
VICE: Du bist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Wolltest du dich nie einbürgern?
Maurizio: Als ich jung war, habe ich noch nicht daran gedacht. Dann bin ich für ein paar Jahre ins Ausland und wieder zurückgekommen. Nun spiele ich öfter mit dem Gedanken, doch die Kosten der Gebühren schrecken mich ab.
Wie hoch wären diese?
Ich habe ausgerechnet, dass ich hier in Basel 3.500 Franken zahlen müsste. Das ist gemessen an meinem Einkommen ein viel zu hoher Betrag.
Die Vorteile der Einbürgerung würden das also nicht wettmachen?
Nicht wirklich. Als ich nach mehreren Jahren im Ausland zurück in die Schweiz kam, ging das ohne Probleme. Auch sonst kann ich alles machen, ausser an Abstimmungen teilnehmen. Das Loch im Geldbeutel würde da um einiges schwerer wiegen.
Würdest du ein Einbürgerungsgesuch einreichen, wenn die Gebühren tiefer wären?
Ja, für mich ist der hohe Betrag der einzige Hinderungsgrund.
Domenico, 19, Italiener
VICE: Der Kanton Zürich ermöglicht dir eine vereinfachte Einbürgerung, da du hier aufgewachsen bist. Hast du noch nie daran gedacht?
Domenico: Noch nie ernsthaft.
Weshalb nicht?
Wahrscheinlich habe ich mit dem C-Ausweis zu wenige Nachteile gegenüber Schweizern. Ich fühle in praktisch keiner Lebenslage, dass ich meinen Schweizer Freunden gegenüber schlechter gestellt wäre. Ausserdem würde ich für jeden doch weiterhin “der Italiener” bleiben. Sie würden mich höchstens “Papiirlischwizer” nennen.
Stört es dich nicht, an Wahlen und Abstimmungen nicht teilnehmen zu können?
Ich bin erst 19, da bin ich noch nicht sonderlich daran interessiert. Ich könnte wahrscheinlich auch wenig bewirken. In meiner Altersklasse wählt fast niemand, was könnte meine Stimme da ausrichten? Vielleicht ändert sich das später. Jedoch würde ich mich auch dann nur einbürgern wollen, wenn ich meine italienische Staatsbürgerschaft behalten könnte. Wer weiss, ob ich später einmal in Italien leben möchte? Das möchte ich mir auf keinen Fall verbauen.
Jonathan, 33, Deutscher
VICE: Du bist in der Schweiz geboren. Hast du schon daran gedacht, dich einbürgern zu lassen?
Jonathan: Daran gedacht habe ich. Als ich jünger war, war es aber kein Thema. Als Kind hatte ich noch keinerlei Unterschied gemerkt zwischen mir und anderen Kindern. Später dachte ich, es wäre klug, als Nicht-Schweizer den Militärdienst zu umgehen.
Hast du nie negative Reaktionen erlebt deswegen?
Nein, mir gegenüber hat sich deswegen noch niemand negativ geäussert.
Wie denkst du inzwischen über die Einbürgerung?
Inzwischen interessiere ich mich erstens mehr für Politik. Das Stimmrecht zu haben, wäre sicher ein Vorteil. Zweitens erlaubt Deutschland nun die Doppelbürgerschaft, ich würde das deutsche Bürgerrecht mit einer Einbürgerung also nicht verlieren. Ausserdem wird mir bei Abstimmungen, bei denen es um Rechte von Ausländern in der Schweiz geht, immer wieder bewusst, dass ich als Nicht-Schweizer schlechter gestellt bin und sich im Extremfall der Zorn gegen Ausländer auch gegen mich wenden könnte. Aber konkrete Pläne zur Einbürgerung habe ich noch nicht.
Du würdest in den Genuss kantonaler Vereinfachungen kommen, da du in der Schweiz geboren bist.
Ja, ich merke, wie ich öfter mit dem Gedanken der Einbürgerung spiele. Ich habe mich aber bereits so lange nicht damit beschäftigt, dass es viel Überwindung braucht, das Thema nun anzugehen.
Soledad, 56, Uruguayerin
VICE: Wie lange lebst du schon in der Schweiz?
Soledad: Ich bin nun 20 Jahre hier.
Erlebst du manchmal Nachteile als Ausländerin in der Schweiz?
Auf dem Arbeitsmarkt wäre es sicher einfacher mit dem Schweizer Pass, aber ansonsten fühle ich mich nicht im Nachteil.
Wie denkst du bezüglich einer Einbürgerung?
Ein Einbürgerungsgesuch steht nicht auf meinem Plan. Ich mag die Schweiz und habe Freunde hier. Aber ich identifiziere mich zu wenig mit ihr, als dass ich die Nationalität annehmen könnte. Die uruguayische Kultur, aus der ich komme, ist sehr verschieden von der Schweizerischen. Die Kultur, in der man aufwächst, prägt den Charakter eines Menschen und seine Vorlieben, weshalb es schwierig ist, sich die Eigenschaften eines anderen Landes komplett einzuverleiben.
Nur wegen den rechtlichen Vorteilen würdest du dich also nicht einbürgern lassen wollen?
Nein, ich müsste mich wirklich als Schweizerin fühlen wollen, mich mit Bergen und grasenden Kühen identifizieren können, damit ich mich einbürgern lasse. Was meine Rechte als Ausländerin angeht, bin ich zufrieden. Mein Sohn hat als Kind eines Schweizers den roten Pass, also hängt sein Schicksal nicht von meiner Einbürgerung ab. Und ich persönlich möchte nur dann eine Nationalität eines Landes besitzen, wenn ich mich ganz mit der Nation identifizieren kann.
VICE auf Facebook.