Wir haben mit Callejon die albernsten Death- und Metalcore-Videos geguckt

Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video “Design the Skyline – Surrounded By Silence” von Victory Records

Callejon haben einen verdammt langen Weg hinter sich. Die Düsseldorfer, die damals nicht auf, sondern vor der Bühne in ostdeutschen Käffern der Klasse Forst (Lausitz) mit ranzigem Screamo-Core auftraten, stiegen mit den letzten drei Alben in die Top 10 ein. Mittlerweile spielen sie ihren poppigen Metalcore auf den großen Festival-Bühnen. Am 28. Juli erscheint dann ihr neues Album Fandigo. Da sich Callejon also seit 15 Jahren fleißig in den Metal-Szenen rumgetrieben und etabliert haben, gab es keine bessere Experten, um sich mal die haarsträubendsten Death- und Metalcore-Videos der letzten Jahre anzuschauen. Also haben wir uns mit Sänger Basti und Gitarrist Bernhard auf einer Berliner Dachterrasse getroffen, YouTube angeworfen, tief in den Abgrund geschaut und uns erklären lassen, was wirklich gute Metal-Videos sind.

Videos by VICE

Attack Attack! – “Stick Stickly” (2009)

Noisey: Das erste Highlight: Attack, Attack!
Bernhard: Attack Attack! … Sagt mir noch MySpace-mäßig was …

Video läuft.

Basti: So sehen wir heute noch aus, haha.
Bernhard: Schon mal geil ist: Es ist jedes Mal derselbe Typ. Einfach reingeshoppt.

Das Video war auch der Startschuss für die Crabcore-Pose.
Basti: Wollte gerade sagen: Krabbenbein.
Bernhard: Das ist ein Move, den ich nie so ganz gerafft habe. Wenn das alle parallel machen, sieht das aus wie ein Aerobik-Kurs.
Basti: Wart mal … [ dreht beim ersten Clean-Gesang lauter] Das ist ja schon der Cher-Effekt. Aber volle Möhre.

Lautes Gelächter bei dem übertriebenem Crabcore-Move bei 1:17.

Basti: Ey, das hat der von Immortal geklaut.
Bernhard: Nach ein paar solchen Videos hat man richtig geile Oberschenkelmuskulatur.
Basti: Das gute alte Rezept: Frauen und kaputte Häuser.


NOISEY-Video: “Guitar Moves mit Motörheads Lemmy Kilmister”


Erinnert auch ein bisschen an From First To Lasts “Ride The Wings Of Pestilence”, falls ihr das im Kopf habt?
Basti:
Nein, aber From First To Last waren immer ein bisschen teurer. Das Krasse ist, dass ich Attack Attack! nie auf dem Schirm hatte. Ehrlich gesagt, ist das Video ultra langweilig, der (lacht) Crabcore-Kaka-Onkel, der da sitzt, ist auf jeden Fall …

Der Trancecore-Part setzt ein.

Basti: Eskimo Callboy.
Bernhard: Da haben die alles geklaut … OK.
Basti: Ja, wahrscheinlich sogar, oder?
Bernhard: Boah krass, wann kam das raus?

2009.

Bernhard: Waren da Butter [Anm.: Die deutsche Band We Butter The Bread With Butter] schon am Start?

Die gabs 2008 sogar schon.
Basti: Die hatten wir doch schon mit auf Tour genommen, als die noch zu zweit waren.

Song ist vorbei.

Basti: Also da muss ich sagen: Da habe ich schon Schrecklicheres gesehen. So war die Zeit halt damals.

Eben das Ende der MySpace-Zeit.
Basti: Voll! Und das Krasse ist: Keiner hatte Tattoos.
Bernhard: Schon ein bisschen.
Basti: Ich weiß noch, als Torsten als erster von uns so den ganzen Arm voll hatte, dass das etwas Krasses war.

Mittlerweile bist du schon mit 20 volltätowiert.
Basti:
Mittlerweile bist du als Band ohne Tattoos schon wieder krass drauf.


Design The Skyline – “Surrounded by Silence” (2011)

Dann werden wir jetzt noch ein bisschen sceniger: Design The Skyline. Die Band war damals bei Victory Records gesignt. Das war für die Fans des ehemals angesehenen Hardcore-Labels … schwierig.

Video läuft.

Bernhard: Wald haben wir schon mal, es muss immer auch ein Bandvideo mit Wald geben.
Basti: Immerhin hatten die schon eine Spiegelreflexkamera … Das sieht ein bisschen wie bei unserem “Sommer, Liebe, Kokain” aus.
Bernhard: Getaptes Mikro … Hat der wirklich neongrüne Gitarrensaiten? Harter Hund, haha. Das hat auf jeden Fall bis jetzt mehr Unterhaltungswert als das Video davor.
Basti: Solche Mucke habe ich … Also das ist ja echt blanker Horror-Porno … Guck mal hier, das ist doch jetzt immer in den ganzen HipHop-Videos drin: Splitscreen und Hochformat. Trendsetter quasi.

Wieder mal setzt ein Breakdown ein.

Bernhard: Ultra anstrengend.
Basti: Jeder, der mir sagt: “Boah, das ist mega geil, weil … ” – dann will ich mir das “weil” auch wirklich mal anhören. Ich würde nämlich behaupten, der lügt. Man könnte jetzt ja auch was über die Frisuren und so sagen, aber och, das ist OK, haha.

Glaubt ihr, das ist bewusst komplett over-the-top?
Bernhard: Das ist schon ein bisschen ironisch gemeint, oder? Es ist so viel von allem: viele Leute, viele Farben.
Basti: Sorry, ich muss nochmal hierhin machen [skippt zu 3:33, wo ein langer Stakkato-Scream ertönt], weil ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich ironisch gemeint ist. Wo ist der Gag?

Du meinst, es gibt keinen Bruch?
Basti:
Das wird bis zum Ende zu krass durchgezogen. Es sieht ultra komisch aus und dann noch diese Zahnarzt-Praxis-Geräusche … Wie nennt man das? Gutturaler Gesang, hahaha … Pig Squeals, genau!

War mal ein großer Trend, gibt es auch gar nicht mehr.
Basti: Ich habe das auch nie gerafft. Um Lyrics vorzutragen, muss man ja Wörter sprechen. Anfangs hab ich mich gefragt, was denn da gesagt wird. Bis mir einer mal erklärte, dass man eigentlich nichts sagt. Das ist so ähnlich, als wenn ich die ganze Zeit nur “Aaaaahaaaaaaaha” machen würde.

Attila – “About That Life” (2013)

Attila – die kennt ihr bestimmt oder?
Basti: Der macht doch in dem neuen Video von Eskimo Callboy mit und ich wusste nicht, wer das war. “Feat. Fronzi” – und ich dachte erst, das wäre einer von der Currywurst-Bude.

Video läuft, Bernhard unterdrückt schon nach wenigen Sekunden einen Lacher.

Bernhard: Auf jeden Fall schon mal viel lyrischer Tiefgang.
Basti: Das ist ironisch angelegt, aber man checkt, dass sie das, wenn es denn wirklich so wäre, ganz schön geil fänden.

Die Idee dahinter war, glaube ich schon, mal einen auf Rap-Crew zu machen. Aber sie genießen es ein bisschen zu sehr.
Basti: (Lacht laut, als das Gesäß einer tanzenden Frau von unten gefilmt wird) Das war aber auch nicht so der geilste Shot. (spult nochmal zurück)
Bernhard: Proktologe meinst du?
Basti: Hahaha, “Jetzt bitte mal husten!”
Bernhard: Das ist Musik, zu der ich gar keinen Zugang habe … OK, es geht anscheinend um Frauen und Geld.
Basti: “She fucks me all night.”

Sie stehen auch voll dazu, stumpf zu sein. Totale Bullshit-Mucke.
Basti:
Total. Das Grundkonzept, harte Schrei-Musik zu machen, um sowas zu sagen … Was bedeutet das letztendlich für Musik? Wofür wird das benutzt? Das ist so ähnlich, als würde ich sagen: “Ich fahr heute mit dem Tretboot in die Innenstadt von Berlin.” Um ehrlich zu sein: Ich finde alles daran komplett scheiße. Das ist ja nicht witzig. Das möchte wirklich cool sein. Dafür sieht der zu hübsch aus. Nicht, weil er wirklich hübsch ist, sondern weil alles so zurechtgemacht ist.

Bisher ist das also euer least Favorite.
Basti:
Auf jeden Fall, das ist das bescheuertste Video von den bisher geschauten. Die anderen können nichts dafür. Die sind eben so krude und wollen nichts Spezielles. Vor allem das zweite, was ich noch am besten finde, weil es so spielerisch mit den Dingen umgeht … Boah, das ist jetzt hoch gegriffen, das ist natürlich trotzdem ein scheiß Video, aber das ist wie ein Jugendlicher, der noch nicht weiß, was er möchte.

Falling in Reverse – “Alone” (2013)

Dann kommt jetzt Falling In Reverse. Ein bisschen wie Attila, nur rockiger. 20 Millionen Clicks und auf Epitaph gesignt. Das Label, das für Punkrock stand, hat sich wirklich in eine andere Richtung entwickelt.

Das Video läuft.

Basti: Das ist doch der Typ von dieser anderen Band, der hat doch jemanden umgebracht?

Er selbst nicht, aber er war dabei. [Anm.: 2006 wurde in Las Vegas ein 18-Jähriger von einem Bekannten des Falling In Reverse-Sängers Ronnie Radke erschossen. Zuvor hatten sich das Todesopfer und Radke gestritten.]
Basti: Boah, ich würde jetzt wirklich gerne wissen, was da alles genau gesagt wird … Escape the Fate, so hieß die Band, die mit “Situations”, ganz sicher.

Stimmt, dieses Video, wo sie in der Schule rumrennen.
Basti: Genau. Der Song war ganz cool. Das hier ist natürlich nicht so geil.
Bernhard: Der steht mit einem Ferrari auf einem Rollfeld und meint es anscheinend ernst. Die Frage ist, als was du ein Musikvideo sehen willst. Ist das Kunst oder ist das ein Werbeclip? Als Clip funktioniert das irgendwie, aber ich finde nichts daran interessant.

Ein Breakdown ertönt.

Basti: Das soll krass sein, aber du siehst nichts Krasses. Es ist langweilig. Das ist eigentlich das Allerschlimmste, es ist vollkommen egal. Und sieht trotzdem nicht so fett aus, wie die Videos, die sie nachmachen. Auf dem Kinderkanal gibt es eine Sendung “Imitier deinen Star” oder so. Die machen das dann auch gut, aber das ist halt eine Kindersendung. Ja, das hier ist voll RTL II, voll Berlin – Tag und Nacht-mäßig.

Lie Or Liar – “Paranoiac!” (2014)

Letztes Video von einer jungen Band, die nicht ganz so viel Geld für ihr Video hatte.

Video läuft.

Basti: Sieht aus wie das erste Money Boy-Video, haha.
Bernhard: Ich finde schon mal gut, dass er sich nicht zu fein dafür ist, einfach eine Adidas-Hose im Video zu tragen.

Der Sänger rappt in die Kamera.

Basti: Hier, das ist doch voll Money Boy! (singt) “Steige aus dem Bett” … Die sind alle sehr gut gekleidet, aber sehr, sehr wütend.

Als der Clean-Sänger plötzlich schreit, ertönt großes Gelächter.

Basti: Damit habe ich nicht gerechnet! Nickelback und Brüllboys.
Bernhard: So sehen Videos halt aus, wenn du die selber machst.
Basti: Ich bin froh, dass in unserer kompletten Anfangszeit YouTube nicht so das Thema war.
Bernhard: Wir hätten wahrscheinlich ziemlich schlimme Videos gemacht.
Basti: Auch, dass es den ganzen Instagram- und Facebook-Shit nicht gab. Wir wären doch genau solche Idioten gewesen.

Der Sänger schreit in Double-Time-Rap.

Bernhard: Jetzt ist er aber schnell unterwegs. Ich weiß nicht, ob Money Boy so schnell rappen kann.
Basti: Das ist der Hammer, so skurril. Er [der Clean-Sänger] sieht auch aus … Ein geiler Typ.

Als hätte er eigentlich noch ein Singer-Songwriter-Soloprojekt.
Basti: Der glaubt am allermeisten daran, der bucht auch die Konzerte, kümmert sich um den Papierkram und schmeißt auch jemanden raus, wenn er nicht spurt. Der hat nämlich noch einen Kumpel, der viel besser zocken kann, haha.
Bernhard: Wenn du heute eine Band startest und diese Zeit ohne Social Media gar nicht kennst, bist du ja fast gezwungen, ständig Content zu generieren, immer was noch Krasseres zu machen. Kein Wunder, dass die Videos dann so aussehen. Aber da steckt ein bisschen Liebe drin und gefällt mir besser als die Ferrari-Scheiße.
Basti: Um es mal abschließend zu sagen: Attack, Attack! ist ein Stück Zeitgeschichte, absolut MySpace … Vor allem Rise Records ist doch DAS Label für MySpace-Bands gewesen. Waren da nicht auch underØATH? Die fand ich extrem cool und viele Bands wollten was Ähnliches machen. Dann kam der Trance-Part dazu.

Habt ihr ein Video, was euch im Nachhinein unangenehm ist?
Basti:
Unangenehm? Tatsächlich gar nicht.
Bernhard: Du siehst natürlich eine Entwicklung. Das erste Video war “Phantomschmerz” Basti: Da ist uns eher der Song ein bisschen unangenehm, aber nicht das Video. Da haben wir immer drauf geachtet, dass das nicht scheiße wird. Auch mit wenig Budget. Wir hatten ja auch nicht mehr als die letzte Band – beziehungsweise gar nichts, wir haben es halt selber gemacht. Was in diese Zeit hier voll reinpasst, ist “Sommer, Liebe, Kokain”, da habe ich so Handschuhe an und ein lila Holzfällerhemd. Natürlich total Gesichtselfmeter-mäßig gewesen, aber das Video war nicht scheiße.

Gibt es denn für euch DAS Metal-, Deathcore-Video, was richtig geil ist?
Bernhard: Im Metal-Bereich habe ich nie so richtig auf Videos geachtet. Da war eigentlich mehr die Musik das Ding, weil das ganze Metal-Ding ja immer noch den Pop-Standards in Sachen Budget und Aufwand hinterherhinkt.
Basti: Metalcore war inhaltlich per se kein tolles Thema. Wirklich innovative Ideen gab es nicht.
Bernhard: Was ich damals relativ erfrischend fand, war von The Black Dahlia Murder das Video in Las Vegas: “Miasma”.

Das ist eben auch ein bisschen witzig.
Bernhard: Das finde ich gerade für eine Deathmetal-Band ganz erfrischend. Wir nehmen uns als Band ja sehr ernst, aber wenn du alles absolut setzt und nie mal eine ironische Brechung reinbringst, kannst du schnell zu einer Parodie von dir selbst werden. Das haben wir ja vorhin teilweise bei Videos gesehen, wo man sich fragt: Ist das ernst gemeint oder mit einem Augenzwinkern?

Basti: Es gibt aber ein neueres Metalvideo, was wirklich großartig ist.
Bernhard: Ich weiß, was jetzt kommt.
Basti: Wie heißt die scheiß Band nochmal? Nekrogoblikon mit “No One Survives”! Fettes. Video. Es ist witzig, hat eine gute Story, ist gut gedreht.

Basti: Grundsätzlich: Musikvideos im Metal sind nicht mehr so gefragt. Die letzten, die wirklich abgeliefert haben, waren Rammstein. Da war das auch ein Novum, egal wie groß man ist, mal ein abgefahrenes Video zu bringen.

Fandigo erscheint am 28. Juli bei People Like You Records / Century Media Records.

Julius ist auch auf Twitter: @backtoschoolius

Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.