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Wir haben mit dem Redaktionsleiter von ‚extra 3‘ über den Erdogau gesprochen

„Wenn wir jetzt dazu beigetragen haben, dass die diplomatischen Beziehungen eher verstimmt sind, dann tut mir das natürlich leid. Aber auch nur so halb."

Jetzt wird's eng. — extra3 (@extra3)29. März 2016

Ein Song der deutschen Satiresendung extra 3 über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat einen diplomatischen Zwischenfall in Ankara ausgelöst. Zuerst lässt Erdoğan den deutschen Diplomaten Martin Erdmann zum offiziellen Gespräch antreten. Dann fordert er wohl, dass das Video gelöscht werden soll. Merkel schweigt, das Internet überschlägt sich mit Häme und Redaktionsleiter Andreas Lange kürt Erdoğan zum Mitarbeiter des Monats. Wir haben mit Andreas Lange über das Video und seine Folgen gesprochen.

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VICE: Erdoğan soll gefordert haben, dass Sie das Video „Erdowie, Erdowo, Erdogan" von der Seite nehmen. Hat die Redaktion von extra 3 schon eine offizielle Aufforderung aus der Türkei bekommen?
Andreas Lange: Wir hatten hier in der Redaktion noch von keiner Seite eine Anfrage, also von türkischer Seite nicht, von Seiten der Botschaft nicht, aber auch nicht von der Bundesregierung. Ich werte das als positives Signal.

Wieso?
Ich denke, zumindest von deutscher Seite kann man das als stillschweigende Zustimmung zu unserer Arbeit werten. Es würde mich aber auch wundern, wenn hier Leute direkt in der Redaktion anrufen, egal aus welchem Land. Nach meinem Verständnis von Journalismus und so, wie wir das hier handhaben mit Paragraph 5 im Grundgesetz zur Meinungs- und Pressefreiheit, sind direkte Anrufe in der Redaktion immer ein bisschen ungeil. Kurz gesagt: Wir haben noch nichts gehört, keiner hat versucht, uns einzuschüchtern, wir machen einfach so weiter wie bisher.

Haben Sie mit dem vorgeladenen Diplomaten Martin Erdmann gesprochen?
Nein, wir selber nicht, da sind die Kollegen von den Nachrichtenmagazinen gerade dran. Wir stehen im engen Kontakt zu den Kollegen und Kolleginnen der Tagesschau, das Hauptstadtstudio in Berlin kümmert sich darum, die machen auch heute Abend in der Tagesschau einen Bericht dazu. Wir selbst wollen am Mittwoch in der Sendung auch noch ein paar Worte zu der Situation sagen, aber es ist uns unangenehm, die ganze Sendung nur über uns selbst zu reden. Es gibt viel zu viele Themen, die wir bearbeiten wollen. Wir werden aber unsere Haltung während der Sendung noch mal klar machen.

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Und wie ist Ihre Haltung?
Offensichtlich haben wir mit unserem Beitrag ins Schwarze getroffen. Das Lustige ist ja, es ist ein Film beziehungsweise ein Song über die Haltung der türkischen Regierung zur Pressefreiheit. Diese Haltung haben sie mit ihrer Reaktion wunderbar bestätigt. Wenn ich lese, dass versucht wurde, die weitere Verbreitung des Videos zu unterbinden, und wir dazu gebracht werden sollen, den Film von der Seite zu nehmen … Junge Junge. Das ist schon ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit.

Ist es Ihnen schon mal passiert, dass es eine so extreme Reaktion der kritisierten Partei gab?
Nein, das hab ich noch nicht erlebt. Wir haben natürlich immer Reaktionen auf unsere Sendung, oft bekommen wir böse Mails von Zuschauern. Es gab auch durchaus schon Politiker, die sich über extra 3 aufgeregt haben, sei es beim Dreh oder im Nachhinein. Aber dass unsere Arbeit auf diplomatischer Ebene diskutiert wird, ein deutscher Botschafter einbestellt wird, das ist neu. Dass ist auf der diplomatischen Eskalationsskala relativ weit oben, viel kommt da ja nicht mehr—Botschafter ausweisen und dann die Kriegserklärung. Das ist schon sehr heikel.

Bis jetzt hat sich aber noch niemand dazu geäußert. Also weder von der Bundesregierung noch von der EU. Wundert Sie das?
Frau Merkel tendiert ja eher dazu, Dinge auszusitzen, und auszuschweigen. In sofern wundert mich das nicht. Ich deute das Schweigen eher positiv und deute es als stille Unterstützung unserer Arbeit. Es wäre aber auch nicht verkehrt, wenn sich Herr Seibert oder Frau Merkel hinstellen würden und die Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen würden und klar machen, dass solche Filme dann eben auch kein Problem sind. Das wäre schön, aber da ist die Pressearbeit augenscheinlich zurückhaltend, und ich glaube, Frau Merkel will es sich mit Herrn Erdoğan nicht verscherzen.

Wie denkt die Redaktion darüber?
Offensichtlich haben wir in ein diplomatisches Wespennest gestochen. Das ganze Thema ist vor dem Hintergrund der Gespräche von Frau Merkel und der gesamten EU mit Herrn Erdoğan zur Lösung der Flüchtlingskrise nicht ganz unemotional. Da wird auch durchaus kritisch von EU-Seite auf die Frage der Menschenrechte in der Türkei geachtet. Es wird auch von deutschen Politikern kritisch beobachtet, wie dort Journalisten behandelt werden. Und anscheinend war der extra 3-Betrag das kleine Tröpfchen, das das Fass bei Herrn Erdoğan zum Überlaufen gebracht hat. Ist jetzt so meine Interpretation.

Was meinen Sie, wie Erdoğan auf den Film aufmerksam geworden ist?
Also wir stellen uns vor, wie Herr Erdoğan an seinem Schreibtisch vor seinem Computer sitzt und sich den extra 3-Song anguckt. Da ist dann doch schon wieder lustig.

Machen Sie sich sorgen, dass Sie einen diplomatischen Vorfall ausgelöst haben?
Na ja, es kommt drauf an, in welche Richtung der sich dann entwickelt. In unserem Sinne wäre es natürlich, dass da die demokratischen Grundpfeiler in der Türkei wieder eingehalten werden würden. Es wäre schön, wenn das in naher Zukunft wieder passiert. Wenn das den Druck von der westlichen Seite, von Frau Merkel und von der EU erhöht, das wäre natürlich toll. Wenn wir jetzt dazu beigetragen haben, dass die diplomatischen Beziehungen eher verstimmt sind, dann tut mir das natürlich Leid. Aber auch nur so halb.