Deine Mitbewohnerin fragt dich andauernd, was sie ihrem Freund schenken soll, dein Kumpel redet nur noch von seinem Weihnachtsumtrunk mit Onkel Herbert und auf Facebook teilen Leute Bilder mit den Sendeterminen von Kevin – Allein zu Haus. Es ist Weihnachtszeit und anscheinend freut sich schon jetzt jeder auf das sogenannte Fest der Liebe. Dabei verbringen es viele Menschen einsam, ohne Familie oder Freunde: Etwa 2,5 Millionen Deutsche feiern Heiligabend alleine, so eine repräsentative Studie von 2012.
Das Internet hält für diese Menschen zahlreiche Ratschläge bereit: von “verreisen” über “ein Buch lesen” bis hin zu “sich selbst bekochen”. Damit wollte Christian sich nicht abfinden. Der 32-Jährige trennte sich im letzten Jahr von seiner Freundin und saß kurz vor Heiligabend alleine zu Hause. Also brachte er Menschen in ähnlichen Situationen über das Hashtag #KeinerTwittertAllein auf Twitter zusammen, damit sie sich austauschen konnten. “Ich war überwältigt von der Anteilnahme”, sagt er heute. In diesem Jahr will er noch weiter gehen, denn er vermittelt erstmals echte Treffen an Heiligabend. Wir haben ihn gefragt, wer sich bei ihm meldet und was er erwartet.
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VICE: Warum gibst du den Retter von Weihnachten?
Christian: Ich sage immer spaßeshalber: weil ich keine Hobbys habe. Letzten Endes hoffe ich auf ein bisschen Humanismus und versuche, ihn über Twitter zu fördern. Aufgrund meiner Trennung war ich im letzten Jahr an Heiligabend leider alleine und wollte Menschen finden, denen es auch so ging. Das entwickelte sich ungeplant zum Selbstläufer und wir standen in den Twittertrends über zwei Tage auf Platz eins – sogar vor Helene Fischer und ihrem Weihnachtskonzert.
In diesem Jahr willst du Leute auch offline zusammenbringen. Wie das?
Ich vermittle Menschen, die sich bei mir per Privatnachricht melden, damit sie gemeinsam Heiligabend verbringen können. Dabei versuche ich, möglichst Paare aus der gleichen Stadt zu finden.
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Du bist also eine Art Weihnachts–Tinder für einsame Menschen?
Leider waren tatsächlich Männer dabei, die mir geschrieben haben, dass sie sich Frauen zwischen 30 und 35 Jahren wünschen. Denen musste ich klarmachen, dass es nicht um etwas Sexuelles geht. Einem habe ich ganz salopp gesagt: “Für Fickerei gibt es andere Portale.”
Aber warum gibt es keine, die Menschen an Weihnachten zusammenbringen?
Ich glaube, dass die Deutschen Weihnachten als sehr intim empfinden und sie dadurch Hemmungen haben, jemand Fremdes in ihr Leben zu lassen. Ich selbst habe aber mit mir unbekannten Menschen sehr gute Erfahrungen gemacht: Da ich beruflich viel reise, habe ich mittlerweile etwa 200 meiner Twitter-Follower persönlich kennengelernt. Um festzustellen, ob man Heiligabend im privaten Rahmen zu Hause miteinander verbringen kann, wollen sich einige auch erstmal vorab treffen. Aber egal, ob es funktioniert oder nicht: Es kann kaum schlimmer werden, als eine Weihnachtsfeier bei einer Familie, die man nicht leiden kann.
Erhoffst du dir von der Aktion mehr als das bloße Beisammensein?
Es geht mir auch um den gesellschaftlichen Aspekt. Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass sich Menschen immer wieder in politische oder gesellschaftliche Lager teilen. Ich hoffe auch, dass solche Treffen dazwischen vermitteln. Ich bringe etwa ältere und jüngere Menschen zusammen, die Vorbehalte gegeneinander haben könnten, weil junge Menschen oft rebellisch sind und mit dem Alter ja gerne der Konservatismus kommt.
Wie viele Leute haben sich bei dir bisher gemeldet?
Insgesamt habe ich 220 Menschen auf meiner Liste. Mittlerweile haben sich genauso viele gemeldet, die einen Platz suchen, wie solche, die einen Platz bieten. Davon habe ich schon rund 30 Leute erfolgreich aneinander vermittelt, etwa 80 schreiben derzeit miteinander.
Was sind das für Leute?
Das geht durch alle Gesellschaftsschichten. Unter den Suchenden sind viele Rentner, aber auch hippe Berliner Start-Up-Menschen, eine Betriebsfachwirtin oder einige Männer, die eine Scheidung durchleben. Bei denen, die bieten, sind einige allein und haben Platz, aber auch welche, die sich fest in der Gesellschaft integriert fühlen und etwas zurückgeben wollen.
Viele, die an Weihnachten niemanden haben – alte und obdachlose Menschen etwa – benutzen Twitter aber gar nicht.
Natürlich ist die Aktion gewissermaßen exklusiv auf Twitter. Ich will niemanden ausgrenzen, aber in diesem Jahr ist es etwas zu spät, um die Aktion noch auf alle anderen Netzwerke auszuweiten. Aber es gibt an vielen Stellen Versuche, Menschen an Weihnachten nicht alleine zu lassen, egal ob nun im Internet oder per Aushang bei der Tafel.
Wo fehlen dir noch Menschen?
Ich suche beispielsweise in Bonn, Marburg und im Großraum Niedersachsen noch Leute, die Lust auf ein gemeinsames Weihnachtsfest haben.
Musst du denn in diesem Jahr Weihnachten alleine feiern?
Nein, ich werde mit meiner Freundin Heiligabend verbringen. Ich habe sie letztes Jahr kurz vor Heiligabend über Twitter kennengelernt – aber sie hatte damals schon etwas vor. Aus meiner Region hat sich in diesem Jahr noch niemand gemeldet, der dazu kommen könnte.
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