Jessica und Carmen sind beide um die 30 und seit drei Jahren ein Paar. In absehbarer Zeit möchten sie sich ihren Kinderwunsch erfüllen. Lukas*, ein gemeinsamer Freund, wird ihnen dabei zu Hilfe kommen. Ich habe alle drei in der Zürcher Bäckeranlage getroffen und mit ihnen über Samenbanken, rechtliche Hürden für gleichgeschlechtliche Eltern und die Bedeutung des Vaters gesprochen.
VICE: Wie zeugen zwei Frauen ein Kind?
Jessica: In unserem Fall mit der Hilfe eines Samenspenders, den wir persönlich kennen und der auch nach der Geburt des Kindes in unserem Umfeld wohnen wird.
Carmen: Für die Samenübertragung können wir in der Schweiz von Gesetzes wegen nicht die Hilfe eines Arztes in Anspruch nehmen. Wir werden sie also per Bechermethode bei uns zu Hause durchführen.
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War von Anfang an klar, dass ihr das mit Lukas durchziehen werdet?
Carmen: Nein, das mit Lukas hat sich erst später ergeben. Unsere Suche nach einem Samenspender begann im letzten Herbst auf einer Schweizer Online-Plattform. Für uns war von Anfang an klar, dass wir jemanden wollen, den wir persönlich kennenlernen können. Deshalb haben wir uns zunächst gegen eine Samenbank entschieden.
Was hat sich daraus ergeben?
Jessica: Wir haben uns mit einigen Männern per Mail ausgetauscht. Die meisten wollten nur den Samen spenden, ohne mit uns und dem Kind in Kontakt zu bleiben. Andere konnten sich die Samenspende nur mit Geschlechtsverkehr vorstellen. Schlussendlich haben wir uns mit einer Person getroffen.
Was wurde aus dem Treffen?
Jessica: Wir haben uns mehrmals mit ihm verabredet und hatten zunächst ein gutes Gefühl, wurden dann aber immer unsicherer.
Carmen: Wir waren nicht auf einer Wellenlänge. Zudem spürten wir bei ihm eine grosse Vorfreude auf das Kind.
Was ist daran falsch?
Jessica: Natürlich nichts. Wir hatten bei ihm einfach Angst, dass er die Vaterschaft beanspruchen würde.
Carmen: Das würde für uns bedeuten, dass ich als nicht-leibliche Mutter später nicht mehr die Möglichkeit hätte, Jessicas Kind zu adoptieren. Derzeit ist die Stiefkind-Adoption für gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz nicht erlaubt. Wir gehen aber davon aus, dass der Gesetzes-Vorstoss des Bundesrats durchkommt und sich das in den nächsten Jahren ändern wird.
Erst dann wärt ihr rechtlich abgesichert.
Jessica: Genau. Von der Geburt bis zu Carmens Adoption befindet sich unsere Familie in einem rechtlichen Niemandsland. Es besteht zum Beispiel die Gefahr, dass unserem Samenspender durch die Behörden die rechtliche Vaterschaft aufgezwungen wird.
Carmen: Oder, dass der Samenspender von sich aus die Vaterschaft beansprucht. Deshalb war es für uns so wichtig, dass wir einen Samenspender finden, dem wir vertrauen können.
Den ihr mit Lukas gefunden habt?
Carmen: Lukas können wir vertrauen, ja.
Wie lange kennt ihr drei euch schon?
Carmen: Lukas und ich kennen uns seit drei Jahren, Jessica lernte ihn durch mich vor sechs Monaten kennen.
Wie habt ihr Lukas auf die Samenspende angesprochen?
Carmen: Lustigerweise war es Lukas, der zuerst auf mich zukam.
Lukas: Jessica hatte Carmen gerade einen Heiratsantrag gemacht, worauf ich Carmen gratulierte und sie zum Spass gefragt habe, wie es denn mit Kindern aussehe. So kamen wir immer mal wieder ins Gespräch als wir uns gesehen haben. Bis ich ihr eines Tages mich als Samenspender vorgeschlagen habe.
Jessica: Das war das Beste, das uns passieren konnte. Nachdem wir uns gegen den Mann von besagter Plattform entschieden hatten, waren wir ein wenig frustriert und haben mit dem Gedanken gespielt, eine Klinik in Dänemark zu kontaktieren, die mit Samenbanken zusammenarbeitet.
Ein anonymer Samenspender?
Jessica: Je nach Samenbank gibt es auch solche, die den Namen des Spenders nennen. Bei ihnen hat das Kind später die Möglichkeit, den Spender kennenzulernen. Für uns wäre nur dieser Weg in Frage gekommen.
Durftet ihr einen Katalog durchblättern mit Angaben zum IQ, zur Haar- und Augenfarbe?
Jessica: Man erfährt Haar- und Augenfarbe sowie die Grösse des Spenders. Auch dann, wenn man die anonyme Samenspende bevorzugt. Sollte einem das nicht reichen, informiert die Klinik über Beruf und Hobbys oder zeigt Fotos des Spenders als er noch ein Baby war.
Carmen: Wie gesagt, wir waren nicht überzeugt von diesem Weg. Wir haben uns nur informiert, weil wir zuvor auf der anderen Plattform nicht fündig wurden. Spätestens als Lukas auf uns zukam, war die Klinik für uns kein Thema mehr.
Lukas, warum machst du Jessica und Carmen dieses Angebot?
Lukas: Carmen hat mir von den Mühen erzählt, die ihnen die Suche nach einem Samenspender bereitete. Mir ist natürlich bewusst, dass ich damit in erster Linie ihnen einen Gefallen tue. Aber warum denn nicht? Ich mag die beiden und ich verliere nichts dabei. Die einzige Gefahr für mich ist, dass sie meine Vaterschaft melden und ich dann Unterhalt zahlen muss. Sorgen mache ich mir aber deshalb keine. Ich spüre, wie sehr sie sich dieses Kind wünschen.
Habt ihr nicht Angst, dass zwischen Lukas und dem Kind eine Bindung entsteht, die ihn dazu veranlasst, die Vaterschaft zu beanspruchen?
Carmen: Das Risiko besteht natürlich, trotzdem sind wir in diesem Punkt gelassen. Das Verhältnis zwischen uns drei ist hierfür zu gut. Wir wissen, dass wir jederzeit miteinander reden können. Das schafft Vertrauen und macht uns alle drei zuversichtlich.
Lukas, würdest du dich als Vater des Kindes bezeichnen?
Lukas: Nein. Ich will ja auch nicht Vater werden, sondern nur Jessicas und Carmens Kinderwunsch erfüllen. Ich kann mit der Bezeichnung „Samenspender” ganz gut leben.
Jessica: Vielleicht müsste man zunächst definieren, was einen Vater ausmacht.
Lukas ist zur Hälfte mitverantwortlich, dass das Kind zur Welt kommt …
Jessica: Das allein macht ihn unserer Meinung nach noch nicht zum Vater. Es braucht hier eine Unterscheidung. Vater ist nicht zwingend der, von dem das Sperma stammt. Der Samenspender ist zunächst mal der biologische Vater. Daneben gibt es aber auch die rechtliche Verantwortung eines Vaters, die beispielsweise die Unterhaltszahlung beinhaltet.
Carmen: Oder die Erziehung. Wir unterscheiden zwischen dem biologischen, dem rechtlichen und dem sozialen Vater. In unserem Fall spendet Lukas nur den Samen. Er wird weder rechtlich verpflichtet sein, Unterhalt zu zahlen, noch wird er das Kind erziehen.
In Istanbul erwarteten Tränengas und Gummischrot Teilnehmer der Gay Pride:
Um gleich bei eurer Unterscheidung zu bleiben: Was entgegnet ihr Leuten, die das Fehlen eines sozialen Vaters kritisieren?
Jessica: Ich glaube nicht, dass es einem Kind mit zwei Mamas weniger gut geht als einem Kind mit Mama und Papa, solange es umsorgt und geliebt wird. Natürlich wird es Vergleiche mit seinen Mitschülern machen und nach dem biologischen Vater fragen, aber deswegen hat es doch kein Defizit. In unserem Fall wird es den ja auch kennen. Bei Kindern aus sogenannten Regenbogenfamilien wird ständig nach einem Mangel gesucht, obwohl es doch eigentlich die Gesellschaft ist, die dem Kind das Gefühl gibt, etwas stimme nicht mit ihm.
Carmen: Wir wären ja auch nicht die erste Regenbogenfamilie. Man hat die Entwicklung von Kindern mit gleichgeschlechtlichen Eltern lange beobachtet und weiss heute, dass ihnen im Vergleich zu Kindern mit heterosexuellen Eltern nichts fehlt.
Jessica: Aber wehe, unser Kind hat einen starken Bewegungsdrang oder ist sonst irgendwie auffällig. Sollte unser Sohn mit Puppen spielen oder unsere Tochter Fussball mögen, würde man das bestimmt auf die lesbischen Eltern zurückführen.
*Auf die Gefahr hin, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) den richtigen Namen von Lukas erfahren, haben wir ihn geändert. Sollten die Behörden die Identität des Vaters ausfindig machen, melden sie die Vaterschaft und setzen so Carmens und Jessicas Familienglück aufs Spiel.
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