Wenn man Tim Wiese fragt, warum er so braun ist, antwortet er: “Halb-Kolumbianer. Mein Vater war Pablo Escobar.” Oder: “Ich war gerade auf Dubai. Ich werde eben schnell braun.” Dass er offensichtlich ins Solarium geht, scheint dem 35-Jährigen peinlich zu sein.
Dabei war Tim Wiese wenig peinlich in den vergangen Jahren, dem Fußballtorwart, der zum Muskelberg wurde und dann als Wrestler Karriere machen wollte.
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Eine kleine Auswahl der Schlagzeilen der vergangene Jahre: “Elf Spiele, drei Jahre Urlaub – ‘Jackpot’ für Tim Wiese“,”Als Maschine verspürt Tim Wiese endlich Liebe“, ” Tim Wiese: ‘Die können mich ruhig alle hassen’, “Tim Wiese bereitet sich auf Promi-Darts-Wettbewerb vor“, “Das glücklose Comeback der pinken Maschine“. Nur zuletzt ist es ziemlich still um ihn geworden.
Bis jetzt. “Fitness: Warum Tim Wiese Rasen mäht.”, war vor einigen Tagen zu lesen. Tim Wiese mäht Wiesen? Jep. In einem “Duell der Maschinen” will Wiese um die Wette Holz sägen und Rasen mähen. Wir dachten: Da müssen wir dabei sein und begleiteten ihn einen ganzen Tag.
8 Uhr früh in Bergisch Gladbach. Die Sonne scheint auf grüne Hügel, Fachwerk-Bauernhäuser, Ziegen, Kühe, ein weißes Festzelt. Idyllisch. Bis Tim Wiese vorfährt. Er ist nicht mit dem “Lambo” gekommen, wie er seinen 450.000 Euro teuren Lamborghini nennt. Heute fährt er im schwarzen, dröhnenden BMW M4 Coupé vor, Wiese – Sonnenbrille, Kapuzenpulli und Jeans – steigt aus. Die erste Überraschung: Wiese ist gar kein Riese. Zumindest nicht mehr.
“Da geht gleich rischtisch die Post ab”
Auf 130 Kilo hatte sich der Bodybuilder gepumpt und gefuttert, bei 1,96 Meter Größe. Jetzt wiegt er “nur noch” 113 Kilo. Er definiert sich jetzt neu: sehnigere Muskeln, mehr Adern. Tim Wiese light.
Sonst ist er der Alte: braungebrannt, volltätowiert, Undercut. Wiese läuft zum Zelt, das Set inspizieren. “Da geht gleich rischtisch die Post ab”, ruft er.
Das “Duell der Maschinen” ist ein ungleicher Wettkampf, Motoren gegen Muskeln: Autopromi JP Kraemer (Die PS-Profis) tritt mit Rasentraktor und Kettensäge an, Tim Wiese mit Sense und Handsäge. Dazu hat der Gerätehersteller McCulloch eingeladen. Tim Wiese, Kampfname “The Machine”, will Spendengelder für ein Kinderhospiz gewinnen. Aber vor allem sehnt er sich danach, dass Zuschauer ihm zujubeln, wie früher zu Fußballerzeiten. Als er den DFB-Pokal gewonnen hat, als er Teil des WM-Kaders war. 269 Bundesligaspiele, Kapitän bei Hoffenheim und Spitzenverdiener mit 3,5 Millionen Euro im Jahr. Ein Held. Das wäre er gern wieder. Notfalls auch, wenn er dafür gegen Bäume und Grashalme kämpfen muss.
Wiese braucht den Wettkampf
Im Zelt liegen Gartengeräte herum. Wiese packt eine Sense, die fast so groß ist wie er, und streicht über die Klinge. “Nicht scharf genug”, sagt er. “Die muss messerscharf sein, ein stumpfes Ding können wir den Zuschauern nicht anbieten.” Die Veranstalter fahren los, um die Sense nochmal schleifen lassen.
“Wiese mäht Wiesen” klingt wie ein Spaßwettkampf. Aber Tim Wiese nimmt das ernst. Der Mann hat 26 Jahre Fußball gespielt, er braucht den Wettkampf. “Egal ob Dart-WM oder Wrestling, ich will immer gewinnen”, sagt er. Er setzt seine Sonnenbrille ab. Seine Augen sind klein und misstrauisch.
Wie ein Tiger schleicht er um den Parcours, testet die Säge, lässt sich eine neue bringen, auch scheiße. “Nicht, dass sich die Zuschauer fragen: Warum schafft der nur eine Scheibe?” Er hasst es, sich zu blamieren. “Welche Knüppel werft ihr mir noch zwischen die Beine?”, ruft er den Veranstaltern zu.
Tim Wiese setzt sich auf einen Heuballen und zündet sich eine Kippe an. “Ich bin hier aufgewachsen, drei Kilometer von hier”, sagt er und zeigt Richtung Hügel. Dann kam die Fußballerkarriere, er war ständig unterwegs, überall gefeiert, aber selten zuhause.
Vor vier Jahren dann der Absturz. Er ließ 27 Tore in neun Spielen durch, vier sogar gegen einen Viertligisten. Er verlor seinen Stammplatz bei der TSG Hoffenheim, der Verein verbannte ihn in eine Strafeinheit. Er war aussortiert, die Karriere vorbei, mit 31. Seit seiner Kindheit hatte er nie etwas anderes gemacht, als Fußball zu spielen.
“Tim Jong-Un, der Unterdrücker”
Den Ball, die Reisen, sagt er, das brauche er nicht mehr. Aber wenn man ihn beobachtet wird klar: Die Anerkennung braucht er schon.
Wollte er nicht eigentlich Wrestler werden? Er schüttelt den Kopf. “Die Amerikaner wollen, dass ich drei Jahre rüber gehe und dort eine Ausbildung mache.” Das war anders abgesprochen, sagt er. “Ich denke nicht, dass ich das mache.”
Also doch kein Wrestler. Was macht Tim Wiese eigentlich dann? “Ich mache jetzt diese Entertainment-Schiene”, sagt er. Er habe viele Anfragen. In der TV-Show Circus Halligalli schlugen ihm Joko und Klaas Wrestler-Namen vor: “Tim Jong-Un, der Unterdrücker”, “Tim Wiesn, der Klischee-Deutsche”, “Timmy Sunshine, der Sonnenbankdrücker”. Darüber konnte Tim Wiese lachen. Er weiß, dass er polarisiert. Hauptsache, er ist den Leuten nicht egal.
Fans strömen auf die Wiesen des Bauernhofs. Zwei Typen haben Muckianzüge aus Schaumstoff an. Sie wollen Tim Wiese sehen, den Muskelberg. Wieses Manager, Dirk Willers, steht am Zelt und schaut zu: “Keiner will Tim reden hören oder tanzen sehen”, sagt er. “Tim ist eine Sport-Entertainment-Marke. Ihn will man ihn einem möglichst sportlichen Wettkampf sehen.” Möglichst sportlich heißt heute: Rasenmähen.
90 Prozent aller Fußballer, sagt der Agent, bekämen nach der Karriere gar keine Anfragen mehr. Er selbst vermarktet auch mehrere Nationalspieler: “Viele leiden, wenn die Aufmerksamkeit weg ist.” Bei Tim Wiese fragen sich die Leute wenigstens noch, was er eigentlich macht.
“Ich hab’ ein spezielles Sensen-Training gemacht”, erzählt er – ohne Selbstironie
Im Moment steht er hinter dem Zelt. Kontrolliert seinen Look im Spiegel. Reißt die Arme auseinander, schüttelt den Stiernacken, schreit laut: “Huuu.” Im Zelt heizt Pro 7-Moderatorin Jeannine Michaelsen die Zuschauer an, es sind ein paar Hundert Fans gekommen. “Die soll aufhören zu labern, ich will rein”, sagt Wiese. Er ist angespannt, als warte dort ein Bundesligastadion mit 80.000 Zuschauern. “Du bist nervös, nee?”, sagt er zu JP Kraemer. “Eigentlich gar nicht”, sagt sein Gegner. Kraemer fährt mit seinem Rasentraktor ins Zelt.
Dann darf Wiese rein. Begleitet von Rauchschwaden, Pompons wedelnden Cheerleadern und einer HipHop-Hymne zieht er in die Arena. “Ich hab’ ein spezielles Sensen-Training gemacht”, erzählt er auf der Bühne – ohne Selbstironie.
Der erste Wettkampf läuft gut für ihn. Kraemer würgt seinen Rasentraktor mehrmals ab, Wiese klopft ihm grinsend auf die Haube. Dann muss Wiese einen Mäher über den Rasen schieben. Er schwitzt und schnauft. Die Zuschauer rufen “Wiese! Wiese!” Sie könnten auch den Rasen meinen, der Tim Wiese alles abverlangt. Als er gewonnen hat, geht er in die Knie. “Musst du spucken?”, fragt Moderatorin Michaelsen. Die Leute lachen. Wiese schüttelt den Kopf und schnauft. Es kommen noch zwei Runden.
Er muss jetzt mit der Sense ran. Aber das Gras ist nass und niedrig. Er muss sich bücken, kommt nicht richtig ran, die Kraft lässt nach, es sieht ungelenk aus. Am Ende schmeißt er die Sense frustriert weg.
“Er mäht, er sägt, er alles”, ruft die Moderatorin
Den dritten Wettkampf kann er nur verlieren. JP Kraemer schneidet mit der Motorsäge seinen Baumstamm wie Butter. Tim Wiese müht sich mit einer Seilsäge als wäre sie Zahnseide. Nach zwei Scheiben gibt er auf. Die Moderatorin will ihn aufbauen, wie eine Grundschullehrerin. “Applaus für Tim Wiese: Er mäht, er sägt, er alles”, ruft sie. Lob fürs Verlieren ist das Schlimmste für einen Sportler. Selbst wenn er kein Sportler mehr ist. Wiese grinst bemüht fürs Foto im Konfettiregen. Der Scheck fürs Kinderhospiz wird übergeben. Dann rettet er sich ins Backstage-Zelt.
Sanitäter eilen herein. Tim Wiese hat Blasen an den Händen. Er lässt sich ein Pflaster auf den kleinen Finger kleben. “Die Sense war nicht scharf, das Gras hätte höher sein müssen”, sagt er. “Ich hätte nicht rauchen sollen.”
Danach Interviewmarathon in Fußballerphrasen: Die Sense, das Gras, da hatte ich keine Chance. Die Autogrammstunde mit den Fans bricht er ab, zieht sich zurück ins Backstage-Zelt, immer wieder kommen Leute für Selfies rein. Er ist genervt. Bald ist es vorbei.
Was macht Tim Wiese eigentlich jetzt? Er plant eine TV-Show, “World of Wiese”, aber es ist fraglich, ob das was wird. Was sonst? “Mit Autos kann ich mir was vorstellen”, sagt er. Er weiß es wohl selbst noch nicht genau.
Die Zuschauer genießen ihre Bratwurst in der Sonne. Wiese stapft zurück zu seinem BMW. Auf dem Weg trifft er eine Bäuerin, sie fragt, wie es lief. “Scheiße”, sagt er, “verloren.”