Ihr werdet es nicht glauben, aber wir haben bereits mehr als nur diesen Artikel zum Thema Fifty Shades of Grey geschrieben. Hier kannst du dir die volle Dosis holen.
Es gibt womöglich keinen Film, der aktuell so intensiv diskutiert wird wie Fifty Shades of Grey. Auch wir haben uns bereits mit den vielen Fragen auseinandergesetzt, die der Film aufwirft. Weil wir bei VICE vielleicht auch nicht der moralische Kompass der Gesellschaft sind, haben wir uns den Film noch mal angesehen—dieses Mal allerdings mit zwei Altenheim-Bewohnerinnen: Gerda, 84 und trotz Rollator noch überaus aufgeweckt und agil, und Brigitte, bald 72 Jahre alt.
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Statt schockiert über die expliziten Sexszenen und das reich ausgestattete Spielzimmer von Mr. Christian Grey zu sein, haben die beiden Grazien während des Films und bei Popcorn und Saft jede Menge Witze gemacht („Mein Mann war auch Pilot, aber der hat mich nie in seinen Flieger gelassen!”, „Ach, uns will doch eh keiner mehr, Gerda.”) und schienen im Allgemeinen mehr interessiert als abgestoßen. Deswegen haben sie uns im Anschluss trotz schlauchender Überlänge und drückender Blase erzählt, was sie vom Fetisch-Blockbuster halten—und warum Sexsklavin Anastasia Steele eigentlich eine ziemlich starke Frau ist.
VICE: Wann waren Sie denn das letzte Mal im Kino?
Gerda: Ich war seit ungefähr sieben Jahren nicht mehr im Kino. Ich bin in meinem ganzen Leben kein großer Kinogänger gewesen—das lag aber bestimmt auch an meinem Elternhaus. Die ersten Filme, die mich gereizt haben, und über die auch meine Freunde in der Schule gesprochen haben, durfte ich nicht sehen. Da hieß es immer „Das ist nichts für dich”. Und als ich dann 1950 endlich nach Berlin gekommen bin, wollte ich mir lieber die Stadt anschauen, als in irgendeinem Kinosaal zu sitzen.
Brigitte: Im Kino war ich auch schon lange nicht mehr. Ich hab mir zwar immer Filme angesehen, wir haben auch Filmabende im Heim, aber diese Art von Film habe ich nie so bevorzugt. Allgemeine Liebes- und Heimatfilme kleiden mich mehr als so ein Sexfilm hier.
Was halten Sie von der weiblichen Hauptfigur in dem Film?
Brigitte: Sie ist eine sehr dominante Frau, eigentlich verkörpert sie wirklich einen sehr starken Charakter. Sie hat sich—zumindest war das mein Eindruck—sehr in den Mann verliebt und hat versucht, alles mit ihm durchzumachen. Sie wusste, dass er irgendwie „krank” ist, oder zumindest abwegig. Ich war selbst verheiratet, hatte vorher schon Beziehungen und war auch nach meiner Scheidung nicht alleine, aber das war für mich abstrakt unnormal. Ich hätte das Ganze nicht ewig geduldet, dazu bin ich auch zu dominant und zu selbstbewusst. In meinem ganzen Leben habe ich immer zu jedem gesagt: Wer mich einmal wegschmeißt, braucht mich nicht wieder aufheben.
Dazu gehören Forderungen, oder solche Schläge, oder eben, dass einen jemand zu Hause als „alte Schachtel” oder so was betitelt. Das wäre für mich schon eine Erniedrigung meiner Person. Ansonsten war der Film sehr interessant, insbesondere die offene Art, mit der beide mit Sex umgehen. Wenn das auf dieser Ebene nicht funktioniert, dann funktioniert die gesamte Beziehung nicht. Welche Rollen die da spielen oder welche Positionen sie einnehmen—das ist ja ihre Sache. Hauptsache, es funktioniert, und es ist nicht einfach nur so, dass der eine seine Spinnereien auslebt und der andere darunter leidet.
Gerda: Ich habe meinen Mann als Kollegen kennengelernt. Wir haben zusammen in einem Reisebüro gearbeitet und die erste Auslandsreisekarte aus der DDR wurde von mir ausgeschrieben. Nach vier Jahren habe ich aber gelernt, dass Erfolgserlebnisse bei der Arbeit nicht für eine Ehe ausreichen. Ich habe meine Tochter unehelich bekommen, alleine großgezogen und nebenbei auch noch ein Fernstudium gemacht. Deswegen habe ich auf jeden Fall genug von Ehen und bin auch sehr kritisch in den Film reingegangen. Aber es war interessant, welchen Wandel, oder welche Nuancen seines Wesens er offenbart hat. Es gab ein paar Seiten, mit denen hatte ich nicht gerechnet. Dass er so brutal werden konnte …
Brigitte: Er hat sie ja auch geliebt! Es war eine unmenschliche Strenge in ihm, würde ich sagen, beinahe tierisch, dass er der Frau am Schluss dann noch so wehtat. Er ist sicherlich nicht der Einzige, der sich an so was ergötzt oder erfreut. Aber zu unserer Zeit hat man immer gesagt, dass solche Menschen krank sind und nicht ganz richtig im Kopf. Wie das heute definiert wird—auch von medizinischer Sicht aus—weiß ich nicht. Für mich wäre es unnormal, mit so einem Menschen zusammenzuleben. Ich hatte eine gute Ehe, eine Wochenend-Ehe, weil mein Mann immer unterwegs war. Wir haben uns nur am Wochenende gesehen, unter der Woche war ich total unabhängig, und deswegen kenne ich solche Probleme gar nicht. In den letzten drei Jahren, als wir jeden Tag zusammen waren, hat es nicht mehr funktioniert. (lacht) Wir haben viel zu spät gemerkt, dass wir eigentlich gar nicht zusammenpassen. Ich hätte diesen Mr. Grey auf jeden Fall schon längst verlassen! Gut, das Ende war ziemlich extrem, aber ich hatte zu Ihnen, Frau Ludwig, ja schon in der Mitte des Films gesagt: „Die verlässt ihn bestimmt.”
Gerda: Ich habe absolut nicht verstanden, warum sie sich seinen ganzen „Marotten” gebeugt hat. Für so was war ich einfach immer zu selbstständig. Ich war damals in meinem Beruf die einzige Frau in einer Leitungsfunktion und musste mich unter sechs gleichgestellten Direktoren beweisen. Das war nicht unbedingt leicht und hat mich sicher auch charakterlich geprägt. Da habe ich gelernt, mich zu behaupten und durchzusetzen. Einmal habe ich zu einem Kollegen gesagt: „Herbert, nun halt aber mal endlich die Schnauze!”
Viele Fans der Reihe halten Christian Grey für den perfekten Mann—weil er so bestimmend, reich und schön ist.
Brigitte: Also ich habe nie auf’s Geld geachtet, ich wollte mich immer selbst beweisen. Mein Mann wollte auch der Großverdiener sein und mich schick und anständig zu Hause sitzen sehen, aber das ging für mich einfach nicht. Ich wäre heute ein stilles, kleines Mütterchen und hätte kaum eine Pension, wenn ich mich damals so unterworfen hätte. Das habe ich an dem Film nicht verstanden: Ja, das Luxusleben reizt, aber wenn die zwei Personen sich nicht harmonisch zusammenfügen, dann sollte man auseinander gehen.
Welche Szene in dem Film ist Ihnen am Meisten in Erinnerung geblieben
Gerda: In dem Film waren eigentlich alle Szenen sehr herausstechend. Gerade die, in denen er sie so verdroschen hat. Die waren einfach nicht angenehm.
Brigitte: Na ja. Du hast an seinem Gesichtsausdruck ja schon gemerkt, Gerda, dass er das nicht bereut, was er da getan hat. Das war für ihn ein Ausdruck seiner eigenen Begierde, seines Auslebens. Was mir gefallen hat, war, wie sie sich ganz am Anfang kennengelernt haben. Wie sie sich noch so harmlos und unschuldig ins Gesicht gesehen haben, da dachte man wirklich, dass sich das zu einer tollen Liebesgeschichte entwickelt. Es ist ja auch eine große Liebe geworden, sonst hätte sie gar nicht so lange mitgemacht. Aber sie hätte ihn nicht verbiegen können, glaube ich zumindest. Dazu war er ja nicht bereit. Ihm fehlte der Wille, sich zu verändern. Er hätte sich vielleicht bemüht, aber es wäre immer wieder durchgebrochen. Und das hat sie erkannt. Sie hat sich angepasst, sie hat eine ziemlich große Leistung damit vollbracht, gerade in ihrem Kopf, und versucht, ihn zu verstehen. Da ist es dann wirklich besser, wenn man auseinandergeht.
Gerda: Für mich war der Film einfach zu lang. Interessant war er bis zum Schluss, gerade mit dem Ende, aber ich kann nicht so lange still sitzen. Ich sah die ganze Zeit auf die Uhr.
Brigitte: Mir sind auch die Beine eingeschlafen.
Na dann machen wir doch jetzt einfach Schluss. Vielen Dank!
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