Popkultur

Wir haben uns „O.C., California“ nach 10 Jahren noch einmal angesehen

Foto: Friskytuna | Flickr | CC BY 2.0 | bearbeitet

Vor zehn Jahren wurde zum ersten Mal O.C., California—oder wie die wortfaulen Westküstler sagen, The OC— in deutscher Sprache ausgestrahlt. Zunächst nur in Österreich, später dann auch in Deutschland. Zuerst mal erinnert mich das daran, dass ich langsam ein alter Sack werde und meine Jugend vorbei ist. Zum anderen hat sich in dieser Zeit vieles an meiner Sicht der Dinge geändert und obwohl O.C. damals für mich so bahnbrechend und prägend war wie sonst nur der Kauf meines ersten BHs, sehe ich die Serie heute beim erneuten Binge-Watching in einem völlig anderen Licht.

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Ich wollte mit O.C. in meine Vor-10-Jahren-Haut schlüpfen und das unbeschwerte Seriengefühl jener Zeit wiederaufleben lassen, als die größten Probleme noch die Probleme anderer Leute im Fernsehen waren. Was ich stattdessen bekommen habe, waren einige ziemlich desillusionierende Tage voller Klischees, nostalgischer Euphorie und fremdschambehafteter First-World-Problems.

O.C. dreht sich um die Irrungen und Wirrungen von vier superreichen, zu Beginn der Serie angeblich 16-jährigen Teenagern, die wie in jeder guten US-Serie von mindestens 25-jährigen Schauspielern verkörpert werden. Ich möchte fast behaupten, dass diese Tatsache mein Bild von 16-jährigen Typen schon vor zehn Jahren ziemlich verzerrt hat und dafür mitverantwortlich ist, dass ich heute auf Typen stehe, die ein paar Jahre älter als ich sind—oder zumindest so aussehen—und einen Drei-Tage-Bart wie Musikvideo-Hauptdarsteller aus dem Jahr 2003 haben.

Dass ich damals unsterblich in Seth Cohen verliebt war, ist für mich auch aus heutiger Sicht noch verständlich, und daran hat sich im Grunde absolut nichts geändert. Vor zehn Jahren, als es die Hipster-Kultur bei uns nur in Ansätzen gab und Skaterhosen in der Größe von Zelten und mindestens genau so riesige Shirts angesagt waren—ein Stil, den man gerne in die frühen 90er abschieben würde, aber ich sage euch, das war auch noch 2004 so—, war ein dünner, blasser Jude in Skinny-Jeans, der auf die Sex Pistols und Death Cab For Cutie steht, für mich das Höchste der Gefühle. Seth Cohen ist immer noch der Mann meiner feuchten Träume—und alleine dafür, diesen Satz zu veröffentlichen, war dieser Artikel für mich schon die Arbeit wert.

Foto: Michael Vlasaty | Wikimedia Commons | CC BY 2.0

Auch für den Außenseiter und Möchtegern-Rebellen Ryan Atwood konnte ich meine jugendlich empfängliche Seele vor zehn Jahren, im Gegensatz zu heute, einigermaßen erwärmen. Immerhin war er arm, seine Mutter Alkoholikerin und sein Leben zum Scheitern verurteilt, bis ihn die Cohens in ihr Poolhaus, das in Wahrheit so groß wie eine Kleinfamilien-Wohnung ist, aufgenommen haben. Wofür man überhaupt ein Poolhaus braucht, wenn man in der riesigsten Bonzen-Villa von Orange County bis Grinzing wohnt, hat sich mir jedoch bis heute nicht erschlossen. Heute langweilt mich Ryan mit seinem Drang, ständig alle zu retten und stets zu betonen, dass er aus Chino kommt und nie ein echter Cohen sein wird, mehr zu Tode als das Feinripp-Unterhemd, das er die ganze erste Staffel lang trägt.

Jedes Mädchen wollte früher sein wie Marissa Cooper, auch wenn es die wenigsten zugegeben haben. Sie ist beliebt, erschreckend dünn, nie Single und hat ein kleines, aber schickliches Alkoholproblem. Heute will ich Marissa einfach nur an ihren gesträhnten Haaren ziehen und allen in Orange County klar machen, dass sie eine Wahnsinnige ist. Sie ist nämlich in Wahrheit unglaublich labil und dumm, extrem männerfixiert und zieht das Unheil förmlich an. Marissa ist eine lebende Allegorie, die menschgewordene Idee von „einfach ständig leiden und sich immer selbst zum Opfer machen“. Die meisten zwischenmenschlichen Katastrophen der Serie sind ihr zu verdanken und das kann sie spätestens ab der zweiten Staffel mit ihrer Schönheit nicht mehr wettmachen. Die einzige ihrer Selbstfindungsphasen, die ich sowohl damals, als auch heute mehr als nur befürworten kann, ist ihre kurze aber intensive Lesbenphase. Das liegt aber vermutlich nur daran, dass ihre Schmusepartnerin die auf Punk-Barbie getrimmte Olivia Wilde war. Ihre Langzeit-On-Off-Beziehung mit Ryan erscheint mir im Nachhinein unglaublich lieb- und leidenschaftslos, was ich zumindest Ryan nicht verübeln kann. Müsste ich mit Marissa zusammen sein, würde ich ihr auch höchstens mal ein Bussi auf die Wange drücken und sonst eher versuchen, dem knochigen Unheil aus dem Weg zu gehen.

Wenn ich ihre (Spoiiiiler) dramatische Sterbeszene nach Jahren heute wiedersehe, empfinde ich keinen Schock mehr wie damals, sondern sadistische Genugtuung darüber, dass mich eine ganze Staffel ohne sie erwartet. Tief in der schönen Marissa hat wohl schon immer die verrückte, aufgedunsene Säuferin geschlummert, die Mischa Barton heute ist.

Foto: Bruce Juice | Flickr | CC BY 2.0 | bearbeitet

An meiner Wahrnehmung von Marissas bester Freundin, Summer Roberts, hat sich hingegen sehr wenig verändert. Was Seth an ihr findet, verstehe ich bis heute nicht. Außerdem werde ich ihr nie verzeihen können, dass sie seine Liebe so lange nicht erwidert und sie plötzlich von einem Tag auf den nächsten zu einer superintelligenten Tierschützerin wird, die ihren Lebenssinn darin findet, Hasen aus Tierversuchslaboren zu retten, nur um dann wie eine Crack-Hasenmutter nicht einmal mitzubekommen, dass sie sich unter ihrem Bett vermehrt haben. Von der Oberflächlichkeit in Person zur Umweltschützerin, duh.

Der Reichtum, der in O.C. angeblich Standard ist, kam mir damals in meiner vorpubertären Naivität auch irgendwie normaler vor als heute. Wenn ich heute sehe, wie Jugendliche im eigenen Land Rover zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung im Yachtclub fahren, nur um danach im eigenen Strandhaus zu saufen, bis sie mit dem Kopf nach unten im Pool treiben, macht es mich traurig, dass ich nicht so reich geboren bin und meine gesamte Jugend mit solchen Aktivitäten und überhaupt irgendwo am Meer verbringen konnte. Irgendwie empfindet man als Kind einfach weniger Neid als später, kommt mir vor. Übrigens interessiert das Meer in O.C. eigentlich niemanden. Man schwimmt lieber in der Chlor-Brühe des hauseigenen Infinity-Pools, außer man ist Übervater und Gutmensch Sandy Cohen oder der sexy Surf-Nazi Volchok, die gelegentlich aus Coolness-Gründen surfen gehen.

Natürlich gibt es in O.C. noch viel mehr Charaktere als meine vier Lieblings-TV-Teenager. Da wären die reichen Eltern, die meist auch selbst heraufbeschworene, aber nicht minder schwere Lebenskrisen bewältigen müssen, und diverse Affären, die für den weiteren Verlauf der Serie auf längere Sicht keine großen Auswirkungen haben, mit denen aber unglaublich viel Zeit verschwendet wird, nur um die ohnehin unausweichliche Versöhnung der beiden Pärchen hinauszuzögern. Diese Charaktere waren jedoch vor zehn Jahren nicht bedeutend und sind es auch heute nicht. Die meisten von ihnen sehen aus wie Softporno-Stars, die sich die Haare selbst frisieren.

Sieht man sich O.C. erneut an, fiebert man bei den Intrigen mit wie beim ersten Mal, da man die Details sowieso schon vergessen hat, und auch die Sympathien für die Figuren sind grundsätzlich die gleichen wie damals. Auch der Soundtrack und vor allem das Theme sind immer noch ziemlich gut und zumindest ich muss am Beginn jeder Folge inbrünstig mitsingen, aber das bin vielleicht einfach nur ich. Das einzige, das sich geändert hat, ist, dass man diesen Scheiß zwar mögen, aber einfach nicht mehr ernstnehmen kann. Die klischeehaften Charaktere in ihren noch klischeehafteren Luxus-Häusern mit ihren Luxus-Problemen, die in Wahrheit keine sind, sind zwar vermutlich die Essenz jeder erfolgreichen Teenie-Serie, wirken aber aus heutiger Sicht einfach nur überspitzt und alles andere als zeitgemäß. Übertreibung geht heute subtiler, was vielleicht auch mit der Kinofizierung des Fernsehens generell und HD zu tun hat, bei dem man Dinge einfach besser sieht und deshalb nicht mehr wie in der Oper auf großen Pathos setzen muss.

Foto: Keith McDuffee | Flickr | CC BY 2.0

Für einen guten Binge-Watching-Marathon, bei dem man sein Gehirn guten Gewissens deaktivieren und sich für kurze Zeit vorstellen kann, man sei ein Rich Kid auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, das seine Nachmittage mit dem Vorbereiten von Winter-Wonderland-Schulbällen und Wodka aus dem Flachmann verbringt, ist O.C. jedenfalls immer noch genau das Richtige. Es ist zwar zugegebenermaßen mittlerweile ein bisschen peinlich, die Outfits sind schlimm (außer die Bandshirts von Seth), die Running Gags nicht mehr so witzig wie damals und die Wendungen noch unglaubwürdiger als vor zehn Jahren.

Trotzdem bleibt O.C. eine der wahrscheinlich besten Teenie-Serien, mit genauso viel Komplexität und Oberflächlichkeit wie Wrestling—und dem richtigen Verhältnis von Intrigen, wohlgeformten Hollywood-Körpern und Storylines, die genau in dem Maße seicht sind, dass man getrost die eine oder andere Folge verschlafen kann, ohne den Faden zu verlieren. Und das ist eine ziemlich wichtige Eigenschaft, falls man mal wieder zu lange im Pool getaucht oder zu tief in den Flachmann geschaut hat.