Ich hasse Generationen-Bezeichnungen. Einfach, weil diese Form der Verallgemeinerung einer bestimmten Altersgruppe mittlerweile so willkürlich eingesetzt wird. Man fühlt sich wie alles und nichts. “Generation Praktikum”, ” Generation Beziehungsunfähig“, “Generation Y”, “Generation Y Not” sind absurde Begriffsfetzen, die uns in den Medien und der Literatur entgegen geworfen werden. Besonders gerne schimpfen die Wissenschaftler, die sie geprägt haben,oder eifrig mitbenutzen, auf unsere Faulheit, politische Verdrossenheit und unseren egoistischen Individualisierungszwang.
Und anscheinend haben wir das mittlerweile schon akzeptiert. Irgendwo ist es uns nämlich mittlerweile herzlich egal, wenn sich irgendwelche Generationenforscher mal wieder Merkmale und passende Namen für unsere Altersgruppe ausdenken—nur damit irgendein anderer generationenforschender Soziologe das dann wieder revidieren kann. Das Problem ist nur, dass wir langsam unterbewusst anfangen, diese Definitionen zu übernehmen.
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Laut des Freiwilligenberichts des Sozialministeriums engagieren sich 43 Prozent aller Jugendlichen in Österreich freiwillig. Aber das reicht anscheinend nicht aus—zumindest nicht für die Parteien, die sich über den fehlenden Nachwuchs beschweren. Also wird über die restlichen 57 Prozent diskutiert. Ihnen wird vorgeworfen, sich lieber für die eigenen Interessen einzusetzen, als für den Gemeinschaftswillen.
Oft fragen sich dann nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die so engagierten 43 Prozent, was denn wichtiger sein kann, als sich als aktiver Bürger in unserer Gesellschaft zu beteiligen. Warum geht man lieber in der Bibliothek Bücher wälzen, als sich auf Gegendemonstrationen zu präsentieren? Wieso bleiben wir lieber verkatert zum Netflix-Schauen im Bett, als uns gegen das “reale Übel” einzusetzen?
Es ist einfach, über diese “Faulen” zu schimpfen und ihnen zu attestieren, dass es uns zu gut geht. Nur leider ist es nicht so einfach. Wir haben versucht, die Wahrheit hinter den so totgehörten Ausreden ausfindig zu machen und haben uns auf die Suche nach dem so oft vermissten Engagement begeben.
1. Das Totschlagargument: “Ich habe keine Zeit
Jeder kennt diesen Satz. Jeder hasst diesen Satz. Und besonders weil dieser Satz so inflationär benutzt wird, wird ihm gerne auch nicht geglaubt. Denn dieses Konstrukt namens Zeit sei ja eigentlich gut einzuteilen. Wer nicht in der Lage ist, seinen Tagesablauf ordentlich durchzuplanen, der ist schlichtweg unfähig. Und schnell wird jeder freizeitliche Akt wie Kaffee-Trinken oder eine ganze Stunde in der Mensa zu verbringen scharf kritisiert.
Mal abgesehen davon, dass wir alle keine Maschinen sind, die ihr Leben auch mal genießen wollen: Eigentlich ist (fast alles) die Schuld von Bologna. Nicht die Reform an sich, aber die Umsetzung der Idee von 29 Bildungsministern, die das Studentenleben ein bisschen “antreiben wollten”—mit einem Stundenplan, zusammengequetscht auf drei Jahre voller quälender Anwesenheitspflichten und Semesterferien, die eigentlich keine sind.
Marie, Mitglied im Vorsitzteam der österreichischen Hochschüler_innenschaft, beschreibt die Bologna-Reform als Sand in der Turbine der Hochschulpolitik: “Gerade die Umstellung auf Bologna hat einiges verändert. Früher war es einfacher, weil man im Schnitt länger studieren konnte.” Das Problem ist nämlich auch, dass viele Studierende eine Anlaufzeit brauchen, bevor sie sich für weitere Sachen, wie beispielsweise die Hochschulpolitik, engagieren wollen.. Dafür reicht die auf drei Jahre zusammengekürzte Studienzeit inklusive Praxis- und Auslandssemester aber mittlerweile gar nicht mehr aus. Studierende haben heute also tatsächlich oft keine Zeit, weil Studieren längst nicht mehr aus “Da hab ich nur eine Vorlesung, zu der ich aber nicht gehen muss” besteht.
2. “Ich habe kein Geld (und keine Zeit)”
Eigentlich steht Bologna für Amore und eine ziemlich beliebte Spaghetti-Sauce. Aber im Zusammenhang mit Engagement steht der Bologna-Reform auch für das zweite Problem eine gewisse Mitschuld zu. “Man muss sich die Hochschulpolitik leisten können”, meint Marie. Für viele ist das aber gar nicht möglich: 61 Prozent der österreichischen Studierenden müssen nebenbei arbeiten. 46 Prozent könnten sich ohne den Nebenjob überhaupt nicht finanziell auf den Beinen halten.
Vanessa ist 21 Jahre alt und erklärt mir, dass sie Engagement zwar bewundert, aber dafür weder Zeit noch Motivation aufbringen kann: “Zeit ist Prioritätensache und meine Prioritäten in den letzten Jahren waren Studium und Job, manchmal auch zwei Jobs gleichzeitig. Natürlich könnte ich mich an den Tagen, an denen ich frei habe, engagieren und ehrenamtlich meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Allerdings brauche ich persönlich diese freien Tage, um mich zu erholen.”
Platt gesagt: Zeit ist Geld und Geld ist bekanntlich Mangelware unter Studierenden. Die Bologna-Reform wurde übrigens in dem Land beschlossen, dass für sein “süßes Nichtstun” bekannt ist. Inwiefern das “Nichtstun” hier aber als süß empfunden wird, ist fraglich.
3. “Das bringt doch eh nichts”
Stell dir vor, es ist Demonstration und keiner geht hin. Das klingt unvorstellbar. Besonders nicht in einer Zeit, die von rechtspopulistischen Aufmärschen geprägt ist. Auch in meiner kleinen Stadt mitten in Deutschland gibt es einen Pegida-Ableger namens Thügida. Doch als die knapp 20 Demonstranten ihre Reichsflagge schwenkten, standen ihnen nur knapp 50 Studierende gegenüber—in einer Stadt, die knapp 5.000 Studierende zählt. Und das an einem Samstagmittag. Es liegt also nicht fern zu sagen, dass Demonstrationen und Sitzstreiks wie aus dem so oft melancholisch angebrachten Beispiel der 68-Generation heutzutage nicht mehr der gängigste Ausdruck unseres Unmutes sind.
Erfahrt hier, wer heute überhaupt noch Demonstrationen besucht.
Wieso auch? Wir kleben uns lieber Aufkleber auf die Laptops und lassen unsere Freunde durch unsere Facebook-“Gefällt mir”-Angaben an unserer politischen Einstellung teilhaben. Vielleicht geben wir auch mal unsere Unterschrift zu einer Online-Petition dazu. Das ist unser Ausdruck von politischer Teilhabe, der für viele Generationsforscher mit “politischer Verdrossenheit” gleichgesetzt wird. Natürlich präsentieren wir uns nicht nur online: Auch bei einem gemütlichen Bier in der Bar wird mal hitzig diskutiert. Aber egal, wie groß der Unmut ist: In Parteien und die Hochschulpolitik treibt es die Studierenden deswegen nicht mehr.
Und berechtigterweise muss man sagen: Warum auch? In den Medien wird uns eine gewisse Hilflosigkeit vorgelebt. Parteien ändern gefühlt jeden Tag ihre Meinung, die Regierung versagt schon wieder bei der Durchführung einer Wahl—und was zur Hölle machen eigentlich die Menschen aus der Hochschulpolitik?
“Das Einzige, was die im letzten Jahr gemacht haben, ist so ein doofes Weckerl für einen Euro in der Mensa anzubieten”, beschwert sich meine Mitbewohnerin, als wir über die ÖH sprechen. Das Gefühl der Ohnmacht lässt uns den Glauben an das Engagement in Vereinen, politischen Parteien und der Hochschulpolitik verlieren. Das ist nicht immer gerechtfertigt, schließlich engagieren sich die Mitglieder in diesen Organisationen nicht umsonst—und nicht nur für ein billiges Weckerl. Doch sichtbar wird es kaum: Dafür fehlen nämlich meistens die Ressourcen oder—genau—die Zeit.
Deswegen wirken die Probleme, die in klassischen Organisationsformen besprochen werden, oft unwichtiger als akute Problemherde wie beispielsweise die Situation der Geflüchteten im letzten Sommer. Alice Uhl, Leiterin der youngCaritas, hat diese Energie im letzten Sommer miterlebt. Mit 17.300 Freiwilligen hatte sich die Anzahl der Helfer im Vergleich zum vorherigen Jahr verdoppelt. “Das Interesse am Thema Migration und Flüchtlingsarbeit ist nicht weniger geworden. Junge Menschen kommen auch persönlich viel mit dem Thema in Berührung.”
Die steigenden Helferzahlen lassen sich auch durch das sozialen Engagement an sich erklären: Man kann schneller etwas verändern und wird dafür meistens noch mit der Dankbarkeit der Hilfsbedürftigen belohnt. Das ist ein klarer Vorteil im Gegensatz zu den oft langwierigen politischen Prozessen. Auch Marie brauchte erst einen “zündenden Moment”, um sich für die Hochschulpolitik zu entscheiden—politisches Grundinteresse reicht da nicht aus: “Als ich an die Universität gekommen bin, wurden die Studiengebühren abgeschafft. Da wurde mir bewusst, dass man mit Hochschulpolitik etwas erreichen kann.”
4. “Oh Gott, so viel Verantwortung!”
Der heutigen Jugend wird gerne eine Bindungsunfähigkeit attestiert. Alice Uhl hat das ebenfalls beobachten können: “Die Verbindlichkeit schreckt eher ab. Vor allem in Städten ist das ein Thema. Man möchte nicht nur bei der freiwilligen Feuerwehr sein, sondern auch mal bei einer NGO oder einen privaten Zivilgesellschaft. Das Langfristige und Verbindliche trifft nicht mehr den Geschmack der Jugend.”
Wir haben heute eben ein ganzes Regal an neuen, aufregenden, grell-bunten Erfahrungen, die man alle machen könnte. Kein Wunder, dass es uns so schwer fällt, sich nur einer Sache zu verschreiben. Langfristige Bindungen werden zur Rarität. Und Pärchen, ja unvorstellbarerweise mittlerweile seit der ersten Staffel von “House Of Cards” zusammen sind, eine Sensation.
“Das Langfristige und Verbindliche trifft nicht mehr den Geschmack der Jugend.”
Doch neben diesem Bindungsproblem hört man von vielen Jugendlichen auch, dass sie mit so viel Verantwortung nicht umgehen könnten. Mit viel Macht kommt auch viel Verantwortung—das wusste nicht nur Peter Parkers Onkel Ben. Doch meistens sind wir schon mit uns selbst maßlos überfordert.
Wie soll man sich dann noch um das Leid von gefühlt 1000 anderen Köpfen kümmern? So kommt es, dass die Überengagierten sich die ganze Macht zu eigen machen. Das erzählt mir auch Karo. Sie ist in der Studierendenvertretung der Universität Salzburg und mittlerweile eher genervt von ihrer Arbeit: “Bei uns hat keiner mehr Lust, etwas zu machen. Da gibt es eben eine Person, die sowieso alles alleine machen will.”
Dabei sind kleine Möchtegern-Kim-Jong-Uns weder für einen Staat noch für den Mikrokosmos einer Organisation auf Dauer erträglich. Die, die außen vor gelassen werden, kommen sich nutzlos vor. Und der, der außen vor lässt, opfert sich dann meist bis zu seinem eigenen ” sozialen Tod” selbst auf. Man kann nämlich nie genug tun.
Engagement hat keinen Anfangs- und Endpunkt. Das Angebot ist auf der einen Seite vielfältiger geworden, aber auf der anderen Seite auch der Druck des Arbeitsmarktes viel höher. Engagement wird gesammelt, als würde es sich um Sticker für ein Lebenslauf-Sammelalbum handeln. Das merkt auch Alice Uhl: “Es ist ein bisschen mehr zum guten Ton geworden, dass man sich sozial engagiert. Wir haben damals junge Menschen gefragt und die meinten, dass sie das auch für ihren Lebenslauf machen. Der Druck ist stärker, da muss man mehr leisten.”
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Engagement ist also eher zur Frage der finanziellen und zeitlichen Leistbarkeit geworden, als eine Frage der Motivation. Es ist nicht verschwunden. Nur müssen sich gewisse Organisationsformen an unsere Flexibilität anpassen. Nicht an allem ist Bologna Schuld. Seine eh schon knapp bemessene Freizeit opfert man aber nur ungern für Sachen, die man selbst nicht wesentlich findet. Das ist manchmal ein Einstellungsproblem, das man korrigieren kann, indem man den Leuten die Ungerechtigkeiten aufzeigt, die man durch die Politik verändern könnte. Aber auch das klappt nicht immer. Wer nicht will, will eben nicht und auch das muss OK sein.
Das müssen diese 43 Prozent der Engagierten, sowie alle Wissenschaftler, auch verstehen. Marie ist beispielsweise sehr zuversichtlich was den Nachwuchs der ÖH angeht: “Solange es Probleme gibt und Sachen, mit denen man unzufrieden ist, bleibt auch das Bedürfnis, etwas zu ändern.”