Wir müssen über die Strategie der AfD reden und nicht über ihre Hetz-Tweets

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Wir müssen über die Strategie der AfD reden und nicht über ihre Hetz-Tweets

Die AfD instrumentalisiert die Toten vom Breitscheidplatz und entlarvt sich dabei selbst.

Als der SPD-Bundesvorstand gestern einen (mittlerweile wieder gelöschten) Tweet eines Journalisten retweetet, in dem er dazu aufruft, ertmal abzuwarten und schreibt, dass Angst, Hass, Polemik, Medienschelte und Spekulation nichts bringen, ist für die Vorsitzende der AfD schon alles klar. Obwohl die Polizei sich noch längst nicht zu Hintergründen der Tat geäußert hat, schreibt Frauke Petry dazu auf Twitter: "Es ist bezeichnend, was die #SPD zum gestrigen Tag teilt: Selbst heute hält man an der Politischen Korrektheit fest. Traurig." Viel eher ist bezeichnend, dass die Vorsitzende der AfD offenbar der Meinung ist, dass "Angst, Hass, Polemik, Medienschelte und Spekulation" jetzt die richtigen Reaktionen sind. Fünf Punkte, die anscheinend wichtige Säulen in der Strategie der Partei bilden und an Tagen wie heute noch leichter zu entlarven sind als sonst. Das Problem: Die Provokation der AfD funktioniert; egal, wie unreflektiert oder haltlos die Tweets auch sein mögen, sie verschaffen der Partei jedes Mal beachtliche mediale Aufmerksamkeit. Dabei sind manche von ihnen menschenverachtende Schnellschüsse, alle sind sie Teil einer Strategie—mehr nicht.

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Eine beliebte Taktik der AfD: den ersten Schrecken ausnutzen und die Schuld Merkel geben. So postete ein AfD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag auf Twitter ein Bild von  blutbefleckten Händen, die die Merkelraute bilden. Dazu der Text "Frau Merkel, es klebt Blut an Ihren Händen! Treten Sie zurück!".

Den gleichen Tenor hat der Twitter-Post von Marcus Pretzell, AfD-Europaabgeordneter und Chef des NRW-Landesverbandes, der ebenfalls auf Twitter schreibt: "Es sind Merkels Tote!" Und auch auf der Facebook-Seite der Partei steht auf schwarzem Grund in Rot und Weiß: "Deutschland ist nicht mehr sicher: 'Es wäre die Pflicht der Bundeskanzlerin, Ihnen das mitzuteilen. Da sie es nicht tun wird, sage ich es Ihnen.'" Dahinter der Name der Parteivorsitzenden. Äußerungen, die in einer Reihe mit den reflektierten und informierten Reaktionen von Politikern stehen könnten—wie sie von Bundespräsident bis zum Innenminister zu hören waren—sind das nicht.

Das mag geschmacklos sein, ist aber keine wirre Reaktion auf die schrecklichen Ereignisse, sondern vielmehr Kalkül. Schon im September enthüllte der Spiegel, dass es Pläne in der AfD gibt, nach "islamistischen Anschlägen mit Todesopfern oder Schwerverletzten" gezielt gegen Angela Merkel Stimmung zu verbreiten. Der hessische AfD-Chef hatte damals den Parteivorstand dazu aufgefordert, Vorbereitungen zu treffen, falls es zu Anschlägen kommen sollte. Die Anschläge sollen "personalisiert" werden und in der Öffentlichkeit mit Angela Merkel in Verbindung gebracht werden. Das Ziel sollte sein, "die Bundeskanzlerin möglichst schnell zum Rücktritt zu bewegen/ihres Amtes zu entheben". In dem Antrag ging es hauptsächlich um Plakate, die "an stark frequentierten Orten aufgehängt" werden sollen. Ob es dazu in den nächsten Tagen kommen wird, wissen wir nicht. Die Social-Media-Aktivitäten der Partei legen aber nahe, dass die Taktik Parteiräson geworden ist.

Ohnehin steht Provokation ganz oben auf der Agenda der Rechtspopulisten. Schon im Frühling tauchte eine geleakte E-Mail der Parteichefin auf, die auf dem Medienportal kress.de veröffentlicht wurde:

"In einer auf Zuspitzungen und Verkürzungen angelegten Medienlandschaft gehen differenzierte und sachlich formulierte Aussagen leicht unter. Dies trifft umso mehr zu, wenn der Platz, den uns die 'Noch-Inhaber' politischer Mehrheiten in diesen Medien zugestehen, nach wie vor limitiert ist. Um sich medial Gehör zu verschaffen, sind daher pointierte, teilweise provokante Aussagen unerlässlich. Sie erst räumen uns die notwendige Aufmerksamkeit und das mediale Zeitfenster ein, um uns in Folge sachkundig und ausführlicher darzustellen."

Erst an diesem Montag wurde laut der FAZ ein entsprechendes Strategiepapier der Partei beschlossen. "Sorgfältig geplante Provokationen" sollen die anderen Parteien zu überzogenen Reaktionen verleiten.

Im alltäglichen politischen Betrieb dieses Landes mag das gegebenenfalls peinlich für die Sprecher der provozierenden Partei, plakativ und problematisch sein. In einer Ausnahmesituation, wie wir sie gerade erleben und wenn es um Menschenleben geht, ist es vor allem eines: menschenverachtend und ohne Anstand.