Wir sind mit Farewell Dear Ghost und einer Polaroidkamera durch den Prater gezogen

Seit 2013 sind die Indie-Popper von Farewell Dear Ghost ein eingespieltes Vierer-Team und mittlerweile ein Teil von Indie-Österreich, der nicht mehr wegzudenken ist. Kommenden Freitag erscheint erscheint nach We Colour The Night ihr zweites Album namens Neon Nature. Deshalb haben wir uns im Wiener Prater getroffen, um grindige Neonröhren anzuschauen, unsere Frühstückskaffees in den verschiedenen Achterbahnen nochmal ordentlich aufzuschütteln und uns unter anderem über ihr kreatives Schaffen, ihre Fans im asiatischen Raum und über die Livetauglichkeit ihrer neuen Platte zu unterhalten.

Noisey: Habt ihr eine außergewöhnliche Prateraffinität oder was hat euch dazu bewegt, hierher zu fahren?
Alex: Wir haben das Album hier gefeiert, als es fertig war. Da haben wir mal einen ausgegeben, haha.

Eine Runde Wilde Maus für jeden zur Feier des Tages?
Andi: Na, insofern ist der Prater interessant, weil es ein komplett eigenes Universum in Wien ist. Wir mögen solche Vergnügungsparks generell. Hier ist alles bunt und leuchtet, was mit der Stadt Wien an sich ja relativ wenig zu tun hat. Vielleicht ist es deshalb ein Refugium.
Alex: Und es passt halt zum Albumtitel Neon Nature. Sehr interessant ist auch dieses ganze Prater-Konzept. Weil jetzt, wo es hell ist, ist alles so grindig. Alles schaut sehr unglamourös aus, man weiß aber, dass das dann in der Nacht leuchten und gut ausschauen wird.

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Ich finde, dass ‘Neon Nature’ melancholischer und bedachter klingt als eure bisherigen Alben. Schafft ihr damit die Analogie zu den grindigen Neonröhren am Tag?
Andi: Das ist lustig, weil wir bisher eher gehört haben, dass es so positiv sei.

Na ja, ich hab mir das Album auch in der Früh angehört und bin kein wirklicher Morgenmensch.
Andi: Jetzt wirst du dann schöne Musik auf deiner Aufnahme haben.
Philipp S: Mit dem fahren wir aber nicht, gell?

Wir laufen an einem Fahrgeschäft vorbei, aus dem ein ziemlich weirder Hardstyle-Remix von “Everytime We Touch” dröhnt.

Alex: Ich glaube, wir haben uns selber nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, ob es jetzt melancholischer oder fröhlicher sein soll als die Vorgänger. Es ist einfach passiert und wir finden es spannend, dass das jeder anders sieht. Wir haben überhaupt kein Problem damit, wenn Leute unser Zeug interpretieren – ganz im Gegenteil.

Also ist für euch jede Interpretation eine richtige Interpretation?
Alex: Ja. Ich glaube, dass genau das das Schöne ist, dass eben eine Interpretation möglich ist. Oder dass es sogar das Bedürfnis erweckt, es zu interpretieren. Und ohne jetzt Wanda bashen zu wollen, aber ich finde es langweilig, wenn das zu eindeutig ist. Grad bei “Bologna” ist es doch relativ offensichtlich. Und bei Neon Nature haben wir auch selber manchmal verschiedene Interpretationen von Songcharaktern.

Wir stehen vor der “Black Mamba”, mein Frühstück liegt mir noch im Magen und Phils Augen werden mit jedem Schritt größer.

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Andi: Bittesehr! Ich würd dich und Phil gerne auf eine Fahrt einladen. Da kannst du sicher gut ein Interview machen währenddessen. Dort oben verstehst dann das Album, haha.
Philipp: Der Phil singt dir auch sicher was vor währenddessen.

Es tut mir leid, aber ich glaube, dass ich da passen muss.

Ich lenke mit einem Foto ab, Phil fährt eine Runde “Black Mamba” und wir schlendern weiter Richtung Geisterbahn.

Phil: Und wohin jetzt? Gemma zum “Space Shot”!
Andi: Puh, ich hab heute schon zwei Kaffees getrunken. Weißt eh, mit Milch. Das wird zu Sahne, das geht nicht.

Wir kommen an einem großen Platz vorbei und von irgendwo hört man deutlich “Vienna Calling”.

Alex: So find ich den Prater charmant. Es ist so ein verlorener Platz irgendwie. Am Tag hat’s zwar keinen wirklichen Charme, aber es ist einfach geil hier.
Andi: Ha, das “Space Shot” hat zu. Sonst wär ich natürlich eh gefahren.
Phil: Gehen wir da in die Geisterbahn!

Wir fahren eine Runde “Megablitz” und mir fangen langsam die Knie an zu schlottern.

Phillip: Mir fällt gerade was ein. Ziemlich geil ist ja, dass es vor zwei Jahren diese Wanda-Achterbahn gegeben hat, die jetzt am Oktoberfest steht. “Olympia” oder so heißt die. Die hat fünf Loopings – die bin ich mit meiner Mama gefahren.

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Nach einer Runde Autodrom, die gefühlte 20 Minuten und 31 Schleudertraumas gedauert hat (Shoutouts an den Betreiber, der uns ewig fahren lassen hat), gehen wir in Richtung Riesenrad und schätzen, wie lange wohl eine Fahrt gehen wird. Nachdem die Viertelstunden-Runde nur ein Viertel der Zeit beansprucht hat, mit der wir gerechnet hatten, vergnügten sich die Jungs noch ein bisschen im Souvenirshop, bis wir uns im nächstgelegenen Restaurant mit Pommes und Bier eindeckten.

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Phil: Ich glaub, ich nehm mir ein Schnitzel – um 17,50 Euro.
Andi: Was, 17,50?! Na ja, wenn ich mit Karte zahlen kann, ist mir das wurscht.
Phil: Ach komm, ich nehm Pommes einfach, reicht auch.

Ihr habt euch ja jetzt doch ein bisschen Zeit gelassen seit dem letzten Album. Wie läuft euer Songwriting-Prozess ab?
Phil: Grad bei diesem Album ist das interessant, weil es nun eben die Summe von allen ist. Jeder hat gleich viel eingebracht in das Ganze – und das hört man auch. Es ist ein riesengroßer Schritt vorwärts für uns. Da steckt von jedem unfassbar viel Tüftelei drin.

Und wart ihr euch dauernd auf Anhieb einig?
Alex: Es hat schon die ein oder andere Diskussion gegeben, aber schlussendlich haben wir einfach gegenseitig unsere Ideen so weitergesponnen, dass schlussendlich alle einverstanden waren.

Was war euer Hintergedanke bei diesem Album? Hattet ihr ein Ziel?
Andi: Na ja, das Ziel ist mit der Zeit entstanden und zwar eine eigene Welt, ein eigene Universum zu schaffen. Quasi eine in sich geschlossene Welt zu vertonen. Wobei des a bissl bochn klingt. Aber dadurch, dass wir stark visuelle Menschen sind, ist es irgendwie immer leichter einen Ausgangspunkt zu finden, an dem man sich dann orientiert. Wichtig war, dass wir alles, was wir machen, so richtig machen. Wenn duett, dann richtig. Wenn draufdrücken auf die Melancholie, dann richtig.
Phillip: Voll auf die Zwölf!

Alex, du hast im letzten Noisey-Interview gesagt , dass du live keinen künstlerischen Anspruch hast.
Alex: Haha, wird sofort zurückgezogen!

Du hast jetzt Zeit für Erläuterungen.
Alex: Das war ein bisschen anders gemeint. Ich wollte damit eigentlich sagen, dass wir in unser Songwriting einen hohen künstlerischen Anspruch haben, aber auf der Bühne das dann nicht einfach narcotic runterspielen. Live muss es fetzen und nicht artsy sein. Wir wollen uns und das Publikum feiern und Spaß haben.
Andi: Was gewissermaßen ja wieder ein künstlerischer Anspruch ist.
Alex: Aber die Motivation dahinter – so hab ich das damals gemeint – ist eine andere.


Also beachtet ihr die Livetauglichkeit beim Schreiben oder fragt ihr euch manchmal erst danach, wie zur Hölle ihr manches live bringen sollt?
Andi: Gerade bei diesem Album war es so, dass wir eher auf den Live-Kontext gepfiffen haben. Das Einstudieren und Songs auf die Bühne bringen kommt erst jetzt nach und nach. Wir haben auch nicht nach dem Schema “vier Hawara kommen in den Proberaum und rocken drauf los und schauen, was rauskommt”. Es war ein sehr thematischer Zugang und alles war vorher überlegt. Aber so ein Garagenrock-Album würd ich schon auch gern nochmal machen.
Alex: Live ist dann natürlich erkennbar, welche Nummer wir spielen, aber es klingt eventuell trotzdem anders als auf dem Album. Der Sprung ist dann eben spannend, weil dazwischen durch die ganze Computerarbeit relativ viele Steps stehen und können unsere eigenen Songs wieder anders erleben.
Andi: Es ist quasi so ein Clash zwischen der organischen Rock’n’Roll-Welt und der perfektionistischen, technoiden Herangehensweise – im Endeffekt Neon Nature. Es wundert mich eh, dass das medial nicht mehr Aufmerksamkeit generiert hat.

Sehr philosophisch! Und im Endeffekt geht es wieder um die mediale Aufmerksamkeit?
Andi: Uns geht’s nicht per se um das. Natürlich ist es schön, wenn sich Medien und viele Leute dafür interessieren. Aber uns geht’s da eher um Qualität. Natürlich können Medien einen Act großschreiben, aber am Ende des Tages setzt sich nur der durch, der einen längeren Atem hat.
Phil: Man merkt dann ja auch, ob was dahinter ist oder nicht und ob das von Herzen kommt.

Wo seht ihr euch in der österreichischen Musikszene? Abgesehen davon, dass ich diesen Ausdruck hasse.
Andi: Wir haben grad heute darüber geredet, dass wir das auch nicht so cool finden. Was soll das sein, diese “österreichische Musikszene”.

Dann nennen wir es doch einfach “die Landschaft der österreichischen Musikschaffenden”.
Alex: Haha, schon besser. Ich find, dass es einfach langweilig wird, wenn es permanent nur um Aufmerksamkeit und Effekthascherei geht, wenn man Künstler von einem Hype in den anderen hebt.
Andi: Das Gesündeste für eine Band ist – vor allem in Österreich – organisch nach und nach zu wachsen, dafür aber kontinuierlich. Sonst kommt man in so einen Strudel und am Ende vergisst man, woher man eigentlich seine Kreativität nimmt. Das Leben im Tourbus erzählt nicht wirklich viele Geschichten.
Philipp: Das ist auch einfach oberflächlich dann.

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Wo nehmt ihr eure Kreativität her?
Andi: Aus dem täglichen Leben, das wir führen müssen, haha!
Alex: Das klingt jetzt sehr pathetisch, aber wir sind nicht engstirnig und sind sehr an anderen Menschen und deren Leben interessiert und verschließen uns nicht. Vor allem sind wir an den ganzen schrägen Sachen interessiert.
Phil: Es können Filme, Gedichte, Bücher, Erlebnisse oder Gedanken sein, in die du dich hineinsteigerst. Es gibt eh genug Einflüsse und es geht eher darum, was man sich herauspickt und wie man sich’s zurechtlegt.

Apropos Tourbus: Ihr wart ja gerade auf Asien-Tour und dann geht es quer durch Österreich. Habt ihr so eine große asiatische Fanbase?
Andi: Ja, das ist ganz lustig. Ich find’s sehr schade, dass wenige europäische Bands diesen Schritt versuchen. Weil der asiatische Raum offensichtlich sehr empfänglich für Popmusik ist. Dort gibt es auch wenig Berührungsängste. Die sind total unvoreingenommen und haben nicht die Angst, die man in Europa bei Konzerten spüren könnte.

Also die feiern euch auch ohne Ansagen wie “kommt ein bisschen näher her”?
Andi: Genau. Grad in Wien gibt es ja immer diesen noblen Respektabstand zur Bühne.

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How to: Instagramstories à la Farewell Dear Ghost.

Ich find barrierefreie Konzerte eigentlich nobler.
Andi: Ja eh, hier muss man die Leute immer ein bisschen zu ihrem Glück zwingen, weil vielleicht manche Angst haben, dass sie jemand von der Arbeit sehen könnte.

Es dauert hier einfach so lange, bis der oder die Erste abgeht. Wie bei roten Ampeln – sobald jemand losgeht, laufen alle nach.
Phil: Ja voll. Das hat man auch beim Out of the Woods beobachten können.
Andi: Ich finde auch, dass das das perfekte Festival für Leute über 22 ist.

Ist das also das signifikante Alter, bei dem man etwas gechillter wird?
Andi: Ja, das war so das Alter, bei dem ich die Vorzüge einer warmen Dusche zu schätzen wusste. Aber Festivalgrind ist eh auch geil. Nur wenn, dann richtig – mit Matsch und so.

Noch eine Frage zum Abschluss: Habt ihr eure eigenen Songs in privaten Playlists? Hört ihr eure eigenen Nummern oft?
Andi: Kurz nachdem das Album fertig ist schon relativ oft, ja.
Alex: Aber wenn man’s dann dauernd gespielt hat nach der Tour, braucht man’s nicht mehr unbedingt.
Phil: Ich hab da so Phasen. Also ich hab die Lieder schon in der Playlist und manchmal flasht’s mich dann auch wieder ur rein. Alle paar Wochen bin ich dann schon wieder extremer Fan von den eigenen Sachen. Manche Songs hör ich wirklich bewusst, weil ich Lust drauf habe. Es ist nicht so, dass ich das ständig daheim aufleg, aber im Grunde finde ich das wichtig, dass man Fan von den eigenen Sachen ist.

Ich werd euch nach der Tour nochmal fragen.
An folgenden Daten könnt ihr euch von der Farewell Dear Ghost-Livetauglichkeit überzeugen:

9. November – WUK Wien
10 November – Generalmusikdirektion Graz
30. November – ARGEkultur Salzburg
7. Dezember – Kino im Kesselhaus Krems


Sandro auf Twitter: @voriboy

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