Als Teenager habe ich gelernt, wie ich meinen Schlüssel zwischen die Faust klemme, um ihn jemandem zwischen die Rippen zu stoßen, und dass Angreifer am ehesten loslassen, wenn man ihnen in die Eier tritt oder in die Hand beißt. Heute bin ich 25, und mein Vater schreibt mir noch immer, dass er mir das Geld überweist, wenn ich nachts mit dem Taxi statt mit der Bahn nach Hause fahre. Seine Sorgen sind teilweise begründet: Einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zufolge wurde jede fünfte europäische Frau schon einmal vergewaltigt, jede Zweite wurde sexuell belästigt. Transfrauen werden sogar noch häufiger angegriffen. Aber sollten wir uns deswegen unter Angst in unseren Schlafzimmern einsperren? Nein, fand eine Unternehmerin aus NRW und entwickelte ein Kleidungsstück, das Frauen schützen soll – aber gleichzeitig macht es noch mehr Angst.
Vor zwei Jahren haben drei Männer Sandra Seilz beim Joggen angegriffen und versucht, ihre Hose runterzuziehen. Sieben Monate später hatte die 42-jährige Unternehmerin mit einem Designer der Uni Bottrop die ersten Safe Shorts entwickelt, sichere Laufhosen mit Dreifachschutz. Das Material ist reiß- und schnittfest, die Kordeln, die an der Taille zugebunden werden, kann die Trägerin mit einem Zahlenschloss verriegeln. Wenn es einem Angreifer dennoch gelingt, die Hose trotzdem runterzureißen, geht ein 130 Dezibel lauter Alarm los. “So laut wie der Start eines Düsenjets”, erklärt Seilz den Lübecker Nachrichten. Die Hose trug sie ursprünglich nur zu ihrer eigenen Sicherheit, heute verkauft Seilz die Safe Shorts in ihrem Online-Shop von Deutschland bis nach Libyen. Ein Paar kostet zwischen 89 und 149 Euro. Ist das der Preis, der uns unsere Sicherheit wert sein sollte?
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Seilz ließ die Safe Shorts entwerfen, um sich nach einem Angriff wieder sicher zu fühlen. Es wäre anmaßend, einer Betroffenen ihre Ängste abzusprechen, die durch so eine traumatische Erfahrung entstehen. Was für sie dreifach gesicherte Hosen sind, sind für andere Frauen das Pfefferspray in der Handtasche, die Trillerpfeife um den Hals oder eben der Hausschlüssel in der Faust. Ängste vor Übergriffen sind gravierend. Typen, die sich deswegen unter Generalverdacht gestellt fühlen, Idioten. Und Hilfsmittel, mit denen wir uns sicher fühlen, prinzipiell keine schlechte Sache.
Trotzdem bleiben die Safe Shorts problematisch, denn sie suggerieren: Wir sind selbst dafür verantwortlich, ob wir nach dem Joggen, dem Karneval oder der Clubnacht heil zu Hause ankommen. Und dafür, dass das so ist, können wir ruhig auch Einschränkungen in unserer Lebensqualität hinnehmen: mit einem Schloss verriegelte Shorts, statt leichter Laufwäsche, Geld für teure Abwehrsysteme, statt für Pizza vom Lieferdienst, ängstlich zu Hause rumsitzen, statt abends in die Disco.
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Dabei wäre das alles nicht nötig, wenn Menschen Grenzen respektieren und eine Konsenskultur annehmen würden. “Männer sind in der Verantwortung, sich nicht grenzverletzend zu verhalten”, sagt Catharina Strutz-Hauch vom Frauennotruf Lübeck. Es sei nicht Aufgabe der Frauen, sich zu schützen. Tatsächlich wären Produkte wie die Safe Shorts nicht nötig, wenn Konsens selbstverständlich wäre. Das würde aber auch bedeuten, dass man Frauen nicht mehr auf der Straße hinterherpfeift, in Meetings nicht einfach ihr Aussehen kommentiert oder ihnen bei einem Konzert an den Arsch fasst – all das trägt dazu bei, sich vor übergriffigem Verhalten nicht sicher zu fühlen. Aber ja: Eine tiefgreifende Veränderung ist für einige Männer deutlich unbequemer als ein paar enge Shorts mit Zahlenschloss (die sie ja ohnehin nicht tragen müssen).
Es mag manche vielleicht noch immer überraschen, aber konsensuales Verhalten ist sogar lernbar: In Kenia bringt die Aufklärungskampagne “No means No” seit 2015 jungen Frauen und Männern eine solche Konsenskultur bei. Mädchen lernen, Nein zu sagen und sich körperlich zu verteidigen. Jungs wird beigebracht, dass eine Frau keinen Sex mit ihnen haben muss, nur weil sie sie vorher zum Essen ausgeführt haben. Die Stanford University School of Medicine fand heraus, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Programms sexualisierte Gewalt anschließend besser erkennen konnten und öfter eingriffen als Teenager, die nicht in den Workshops waren. Der leitenden NGO zufolge hat die Vergewaltigungsrate in den besuchten Vierteln nach der Kampagne um 51 Prozent abgenommen.
Natürlich wäre es utopisch zu glauben, dass es mit Hilfe von nur genug Workshops und Trainings irgendwann gar keine Gewalt mehr geben könnte. Das weiß auch Sandra Seilz. Einem Mann, der vergewaltigen wolle, seien Regeln und Gesetze egal, sagte sie gegenüber VICE Australien, sie wolle lieber einen direkten Schutz. Den können allerdings auch die Safe Shorts nicht vollständig bieten. Die Hosen schützen laut der Herstellerin vor Vergewaltigungen und Übergriffen von Tätern, die den Intimbereich ihrer Opfer anvisieren. Bei allen anderen Gewaltformen hilft aber auch die Hochsicherheits-Hose nichts.
Laut der EU-Studie geht sexualisierte Gewalt in den meisten Fällen nicht von fremden Tätern aus, sondern von Partnern, Familienmitgliedern oder Arbeitskollegen. Das bedeutet nicht, dass die Erlebnisse von Betroffenen, die anderweitig Gewalt erfahren haben, keine Daseinsberechtigung haben. Es zeigt aber: Wenn wir die defensive Idee der Safe Shorts nach der Wahrscheinlichkeit von Übergriffen anwenden würden, müssten wir auch bei Betriebsfeiern, Festivals, Dates oder Großveranstaltungen in Bodyguard-Hosen rumlaufen. Wir müssten unter jedem Rock und jedem Kleid Safe Shorts tragen und dem Typen, mit dem wir eine Beziehung eingehen, den Code fürs Zahlenschloss geben wie einst den Schlüssel für den Keuschheitsgürtel. Kurzum: Wir müssten unsere Leben und unsere Selbstbestimmung massiv einschränken.
Am Ende darf jeder selbst entscheiden, ob er die Angst über seinen Alltag bestimmen lässt. Aber: Widerstand gegen die Strukturen bringt uns nicht nur mehr Lebensqualität, sondern uns am Ende auch gesamtgesellschaftlich weiter. Und wenn wir uns keine Sicherheits-Shorts mehr kaufen müssen, bleibt auch mehr Geld für Lieferpizza.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hatten wir geschrieben, dass jede fünfte Frau in Europa schon einmal vergewaltigt wurde. Tatsächlich sind es fünf Prozent der Frauen und damit jede 20. Wir entschuldigen uns für den Fehler.
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