Wir sollten über die „Joko, du Zigeuner”-Gesänge bei der Promi-Darts-WM reden

„Joko, du Zigeuner”, schallte es Samstagabend bei der Pro7-Show „Promi-Darts-WM” aus den Kehlen der Masse direkt in Deutschlands Wohnzimmer. Der leicht überforderte—und zurecht genervte—Moderator Joko Winterscheidt versuchte die Situation mit Witz zu meistern: „Zigeuner—Geuner, jaaa, wenn schon, denn schon”, brüllte er den Zuschauern im Düsseldorfer Maritim Hotel entgegen—und wollte damit scheinbar aus Sidos Song „Geuner” zitieren. Weil die Fans nicht aufhörten, startete er einen zweiten Erklärungsversuch, um die Situation herunterzuspielen. „Zigeuner heißt in Düsseldorf, wo wir heute sind, Frauenschwarm”, erklärte er Ex-Nationalspieler Mario Basler, der nur ein „Aah, OK” herausbrachte. Anschließend unternahm Joko lachend noch einen dritten kläglichen Versuch: „Ja, ich bin ein Zigeuner.”

Es sind Szenen, die sich erst mitten in der Nacht bei der fünfstündigen Sendung abspielen. Das Publikum in Düsseldorf ist wie bei der WM im Londoner Ally Pally ebenfalls sehr stimmungsvoll—nur leider eben mit nicht ganz so korrekten Parolen. Die „Zigeuner”-Sprechchöre, die an den heimischen TV-Bildschirmen lauter als die Dortmunder Südtribüne ankommen, wurden von der Regie sicherheitshalber noch mit Close-Aufnahmen fröhlich singender und bunt verkleideter Zuschauer bebildert. Auch eine glücklich mitgrölende Dame mit der Aufschrift „Geil, sehr geil” auf dem Schild in ihrer Hand schaffte es ins Fernsehen—nennen wir es mal unglücklich. So wie die ganze Sendung irgendwie wirkte. Während sich nämlich das Duo um Promi Tim Wiese und Dart-Weltmeister Michael van Gerwen den Titel sicherte, bestach das Publikum mit Trinkfestigkeit und grenzwertigen Parolen.

Videos by VICE

Mehr lesen: Das „U-Bahn bis nach Auschwitz”-Lied geistert noch immer durch den Fußball

Denn um zu beleidigen, wurde immer wieder das Wort „Zigeuner” benutzt, auch Kommentator und Darts-Experte Elmar Paulke musste nach Joko dran glauben. Das obligatorische „Timo Werner ist ein Hurensohn” durfte beim Pro7-Spektakel so kurz nach der richtigen Weltmeisterschaft natürlich auch nicht fehlen. Und anschließend war dann Joko wieder der „Zigeuner”. Mit steigendem Alkoholpegel fielen scheinbar die Hemmungen beim Düsseldorfer Publikum. „Bis 1:20 Uhr dauerte das Spektakel, doch schon kurz nach Mitternacht wurden die Lücken im Maritim-Hotel immer größer”, schrieb ein anwesender Journalist der Westdeutschen Zeitung. „Es dauerte einfach viel zu lange und der Alkohol machte sich bei einigen Besuchern auch schon bemerkbar. Sanitäter mussten Betrunkene betreuen.” Der berichtete VICE Sports auf Nachfrage auch, dass die „Zigeuner”-Rufe schon vor der eigentlichen Live-Ausstrahlung beim klassischen Anheizen zelebriert wurden.

Auf Twitter und Facebook beschwerten sich während der Show schnell einige User über die Parolen. Das Wort „Zigeuner” spaltet die Menschen—vor allem die Betroffenen selbst. „Wir sind Zigeuner, und das Wort ist gut, wenn man uns gut behandelt”, berichtete etwa Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller über ihre Erfahrungen aus Rumänien in einem Text zum Thema in der Zeitung Die Welt. Während es einige Menschen gibt, die stolz sind, „Zigeuner” zu sein, ist vor allem in Deutschland der Begriff negativ behaftet. Im vom baden-württembergischen Innenministerium geförderten Handbuch „Sinti und Roma von A bis Z” heißt es, dass der Begriff „Zigeuner” als „ein mit Klischees und Vorurteilen belastetes Schimpf- und Schmähwort” von den Betroffenen „besonders heftig abgelehnt” werde.

Alleine die Debatte um die „Zigeunersauce” und das „Zigeunerschnitzel” zeigt das. Ein Sinti- und Roma-Verein aus Hannover forderte vor einigen Jahren einen Lebensmittelhersteller dazu auf, ihre Zigeunersauce umzubenennen. Die AfD will solche und ähnliche Begriffe (wie etwa den „Mohrenkopf”) wieder salonfähig machen. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sprach 2013 übrigens ein Machtwort und sieht eine Umbenennung der Lebensmittel als „unsinnig” an. Gemeinsam mit dem „Bundesrat der Jenischen Deutschlands” erklärte der Zentralrat der Zeitung Die Welt, dass die Forderung einer Umbenennung die eigentlichen Anliegen der Sinti und Roma ins Lächerliche ziehen würde.

Die Bild-Zeitung schrieb über den Abend in Düsseldorf, dass es „beleidigende Rufe aus dem Zuschauer-Raum, die verbal deutlich unter die Gürtellinie gingen” gegeben habe. Der Spiegel schrieb von „wirklich ekligen Grölereien”. Auf Twitter forderte User xp48x: „Ich würde es begrüssen, wenn sich @officiallyjoko und @Pro7 zu den beschissenen „Zigeuner”-Gesängen gestern äussern würden.” Von Sender und Moderator gab es noch keine Antwort.

Bei der über fünfstündigen Show schauten immerhin durchschnittlich 1,91 Millionen Zuschauer laut Branchendienst Quotenmeter zu und bekamen so auch die Gesänge mit. Das Live-Publikum kann ein Sender oder ein Moderator nur schwer, beziehungsweise eigentlich gar nicht, unter Kontrolle bringen. Die Gesänge zeigen jedoch, dass es noch immer Parolen gibt, die diskriminierend sind, ohne dass dies den Menschen wirklich bewusst ist. Oder eben, dass ihnen diese Diskriminierung unter Alkoholeinfluss einfach egal ist. „Es war eine Grenzerfahrung”, zitierte die Hamburger Morgenpost derweil Joko Winterscheidt. Das war es mindestens, denn es bleibt zu bezweifeln, dass jeder der Mitgrölenden Joko mit dem Spruch als Frauenschwarm huldigen wollte. Und wenn doch, dann wussten sie zumindest, wie sehr so ein Ausruf die Gemüter erhitzen kann.