„Wir stehen zu den Nazis, weil die Nazis Power gemacht haben. Und die Borussenfront macht genauso Power”, erklärte ein BVB-Fan in der Doku „Die sind eben so” aus dem Jahr 1983. Für die Schalker „Mighty Blues” sind die Dortmunder „alle Juden” und „Schweine”, die man „hassen” und „abschießen” muss. Der Film über die rechtsradikalen Fanclubs von Schalke 04 und Borussia Dortmund sorgt auch nach über 30 Jahren für allgemeines Entsetzen und offene Münder, weil die menschenverachtenden Aussagen so ungefiltert und unkommentiert in die Kamera posaunt werden. Die Doku der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen von Regisseur Ulrich Leinweber lief in den Schulklassen NRWs rauf und runter.
„Man muss diese Politisierung dieser Gruppen jedoch richtig einschätzen”, erklärt der heute 63-jährige Leinweber, der vor allem Filme über Rechtsradikalismus drehte. Die Aussagen der Fans ließ er in seiner Doku ganz bewusst unkommentiert. Die Geschichte der beiden Fanclubs ließ ihn nie los und so besuchte er einige der Protagonisten 15 Jahre danach für einen weiteren Film. Im Interview mit VICE Sports schildert er, wie er sich Zugang zu den Fanclubs verschaffte, wie zwei Mitglieder der „Borussenfront” und „Mighty Blues” bei „Die Rechte” und der „Deutschen Kommunistischen Partei” Karriere machten und warum er eigentlich einen ganz anderen Film drehen wollte.
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VICE Sports: Die Mighty Blues und besonders die Borussenfront wurden erstmals durch Ihre Doku „Die sind eben so” bekannt. Wie sind Sie auf die beiden Gruppen gestoßen?
Ulrich Leinweber: Die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen hatte mich damals nach einem ZDF-Dreh über Schalker Fußballfans gefragt, ob ich einen Beitrag im Bereich Fußball zum Thema „Vorurteile” drehen könnte. Also hatten wir diese zwei Gruppen zufällig ausfindig gemacht. Wir wollten einen Beitrag über Vorurteile gegenüber Schalker und Dortmunder Fans drehen. Dass die Mighty Blues und die Borussenfront einen politischen Hintergrund hatten, wussten wir gar nicht.
Es sollte in der Doku also eigentlich gar nicht um rechtsradikale Fußballfans gehen?
Nein, das hat sich erst nach den Dreharbeiten ergeben. Ich hatte vorher schon mal mit jungen Neonazis gedreht, aber dass es rechtsradikale Gruppen im Fußball gab, war 1983 noch völlig neu. Wir hatten mit der Borussenfront einen Termin in ihrer Stammkneipe in Dortmund vereinbart und haben das an einem Abend gedreht. Mitten im Dreh war ich völlig überrascht, dass die Borussenfront einen politischen Hintergrund hatte – wir dachten, es sei nur ein militanter Fanclub. Als wir dann zu den Mighty Blues nach Gelsenkirchen in ihr Stammlokal fuhren, waren wir dann genauso überrascht. Man muss diese Politisierung dieser Gruppen jedoch richtig einschätzen.
Was meinen Sie damit?
Schalke und Dortmund sind seit Generationen Rivalen und diese politische Ebene wurde vor allem auch genutzt, um den jeweils anderen zu verunglimpfen. Die Gruppen waren weniger politische Organisationen, sie wollten eher damit provozieren, indem sie die Nazizeit glorifizieren. Sie sahen sich als Hooligans und die Lust an der Gewalt war das Wichtigste. Die Gemeinschaft, die Kameradschaft und vor allem die Action standen bei den meisten im Vordergrund. Es macht einfach Spaß, in einer Gruppe mit hohem Adrenalinspiegel irgendwohin zu fahren und nicht zu wissen, was passiert. Die politische Dimension stand bei den allermeisten ganz weit im Hintergrund.
Deswegen sollte man die Aussagen aber nicht weniger ernst nehmen, oder?
Man sollte alles ernst nehmen, wenn Menschen verfassungsfeindliche Symbole verwenden, gegen Juden hetzen oder etwa einen Dönerstand auseinandernehmen. Das sind Strafbestände, die muss man ahnden. Doch die meisten der Protagonisten habe ich etwa 15 Jahre nach der Doku nochmals kontaktiert. Für die Dreharbeiten zum Thema „Einmal Nazi – immer Nazi?” wollten wir wissen, was aus den Jugendlichen solcher rechtsradikaler Gruppierungen geworden ist.
Wie standen sie zu ihren damaligen Äußerungen?
Bei den Mighty Blues war das so, dass nach „Die sind eben so” einige Leute versucht hatten, Gruppenmitglieder zur NPD rüberzuziehen. Eines der Mitglieder erzählte mir, dass das nichts für sie war, weil dort nur alte Herren gewesen seien. Sie wollten nichts mit der NPD zu tun haben. Es gab zwar rechtsradikale und rassistische Sprüche, aber eine Politisierung der Fanclubs und eine feste Struktur blieben also völlig aus. Das widerspricht ja auch der Hooligan-Identität, wo sich niemand etwas vorschreiben lassen will. Die meisten wollten irgendwann wegen einiger Verurteilungen nichts mehr mit Politik zu tun haben. Es fand eine Verbürgerlichung statt, weil sie einen Beruf und eine Freundin gefunden hatten. Bei der Recherche im Jahr 1997 stellte sich heraus, dass niemand mehr im rechten Milieu politisch aktiv war – außer einem Mitglied der Borussenfront.
Sie meinen bestimmt Siegfried Borchardt, auch bekannt als SS-Siggi, der 2014 kurzzeitig für die Partei „Die Rechte” im Dortmunder Stadtrat saß und durch den die Borussenfront bis heute lebt…
Er war einer der richtig harten Borussenfront-Mitglieder, die damals in der Kneipe nicht mit uns reden wollten, stattdessen nur an der Theke saßen und zuhörten. Und einer, der damals bei den Mighty Blues maßgeblich die rechte Politisierung betrieben hat, ist später zur „Deutschen Kommunistischen Partei” gegangen und ist heute noch Gewerkschaftssekretär. Er hat völlig die Seiten gewechselt, engagiert sich stark in Antifagruppen und ist nun Teilnehmer bei Flüchtlingsinitiativen. Ihm ist das nun extrem peinlich. Er will da jedoch nicht drüber reden und erklärte nur, dass sie das damals ganz bewusst gemacht hätten, um zu provozieren.
Gab es damals auch Aussagen, die Sie bewusst gestrichen haben, weil sie zu krass waren?
Die haben ganz offen gesprochen. Wenn aber da jetzt irgendein 15- oder 16-Jähriger irgendeinen Müll erzählt hatte, dann habe ich das aber weggelassen.
Bei den Szenen, die am Ende noch im Film zu sehen sind, ist aber auch noch ziemlich viel von diesem „Müll” dabei …
Das konnte man drin lassen, wenn der Protagonist nüchtern oder volljährig war. Aber einerseits braucht man natürlich eine Einwilligung der Eltern. Und auf der anderen Seite muss man in solchen Fällen auch abwägen: Das sind Jugendliche, die sich da mitunter um Kopf und Kragen geredet haben. Wir waren in einer verrauchten Kneipe in einer Ecke und haben einen nach dem anderen vor die Kamera geholt. Es floss Bier und natürlich steigerten sich diese Jungen da auch in etwas rein. Da entstand schnell ein Konkurrenzdenken, wer noch etwas Härteres oder Provokanteres sagen konnte. Da hatte man also auch eine journalistische Verantwortung, denn einen 16-Jährigen kann man da nicht ins offene Messer laufen lassen.
Sie mussten den Gruppen also gar nicht ihre Parolen vor der Kamera herauskitzeln?
Solche Aussagen waren nichts Außergewöhnliches. Die öffentliche Aufmerksamkeit war nicht so wie heute und die Leute waren dementsprechend offener und unvorsichtiger bei ihren Aussagen. Solche Dreharbeiten sind nie leicht. Wenn der Alkohol fließt, dann kann die Stimmung schnell in Aggressivität umschlagen. Wir sind da glimpflich davon gekommen und hatten rechtzeitig den Absprung geschafft. Es gab eine Übereinkunft: Alles, was vor der Kamera gesagt wird, ist öffentlich und all das dahinter wird nicht verwendet. Wenn man mit Leuten offen redet, dann sind die auch offen. Dennoch muss man immer abwägen: Nach zahlreichen Filmen über Rechtsradikale war ich im Laufe der Jahre auch etwas vorsichtig mit Endverurteilungen. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, dass man junge Leute in eine bestimmte Ecke drängt und sie sofort kriminalisiert – sofern natürlich keine Straftaten verübt werden. Mit einem Mitglied von der Borussenfront hatte ich für die Folgedoku 1997 telefoniert, doch der wollte dann nicht mehr vor die Kamera, weil er Angst hatte, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Dieser Beitrag hatte schon große Auswirkungen.
Wie fielen damals die Reaktionen aus?
Der Film hatte eine riesige Verbreitung und wurde innerhalb des Ruhrgebiets überall an den Schulen gezeigt. Sie können davon ausgehen, dass dieser Film in jeder Schulklasse in Nordrhein-Westfalen irgendwann mal lief. Erst durch die Doku wurde publik, dass es solche rechtsradikalen Tendenzen in Fangruppen überhaupt gibt. Weil die Protagonisten im Film aber vor allem Schüler und Ausbildende waren – und deren Lehrer und Chefs die Jungs kannten – hatte es nur Auswirkungen für einzelne. Einige haben ihren Arbeitsplatz verloren. Ich hätte aber nie gedacht, dass der Film auch noch fast 35 Jahre später für so viel Aufmerksamkeit sorgt.
Haben die Vereine reagiert?
Da passierte verhältnismäßig wenig. Was es halt dann gab, waren die Fanprojekte, die nach und nach entstanden sind. Es ging dabei aber vor allem darum, die Ausschreitungen am Rande des Spiels zu verhindern. Man wollte und will bis heute den Fußball als Familienevent vermarkten. Solche Hooligans passten da natürlich nicht ins Konzept.
Der Film ist bewusst unkommentiert und bewertet die Aussagen nicht. Warum?
Ich hatte damals eine Reihe für das ZDF produziert, wo wir einzelne Gruppen zu Wort kommen ließen, ohne die üblichen Fernsehkommentare oder Experten, die das dann interpretierten. Das finde ich bis heute schrecklich. Ich bin mit meinem journalistischen Verständnis davon ausgegangen, dass die Zuschauer es selber beurteilen können, ob etwas gut oder schlecht ist. Wenn man die Aussagen der Mighty Blues oder der Borussenfront hört, finden das 95 Prozent der Leute schrecklich und 5 Prozent vielleicht gut. Diese 5 Prozent kann man nicht überzeugen, wenn man einen Psychologen vor einer Bücherwand aufnimmt und ihn über deren schlimme Kindheit philosophieren lässt. Wie soll man Rechtsradikale beurteilen, wenn man sie nicht hört, sondern nur über sie redet?
Weil man alles von ihnen hört, hat der Film bis heute eine Schlagkraft – auch, weil er fast wie ein Stück Satire wirkt. Geht damit die Aussage verloren?
Man sollte die Borussenfront nicht in die Deppenecke stellen. Ich finde, dass es in die falsche Richtung geht, wenn man sich über den Film lustig macht. Man sollte Hooligans und auch rechtsradikale Fans ernst nehmen. Diese beiden Phänomene haben nie aufgehört und es gibt sie immer noch.
Das Interview führte Benedikt Niessen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie