Bildmaterial zur Verfügung gestellt von Werner Peer, der Facebook Gruppe “Café CITY” und vom Autor
Am 13. März 2017 ist Franz Lang gestorben. Er betrieb von 1970 bis 2010 die “Neue City”, oder einfach nur “City”, in Ried im Innkreis. Sein Tod hat bei sehr vielen Leuten aus der Region Betroffenheit ausgelöst. Franz war eine Legende. Die “City” war eine Institution. Alle erinnern sich traurig ans damalige Stammlokal zurück und ziehen den Schluss: “Mit dem Franz ist jetzt quasi auch unsere Jugend gestorben.”
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Auch wir haben in der “City” sehr viel Zeit verbracht, oft ganz schlechte Musik aufgelegt und die Pubertät in Cuba Libres ertränkt. Hier ein kleiner bittersüßer Abschied vom Franz und warum wir auf den Tod eines Wirten vom Land so emotional reagieren.
Franz war zunächst einmal der gutmütigste, gemütlichste und netteste Mensch der Welt. Fragt man sich durch seine Kundschaft, war das für die meisten ausschlaggebend. Stark gebückt zückte er die Stiegl-Bierflaschen aus seiner Bar-Theke und meistens bekam man auch noch einen kurzen Spruch dazu. Man wollte nicht nur wegen der Bedienung seine Aufmerksamkeit, sondern man wollte ihm sogar irgendwie gefallen. Er weigerte sich bis zuletzt strikt, “Euro” zu sagen und so zahlte man dann für das Bier eben “Zwei Schilling Fünfzig”.
Die Inneneinrichtung der “City” selbst war ganz objektiv gesehen eher hässlich, aber wenn man heute ehemalige Stammgäste fragt, werden all die komischen Tiermalereien an der Wand sowie Leo Schatzls Werke unter Tränen und bis zum Tod verteidigt.
Eine langsam zirkulierende Diskokugel an der Decke vor dem schmalen DJ-Verbau markierte durch Bewegung den Beginn und auch das späte Ende der besten Fortgehabende der Stadt – auch oft unter der Arbeitswoche beziehungsweise Schulzeit. Das “zweite Wohnzimmer” bezeichnet ziemlich gut, welches Gefühl die Gäste der “City” gegenüber hatten – auch wenn vermutlich in wenigen Wohnzimmern derartig viele Räusche abgegriffen wurden.
Hier trafen Außenseiter und schräge Intellektuelle auf jeden und jede, der oder die begeistert links war – was gerade im doch eher blau-braunen Innviertel einen selten sicheren Hafen für gesellschaftliche Weirdos bedeutete.
Franz und seine Gäste hatten auch viel Liebe für verschiedenste Genres an Musik übrig; man konnte in der “City” relativ problemlos auflegen und jeder Gast kannte den Stamm-DJ Walter Horn, der seit den 70ern dort regelmäßig Indie, Alternative, Underground, Experimental und Prog-Rock auflegte. Ein anderer Typ trug beim Auflegen immer eine Gasmaske und spielte “Carmina Burana” als Finale. Auch für die grandiosen Mix-Kassetten, die Franz vor und nach den Sets spielte, würde ich heute mein rechtes Bein hergeben.
In der “City” waren all die schrägen Gestalten auf einem Haufen vereint: Punks, Hippies, No-Future-Kids, Straight-Edger, New-Waver, Rocker, Techno-Heads, Metaler, alte Alkis, junge Junkies und Typen, die mal schwul, mal verheiratet und manchmal auch beides waren.
Fortgehen in der “City” war jedes Mal ein soziologisches Freudenfest. Das Lokal war eine regelrechte Institution für die alternative Szene der Region – gerade wenn man mit den schlägernden Fussballclubs oder die rechten Bars voller Skinheads ein paar hundert Meter weiter nichts anfangen konnte und wollte.
In der “City” wurde gesoffen, gekotzt, geschmust, gekokst, gefickt, laut geschrien und sehr viel gekifft. Dementsprechend gab es auch Zeiten, besonders in den 80ern und 90ern, in denen die “City” als ziemlich verpönt galt. Franz war aber letztlich nie wirklich böse mit einem, egal was man anstellte. Auch nicht, wenn sich ein schlacksiger Typ mit geritzten Armen und Irokesen am Parkplatz vor der “City” mit Rechten schlägerte, in einer Ecke des Lokals ein monströser Joint aufqualmte oder man es einfach nicht mehr aufs Klo schaffte. Bei jedem Idioten-Gast drückte er ein Auge zu und Drogen ignorierte er gekonnt.
Mindestens so wichtig wie Franz war seine Frau Traudi, die bereits 2000 verstarb. Sie war der emotionale Counterpart zu ihrem Mann und ließ uns Drecksbrut nichts durchgehen. Zurecht. Kiffen – oder “gifteln”, wie es oft hieß – war ihr ganz und gar nicht egal, und alleine wenn wir auf dem für sie reservierten Tisch schräg vor der Bar saßen, bekamen wir (wenn auch mildes) Lokalverbot. Letztlich ließ uns der “City Franz” dann doch immer wieder rein.
Sperrstunden gab es ebenfalls keine. In den letzten Jahren hatte die “City” nur noch inoffiziell offen und man musste immer von draußen am großen Fenster bei den Separees klopfen um Franz, an den eingenebelten Gästen vorbei, herbei zu winken. Sogar in seinem damals schon extrem hohen Alter und mit komplett kaputten verzogenen Rücken und Becken, hat er uns fast immer aufgemacht.
Franz weigerte sich strikt, “Euro” zu sagen – und so zahlte man dann für sein Bier eben “Zwei Schilling Fünfzig”.
Bei so vielen persönlichen Erinnerungen an die “City” sieht man die Menschen im Leben plötzlich in einem ganz neuen Licht. Am Gang zum Klo haben wir “Ich hab noch nie …”-Trinkspiele gespielt, bei dem zum Beispiel Geschwister von einander erfuhren, dass sie Analsex hatten. Das Mädchen, das man neben dem Klo erfolglos abschmusen wollte, ist jetzt Theaterregisseurin. Freundschaften sind entstanden und andere auseinander gegangen. Es gab eine Obsession mit Dreadlocks, die damals wie heute völlig unbegreiflich war. Dann war da auch dieser jüngere, weirde, meist betrunkene Typ mit der Haube, der jetzt Geschäftsführer von VICE ist. Sogar meine heutige Freundin ist damals schon im Licht der Diskokugel auf mir herumgeklettert.
Diese Welle an unverdünnter Nostalgie, die der Tod von “City Franz” auslöst, macht uns alle sehr melancholisch – genau wie wir es damals in der “City” auch oft waren. Da bleibt wenig anders übrig, als ein eigenartiges Nina Hagen-Lied aufzulegen, den zerknautschten Grunge-Pullover wieder anziehen und sich ein schön starkes Cuba Libres mixen.
Für Außenstehende mag es etwas schwierig zu fassen zu sein, warum der Abriss eines versifften und von Tauben zugeschissenen Lokals und der Tod eines Mannes, der einem vor Ewigkeiten Flaschenbier in die Hand gedrückt hat, so viele so sehr berührt. Aber jeder von uns hat oder hatte irgendwann ein Stammlokal, einen Treffpunkt, einen Anlass, einen bestimmte Jugenderlebnisse umrahmenden Ort, an dem alle zusammenkamen. Genau das war die “City” für alle, die im Mehrheitssud nicht untergekommen oder von den Rechten ausgestoßen worden sind.
Mit Orten wie der “City” verbindet damit ein extremes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Egal ob Jeans- oder zerrissene Nietenjacke, egal welche Musik man hörte. Spätestens bei den rituellen “City”-Weihnachtsfeiern, bei denen alle Brandschutzverordnungen der Welt ausgesetzt wurden und durch ein gesteckt volles Lokal der Weihnachtsbaum mit Sprühkerzen getragen wurde, sangen alle gemeinsam John Lennons “So this is Christmas” und “Weihnachtsmann” von Blümchen Blau.
“City Franz” Lang soll laut Berichten von Freunden der Familie sehr friedlich eingeschlafen sein. Man kann nur hoffen, dass auf ihn Wirte und Lokalbetreiber mit einem genauso liebenswerten Charakter folgen. Unser Mitgefühl geht an alle im Innviertel und in Ried Umgebung, die nostalgisch und mit einem Tränchen im Auge daran zurückdenken, wie super die “City” und ihr Franz waren – und die sich dank ihm und seinem Hafen ein bisschen weniger alleingelassen fühlten. Prost.
Josef auf Twitter: @theZeffo