Es ist dieser eine Satz. “Es ist einfach nicht gerecht, dass einer, der sein ganzes Leben lang gearbeit hat, 940 Euro Pension bekommt. Und jemand im Asylantenheim, der noch nie ins System eingezahlt hat, 840 Euro.” Heinz-Christian Strache – dunkler Anzug, leicht gepunktete Krawatte – steht selbstbewusst auf der Bühne.
Vor der Bühne brechen die Menschen, die Fan-Schals tragen und mit “Fairness”-Schildern winken, in zustimmenden Jubel aus. Es ist dieser eine Satz, der für den Kandidaten Strache und seine Partei zwar ein Segen bleibt, aber mittlerweile zusätzlich auch ein wenig Fluch geworden ist. Aber dazu später.
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Es ist Freitag, Spätnachmittag in der Lugner City – einer dieser Orte Wiens, die in ihrer Hässlichkeit eine seltene Heimeligkeit entfalten können. Die FPÖ hat hier immer wieder Veranstaltungen gemacht und feiert auch heute den Beginn des Wien-Wahlkampfs beziehungsweise ihrer “Fairness”-Tour, im Grunde den inoffiziellen Auftakt des Nationalratswahlkampfs.
Eine Mädchengang mit Kopftuch kommt vorbei und geht dann mit einem verächtlichen “Aso, ist nur Wahlkampf!” wieder ab.
Ein paar Hundert Leute in rot-weiß-roten Schals haben sich in dem runden, Amphitheater-artigen Teil des Einkaufszentrums eingefunden, um sich entweder direkt vor der Bühne unter den harten Wählerkern zu mischen oder auf den Rängen der Rede von Parteichef Heinz-Christian Strache zu lauschen. Die genaue Zahl ist schwer festzumachen: Die normalen Besucher schwimmen durch und um die Menge herum, stellen sich dazu und ziehen weiter. Eine Mädchengang mit Kopftuch kommt vorbei, freut sich kurz über den Trubel und geht dann mit einem verächtlichen “Aso, ist nur Wahlkampf!” wieder ab.
Die FPÖ hat sich eingerichtet. Wahlkampftische, ein Bierstand, eigene Security. Der Raum ist mit Wahlplakaten und vielen Ballons im tiefen Blau und auch einigen in einem Hellblau, das von weitem fast Türkis wirkt (ja eh, Zufall) geschmückt. Alle paar Minuten macht sich ein Ballon selbstständig und schwebt vorbei an DM, Media Markt und den zahlreichen Polizisten Richtung Decke. Hoch hinaus; dorthin, wohin am 15. Oktober auch die FPÖ will.
Der Nachmittag hat die Choreographie aller größeren Wahlveranstaltungen, die sich überall ähneln. Auch die FPÖ hat einen relativ fixen Ablauf: Die John-Otti-Band bespaßt das Publikum 90 Minuten mit Pop-Schlager-Medleys; Moderatorin Marlies Gasser begrüßt das Publikum; dann gibt es kurze Reden von meist lokalen Politikern (in diesem Fall von Gemeinderat Dominik Nepp, Vizebürgermeister Johann Gudenus und der Nationalratsabgeordneten Petra Steger), die als Warm-Up dienen; und nach dem gemeinsamen Absingen von “Immer wieder Österreich” betritt Strache unter “HA-ZE! HA-ZE!”-Rufen die Bühne.
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Es könnte eigentlich alles gut sein für Strache. Er führt eine teilweise vor Kraft strotzende Parlamentspartei an, über deren Themen geredet wird. In den Umfragen liegt sie aktuell deutlich über dem Ergebnis von 2013. Und letztes Jahr hat er bewiesen, dass er mit dem richtigen Personal, (fast) die Hälfte der Wähler hinter sich (oder eben hinter Norbert Hofer) versammeln kann.
Aber Strache hat auch ein Problem: Es gibt mit Kurz einen jungen, telegenen Politiker, der in der Flüchtlingspolitik ähnliche Töne anschlägt, aber den bürgerlichen Wählern den Vorteil bietet, nicht zu den unappetitlichen Freiheitlichen zu gehören. Und der alles abräumt. Kurz scheint in seinem Umfrage-Höhenflug tatsächlich tief in freiheitliche Wählerschichten eindringen: Die FPÖ liegt in Umfragen zwar über dem Ergebnis von 2013, aber eben teilweise bis zu 10 Prozentpunkte niedriger als in den 1,5 Jahren vor der Kurz-Übernahme, wo sie konsequent bei über 30 Prozent lag.
Über Jahre hinweg haben alle immer wieder vom “Schmied-Schmidl-Theorem” geredet – also der Annahme, dass am Ende immer die FPÖ profitieren würde, wenn andere Parteien ihre Themen beackern. Und dann war es doch wie so oft bei solchen Annahmen: Ganz so einfach sollte es doch nicht sein. Wenn der Schmiedl den Wandel glaubwürdig verkörpern und eloquent rüberbringen kann, dann kann er Schmied daneben offenbar auch ziemlich schnell alt auschauen.
Die FPÖ hat sich in diesem Wahlkampf bis jetzt eher zurückgehalten und zugeschaut, wie sich die Koalitionspartner gegenseitig zerfleischen. Jetzt muss sie anzahnen, und damit hat sie jetzt begonnen.
Srache steht am Pult und greift, wie schon seine Vorredner, die Konkurrenten von Rot und Schwarz mit funktionierenden, aber auch nicht ganz neuen Pointen (“Kurz und Kern waren vielleicht privat in der Wirtschaft, aber sicher nicht in der Privatwirtschaft!”) an. Kurz sei ein Kopierer, Rot und Schwarz würden jetzt groß daherreden, aber sich nach der Wahl ohnehin wieder zusammenpackeln. “Der einzige Kleber, der in Österreich funktioniert, ist der Proporzkleber.”
Kurz ist ein beliebtes Ziel. Strache und Gudenus verwenden viel Energie darauf, ihn als (ehemalige) Stütze der “Willkommenskultur” darzustellen. Sie zitieren Kurz gerade genüsslich: “Der Islam gehört zu Österreich”, “Wir brauchen mehr Willkommenskultur”, “Der durchschnittliche Zuwanderer ist gescheiter als der durchschnittliche Österreicher” – alles Sätze, die der ÖVP-Obmann so oder ähnlich (im letzten Fall sprach er von “gebildeter”, was ein enormer Unterschied ist, aber gut) tatsächlich gesagt hat. Das vergisst man ja bei seiner heutigen Hardliner-Ausrichtung gelegentlich.
Die Attacken sind logisch. Die FPÖ will ihr Thema zurück, denn es ist ein wichtiges Thema. In allen Umfragen sagt eine Mehrheit der Österreicher, dass Migration das wichtigste Wahlthema sei. Und auch die Menschen in der Lugner City in den rot-weiß-roten Schals jubeln dann besonders laut, wenn es um Islam, Kopftuchverbot oder den “Schutz unserer Frauen” geht. Bei den meisten anderen Themen, die Strache in den 60 Minuten, anschneidet, herrscht freundliche Ruhe. Die Steuerbelastung für kleine und mittelständische Unternehmen ist kein Wahlkampfschlager, zumindest nicht hier und heute.
Das wahrscheinlichste Szenario nach heutigem Stand: Wir erleben nach dem 15. Oktober eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung, allerdings eher als Juniorpartner.
Und da kommt jetzt wieder der Satz ins Spiel. “Es ist einfach nicht gerecht, dass einer, der sein ganzes Leben lang gearbeit hat, 940 Euro bekommt. Und jemand im Asylantenheim, der noch nie ins System eingezahlt hat, 840 Euro.” Migration ist nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein mächtiges Thema, weil sie sich mit ihm zahlreiche Gerechtigkeits-, manche würde auch Neiddebatten sagen, mit Sicherheitsthemen verknüpfen lassen. Wenn man denn will. Für Strache ist das Problem aber eben, dass seine Partei mittlerweile nicht mehr die einzige ist, die sowas sagt oder sich zu sagen traut. Diese Sätze klingen bei Kurz eben oft sehr ähnlich.
Man darf das alles aber auch nicht überschätzen. Die FPÖ hat eine geölte Wahlmaschine, eine mittlerweile beachtliche Stammwählerschaft – und sie hat ihre Muskeln bis jetzt noch nicht mal richtig spielen lassen. Wer die Partei zu früh abschreibt, macht einen Fehler. Das wahrscheinlichste Szenario, wenn man den durchaus stabilen Umfragen glauben schenkt, ist zu diesem Zeitpunkt: Wir erleben nach dem 15. Oktober eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung, allerdings nach heutigem Stand eher als Juniorpartner.
Und so ist das an diesem Nachmittag bei aller Kraftanstrengung ein bisschen defensiver als gewohnt. Strache, der letztes Jahr im ORF-Sommergespräch noch im lockeren Ton über den Kanzleranspruch plauderte, redet jetzt nur noch davon, dass seine Partei so stark werden müsse, dass Rot-Schwarz verhindert werde. Und auch Petra Steger ruft als Ziel aus, dass “Rot und Schwarz uns brauchen, wenn sie eine Regierung wollen.” (Um fair zu bleiben: Strache redet später kurz von einem Kopf-an-Kopf-Rennen, aber es wirkt es so, als würde sich die FPÖ an den Gedanken gewöhnen, dass es wahrscheinlich eher um den zweiten Platz geht.)
Die Partie, die sich in den letzten Jahren zum Umfragekaiser gekrönt hat, in zwei Landesregierungen eingezogen ist und beinah den Bundespräsidenten gestellt hätte, ist unter Druck. Sie weiß, dass sie liefern kann; aber auch, dass sie liefern muss. “Die Leute wählen das Original, nicht die billige Kopie”, ruft Strache in den beginnenden Abend hinein. Es klingt aufrüttelnd. Aber eben auch ein wenig nach einer Aufforderung. Fast schon wie eine Bitte.
Jonas auf Twitter: @l4ndvogt