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Es ist eines der großen Themen der bevorstehenden Grazer Gemeinderatswahlen – und auch einer der Hauptgründe, weshalb schon am 5. Februar gewählt wird: das Grazer Murkraftwerk. Weil ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl einer Volksbefragung zur ökologisch wie auch ökonomisch umstrittenen Staustufe in Graz-Puntigam nicht zustimmen wollte, ließ Vizebürgermeisterin Elke Kahr von der KPÖ die Budgetverhandlungen im vergangenen Herbst platzen. Eine Volksbefragung zum 90 Millionen Euro teuren Großprojekt hatte die KPÖ, die in Graz eine Großpartei ist, zur Grundvoraussetzung für ihre Zustimmung zum Budget 2017 erklärt und da auch die Grünen, die FPÖ und die Piraten diesem Budget nicht zustimmen wollten, blieb nur mehr eines übrig: die Selbstauflösung des Grazer Gemeinderates.
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Die Neuwahlen am Sonntag sind der vorläufige Höhepunkt eines jahrelangen Streites um das viel diskutierte Kraftwerk, in dem BefürworterInnen eine Chance zur Aufwertung der Uferlandschaft und der städtischen Bereitstellung erneuerbarer Energie sehen. Doch obwohl Baubewilligungen bereits erteilt wurden und seit Anfang Jänner die ersten Bagger am Baugrund weiteren, sprichwörtlichen Staub aufwirbeln, ist es aus Sicht der KraftwerksgegnerInnen noch nicht zu spät, um ein, ihrer Überzeugung nach, wirtschaftliches und umweltpolitisches Desaster abzuwenden. In den Wochen vor der Wahl formierte sich eine überparteiliche Protestbewegung, die, gemeinsam mit mehreren Umweltorganisationen wie WWF und Naturschutzbund, den Urnengang am Sonntag zur Wahl über das Murkraftwerk erklärten.
Während des “Murmarsches” am 21. Jänner protestierten nach Angaben der VeranstalterInnen zirka 2000 Menschen – etwa doppelt so viele wie am “Dreikönigsmarsch” (erstes Bild) zwei Wochen davor – gegen das Murkraftwerk. Auf einem der Plakate stand zum Beispiel geschrieben: “Nur tote Fische schwimmen gegen den Strom”. Einmal mehr wurde eine Volksbefragung zu dem Thema gefordert.
Das ist die Stelle in Graz Puntigam, an der das Kraftwerk errichtet werden soll. Durch die Staustufe soll der Wasserspiegel um über sechs Meter angehoben werden, der Fluss, der damit einen Großteil seiner Strömungsgeschwindigkeit verliert, würde sich bis zum dreieinhalb Kilometer entfernten Kunsthaus im Stadtzentrum stauen. Darin dürften sich GegnerInnen wie BefürworterInnen des Kraftwerks einig sein: Die Staustufe würde Teile des Stadtbildes langfristig verändern.
Graz gilt seit Jahren als Feinstaub-Hochburg Österreichs. Hauptverursacher ist der Kfz-Verkehr, auch der Hausbrand trägt zur Feinstaubbelastung wesentlich bei.
Was das mit dem Murkraftwerk zu tun hat? Sehr viel, meinen sowohl BefürworterInnen wie auch GegnerInnen des Kraftwerkes in Graz. Während die Energie Steiermark auf ihrer Website die Einsparung von 60.000 Tonnen CO2 pro Jahr – was einem Schadstoffausstoß von 36.000 PKW entspricht – verspricht, sehen KritikerInnen des Kraftwerkes, neben der zusätzlichen Feinstaubelastung durch die mehrjährige Großbaustelle inmitten der Stadt, das Problem vor allem in der Rodung großer Teile der Ufervegetation, dem natürlichen Feinstaubfilter. Eine groß angelegte Baumzählung des Naturschutzbundes Steiermark hatte ergeben, dass über 16.535 Bäume und damit die zehnfache Menge des Grazer Stadtparks dem Kraftwerksbau zum Opfer fallen würden. Darunter befänden sich alleine 824 sogenannte “Baumriesen”, einige davon weit über 100 Jahre alt. Der Betreiberkonzern hingegen spricht von insgesamt nur 700 zu rodenden Bäumen.
Ein Wahl-Versprechen der Kraftwerkswerbenden Parteien soll auf der Olympiawiese, wo die ersten Bauarbeiten bereits begonnen haben, demnächst eingelöst werden, auch wenn es sich bei den versprochenen 1800 Arbeitsplätzen kaum um langfristige Vollzeitbeschäftigungen handeln dürfte. An der Außenseite der Baustelle, dort wo JoggerInnen (noch) der Mur entlang laufen, sind zahlreiche Informationsbanner angebracht. “82 GWh kann das Murkraftwerk in Zukunft an Öko-Strom erzeugen”, steht auf diesen, oder: “90 Prozent der Aufträge gehen an die heimische Wirtschaft”. Die Energie Steiermark ist sichtlich um das (grüne) Image ihres Projektes bemüht. So wurde etwa seitens des Konzerns ein “Dialogbüro” zur BürgerInneninformation eingerichtet.
Das ist die 2012 in Betrieb genommene Staustufe Gössendorf. KraftwerksgegnerInnen sehen hier ein Negativ-Beispiel und einen Blick in die Zukunft für das Bauvorhaben in Graz. Den NaturschützerInnen nach wurde das Ökosystem der Murauen in diesem Gebiet durch die Rodungs- und Bauarbeiten massiv gestört, verschiedene Tierarten hätten hier ihren Lebensraum verloren. Vor Ort verweisen Informationstafeln der KraftwerksbetreiberInnen aber auch auf eine lange Reihe an Öko-Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung des Naturraumes, darunter eine Fischaufstiegshilfe und ein Programm zur Wiederaufforstung.
Aktivisten im Kajak bezweifeln die Rentabilität des Murkraftwerks. Sie fordern die Erhaltung des frei fließenden Gewässers, das auch von anderen WassersportlerInnen genutzt wird.
Das auf dem Bild ist der “Puchsteg” in unmittelbarer Nähe zum geplanten Kraftwerk. Überquert man die Brücke (im Bild von rechts nach links) gelangt man zu mehreren Wohnhäusern, kleinen Schrebergärten und Sportanlagen. Als Anfang der 90er-Jahre auf diesem Areal ein Kindergarten erreichtet wurde, fand man während der Grabungsarbeiten die sterblichen Überreste zweier Menschen. Hier wurden bis in die letzten Kriegstage von den Nationalsozialisten Verbrechen begangen. Ein NS-Lager in Liebenau diente lange Zeit der Unterbringung von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen, die auf die andere Seite der Mur über die Vorläufer-Brücke des Puchsteges zum Einsatz in die Werke von Steyer-Daimler-Puch geschickt wurden. Gegen Ende des Krieges diente das sogenannte Lager V als Zwischenstation für ungarische Jüdinnen und Juden auf ihrem Todesmarsch nach Mauthausen. Dutzende Leichen, die hier massakriert und verscharrt wurden, konnten nach dem Krieg exhumiert werden.
Erst als KraftwerkskritikerInnen das Lager 2011 wieder thematisierten und damit das öffentliche und politische Interesse weckten, sah sich der Betreiberkonzern gemeinsam mit der Stadt Graz dazu veranlasst, eine wissenschaftliche Studie über die Geschichte dieses Ortes in Auftrag zu geben. Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx veröffentlichte daraufhin 2013 die erste umfassende wissenschaftliche Arbeit über ein lange verdrängtes Kapitel der Grazer Geschichte. Über viele Jahre beschäftigte sich auch der Liebenauer Arzt Rainer Possert mit diesem Thema und möchte nicht ausschließen, dass sich auf dem Areal noch weitere hundert Leichen befinden könnten. Die Bauherren des Kraftwerks versichern aber, dass aufgrund der Forschungsergebnisse von Stelzl-Marx, ausgeschlossen werden kann, dass Bauarbeiten auf dem Areal des ehemaligen NS-Lagers stattfinden werden.
Die beiden zentralen Forderungen der überparteilichen Protestbewegung: Die Durchführung einer Volksbefragung zum Murkraftwerk sowie der sofortige Stopp der Bauarbeiten bis dahin. Obwohl mehr als die für eine Volksbefragung notwendigen 10.000 Unterschriften abgegeben worden waren, hatte die Stadt Graz diese im vergangenen Herbst abgeschmettert. In der Begründung hieß es unter anderem, alle Bewilligungen für das Kraftwerk wären längst erteilt, im Falle eines “Nein” müsste die Stadt, die durch die Beschlüsse im Gemeinderat auch rechtlich gebunden wäre, vertragsbrüchig werden. Zudem ginge es hier um eine Entscheidung, die nicht im Wirkungsbereich der Stadt Graz läge, schließlich sei die Energie Steiermark, die das Kraftwerk bauen soll, ein Landeskonzern.
Dieser Rechtsauffassung widersprach Mitte des Monats der Verfassungsjurist Heinz Mayer in einem Gutachten, demnach der Grazer Gemeinderat mit seinem Bescheid zur Abweisung der Volksbefragung “die Rechtslage mehrfach und gravierend verkannt” hat. Die von der Plattform “Rettet die Mur” geforderte Befragung hätte nicht abgelehnt werden dürfen, zumal die Stadt auch noch über offene Fragen, wie etwa die Finanzierung des 90-Millionen-Projektes entscheiden müsse. Am Donnerstag, wenige Tage vor der Wahl, wurde die Beschwerde der KraftwerksgegnerInnen jedoch vom Landesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Der negative Bescheid für eine Volksbefragung war rechtens, heißt es. In der Begründung wird abermals angeführt, dass “nur Fragestellungen zu künftigen Projekten und Vorhaben zulässig” sind.
An Samstag Nachmittag rief das Protestbündnis zur einer letzten Demonstration vor den Grazer Gemeinderatswahlen am Sonntag. Es war damit die dritte Mobilisierung innerhalb eines Monats, zu der dieses Mal, für Grazer Verhältnisse, beachtliche vier- bis fünftausend Menschen erschienen waren. Der Demonstrationszug führte vom Südtirolerplatz durch die stark besuchte Innenstadt über Hauptbrücke, Hauptplatz und Herrengasse, vorbei an zahlreichen WahlhelferInnen und Parteiständen. Zur Abschlusskundgebung am Tummelplatz ließen sich die VertreterInnen der politischen Parteien die Gelegenheit nicht entgehen, ein letztes Mal vor dem Wahlsonntag öffentlich aufzutreten.
Vizebürgermeisterin Elke Kahr bezeichnete das jüngste Urteil des Landesverwaltungsgerichts als “rechtens, aber nicht gerecht” und verwies auf die nächste Instanz, dem Verfassungsgerichtshof. Während NEOS und Piraten die Verwicklungen von Politik und Wirtschaft thematisierten, besann sich Spitzenkanditatin Tina Wirnsberger auf die Wurzeln der grünen Bewegung: “Dort draußen sind die Motorsägen. Wir werden die Bäume beschützen”. Der Grundtenor: Der Protest werde weitergehen, ganz unabhängig vom morgigen Wahlergebnis. Gegen Ende der Veranstaltung rief die Stadtökologin Romana Ull von der Bühne noch einmal den Geist eines historischen Protestes hervor: “Graz ist das neue Hainburg!”