Wie Bayern für psychisch Erkrankte wie mich zur No-Go-Area wird
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Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

Wie Bayern für psychisch Erkrankte wie mich zur No-Go-Area wird

Die bayerische Regierung hat einen Gesetzesentwurf abgesegnet, der Menschen, die Hilfe brauchen, behandelt wie Straftäter.

Wenn es etwas gibt, das überhaupt keinen Spaß macht, dann ist es, offen mit einer psychischen Erkrankung umzugehen. Für mich war es nicht nur das Eingeständnis von Schwäche in einer Gesellschaft, die Leistung fordert. Sobald ich offen mit meiner Krankheit umging, veränderte sich auch mein persönliches Umfeld radikal. Menschen wendeten sich ab, waren überfordert. Ob ausgesprochen, oder nicht: Den Stempel "Psycho" hatte ich erst einmal weg.

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Paradox. Denn wenn es etwas gibt, das bei der Verarbeitung psychischer Belastungen hilft, dann ist es Reden. Das musste ich erst lernen. Nicht nur mit Ärzten zu sprechen, sondern auch mit Familie und Freunden, damit sie lernen, die Erkrankung überhaupt zu verstehen. Reden war für mich wie eine unangenehme Medizin, die aber sehr gut hilft.

So traf ich auf Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Menschen, denen Therapiemethoden begegnet sind, an die ich selbst noch nicht gedacht hatte. Und ich traf Menschen, bei denen das Leben weiterging. Trotz der Erkrankung.

In den letzten Jahren nahm die Zahl der Blogs, in denen Menschen über ihre psychischen Erkrankungen schrieben, deutlich zu. Mir gab das Hoffnung. Besonders starke Menschen schaffen es, ein Buch über ihrer Erkrankung zu schreiben. Und die meisten berichteten, dass es ihnen Kraft gab, offen mit diesem scheinbaren Tabuthema umzugehen. Was bei mir blieb, war das Gefühl, dass die Akzeptanz für psychische Erkrankungen wächst.

Und dann kommt ein bayerischer Ministerpräsident.

Markus Söder und sein Kabinett haben den Entwurf des "Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz" bereits verabschiedet. Das offizielle Ziel lautet: "Gefahrenabwehr". De facto werden psychisch Erkrankte in Listen erfasst und quasi mit Straftätern gleichgesetzt. Das Gesetz sieht vor, depressive Menschen in Krankenhäusern festzusetzen, nach Regeln, die bisher nur für Straftäter galten, ohne dass die psychisch Erkrankten aber eine Straftat begangen haben. Das alles passiert in einem Bundesland, in dem Politiker sich immer wieder mit "hartem Durchgreifen" oder zumindest der Suggestion dessen profilieren wollen. Wäre es 1987 nach Franz Josef Strauß und anderen gegangen, dann hätte man dort HIV-positive und an AIDS erkrankte Menschen mit Berufsverboten belegt und in "speziellen Heimen" "abgesondert" und "konzentriert" (alles Zitate von damaligen CSU-Funktionären).

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Klar – es ist Wahlkampf in Bayern und die Volksseele braucht Futter. Da kommt "a Durchgreif’n gegen olle Depperten scho recht".


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So sehr ich auch versuche, mir zu sagen, dass all das nur Wahlkampfgetöse ist, so sehr setzt es mich doch unter Druck. Denn laut Gesetzentwurf sollen in einer sogenannten "Unterbringungsdatei" die Daten von allen Psychiatriepatienten gespeichert werden, die – egal für welchen Zeitraum – auf Anordnung stationär untergebracht waren. Name, Geburtsdatum, Befund, Dauer der Behandlung und andere Informationen. Die Daten sollen auch dazu dienen, Straftaten zu verfolgen. Die Unschuldsvermutung wird so aufgeweicht. Über 10.000 Menschen mit einer psychischen Erkrankung würden jährlich einen solchen Eintrag bekommen, der sofort auftauchen würden, sobald ihr Name durch den Polizeicomputer läuft. Erst in Bayern. Später vielleicht auch in anderen Bundesländern.

Das Gesetz würde dazu führen, dass wir lieber die Klappe halten

In den letzten Jahren musste ich lernen, dass einer psychischen Erkrankung mit Zwang nicht beizukommen ist. Es gab Phasen, da war ich aufgeschlossen für Therapie. Es gab Phasen, da hatte ich keine Kraft, mich mit den belastenden Erlebnissen aus fünf Auslandseinsätzen für die Bundeswehr zu befassen.

Kommt es so, wie die Bayern planen, dann bleibt mir kein Raum für die kleinen Erfolge, kein Raum, mich auch einmal gesund zu fühlen, denn ich weiß: Auf der Liste steht immer noch, dass ich krank bin. Mindestens fünf Jahre lang. Baue ich nun einen Autounfall oder komme in eine Schlägerei, weil ich jemandem zur Hilfe eile, dann geht es – vermutlich "rein zur Vorsicht" – in die geschlossene Abteilung. Welcher Polizeibeamte will schon riskieren, dass ein "Psycho" auf dem Revier abdreht? Dann lieber ab in die Klapse. Wie werden Polizeibeamte reagieren, wenn ein Nachbar sich wegen zu lauter Musik aus deiner Wohnung beschwert und hinter deinem Namen ein "P" für "psychisch erkrankt" steht?

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All das steht drohend im Raum und künftig werden Menschen wie ich wohl weniger offen mit ihrer Erkrankung umgehen. Keine Erfolgsgeschichten mehr, die Menschen hoffen lassen, dass auch sie ihre Erkrankung irgendwann einmal in den Griff bekommen. Keine Geschichten davon, wie Menschen lernen, mit den Einschränkungen zu leben.

Fein gemacht, Herr Söder.

Ganz unabhängig davon, ob sich der Gesetzentwurf als Wahlkampfgetöse entpuppt, werden nun weniger Menschen aus Angst vor der Liste bereit sein, Hilfe zuzulassen. Die Politik verstärkt das Stigma, das psychisch Erkrankte so mühsam bekämpft haben. Denkt man zynisch, könnte man sagen: Prima, dann braucht es immerhin weniger Anlaufstellen. Bundesweit entlastet so eine Diskussion dann vielleicht auch die überlaufenen Psychotherapeutenpraxen und stationäre Einrichtungen und es wird leichter, einen Behandlungsplatz zu bekommen. Wenn sich überhaupt noch jemand traut.

Seit ich von dem Gesetz gelesen habe, fühle ich mich gesund wie nie zuvor. Urplötzlich habe ich keine Probleme mehr mit Depressionen oder den Erinnerungen der Afghanistaneinsätze. Ich bin so fit wie nie. Ach ja, und ich googel derweil schon einmal Literatur unter dem Stichwort "Exil". Denn wenn es eines gibt, wo sich Deutsche bisher nie mit Ruhm bekleckert haben, dann war es die Listenführung. Scheiß Angsterkrankung, ey.

Der Autor des Textes wird derzeit durch die Bundeswehr versorgt. Das Honorar für diesen Text geht auf Wunsch des Autors an die Deutsche Depressionshilfe e.V.

Wenn ihr oder jemand in eurem Umfeld Hilfe benötigt, wendet euch an entsprechende Stellen, die euch unterstützen können.

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