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Videospiele

In diesem Videospiel haben die Nazis gewonnen und machen Popsongs – eine Rezension

Karl & Karla, Die Schäferhunde, The Bunkers. Wir hören uns an, wie für 'Wolfenstein' Kommerzmusik im Dritten Reich geklungen hätte.
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Was gibt es Schöneres, als am Hitler-Geburtstag – oder einfach bei österreichischem Regierungs-Frust – in einem trashy Videospiel überstilisierte Nazisoldaten niederzuballern? Nicht viel. In Wolfenstein II: The New Colossus erobern psychedelischer Rock und Power-Balladen die 60er Jahre der USA – normal eigentlich, nur mit dem einem kleinen feinen Unterschied zur tatsächlichen Geschichtsschreibung: Nazis haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen, Hitler regiert die Welt von der Venus aus und der Ku-Klux-Klan spaziert auf Amerikas Straßen herum, als autoritäre Fußsoldaten.

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Die Neuauflagen der Wolfenstein-Ego Shooter, die manchen von euch sicherlich ein Begriff sind, haben ein extrem wahnsinniges Drehbuch abgeliefert und bewiesen, wie man super einnehmendes World Building betreibt. So findet man in The New Colossus zum Beispiel einzelne Vinyl-Platten von fiktiven Musikern, verteilt in den verschiedenen Levels.

Alle diese Musiker sind frei erfundene Pop- bis Rock-Künstler – bis auf die Beatles, aus denen einfach Die Käfer wurden – und ihre Singles triefen nur so vor deutschnationalem Kitsch. Wolfenstein II: The New Colossus hat sich die Arbeit gemacht, "Was wäre, wenn die Nazis gewonnen hätten"-Musiknummern zu komponieren, zu schreiben und professionell aufzunehmen. Das Resultat sind Tracks, die sehr überspitzt plakativ und comic-haft wirken, aber zum Teil auch erschreckend glaubwürdig. Hier eine Rezession einiger dieser Nummern – die, die ich beim Zocken finden konnte.

KARL & KARLA – "TAPFERER KLEINER LIEBLING"

Dieses schmalzige Duett ist erstaunlich eingängig und ich gestehe, ich habe es als Ohrwurm. Der Song erzählt jedenfalls von dem romantischen, sehnsüchtigen Dialog zwischen einem deutschen Soldaten, der seine Pflicht erfüllen muss und seiner Zurückgebliebenen. Karl & Karla sind wahrscheinlich so etwas wie die Sonny & Cher oder Frank & Nancy Sinatra ihrer Welt. In Punkto Mix und Mastering geht der Track in Richtung "Wall of Sound" von Phil Spector.

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"Tapferer Kleiner Liebling", gesungen in relativ solidem Deutsch und mit effektiv aufgebauten Schmalz, ist aber spätestens bei der Stelle mit "Blumen in deinem Haar – die Schnitzel, die wir aßen als ein Paar" oder "Standhaft wie die Alpen" nur ein schmunzelndes Kopfschütteln wert.

DIE SCHÄFERHUNDE – "ZUG NACH HAMBURG"

Bei diesem Song über ein Zugticket nach Bremen kann man die sich im Takt schüttelnden Mop-Top-Frisuren förmlich schmecken. Diese Alternate History hat, wie erwähnt, zwar bereits eine Band namens Die Käfer, wobei man hier sagen muss, dass Die Schäferhunde eigentlich viel mehr nach einer Nazi-Persiflage der Beatles klingen – der frühen Help!-Ära. Auch dieser Track ist den Videospiele-Entwickler ganz gut geglückt, muss man zugeben.

Die Thematik über's Bahnfahren, wie sie jeder zweite Rocksong aus den tatsächlichen 60ern hatte, trifft vielleicht für manche auf den sehr grausigen geschichtlichen Umstand, dass man bei Züge und Nazis gedanklich schnell beim Holocaust landet. Wären die Spielemacher tatsächlich so plump und unsensibel gewesen und auch nur in die Nähe davon gekommen, hätte ich das Spiel direkt in den Müll getreten.

SCHWARZ-ROTE WELLE – "ICH BIN ÜBERALL"

Eine Gute-Laune-Nummer, die oberflächlich nach Liebe und Batik klingt. Etwas paradox, da es Hippie-Musik ist, in einer Faschistenwelt, in der es nie Hippies gab. Auch genial, eine deutsche Volksmusik-Version von "House of the Rising Sun". Esoterik, sanfte Lyrik und Sita-Klänge von Schwarz-Rote Welle schlagen aber plötzlich um. Der Refrain "Wir sind überall" löst ganz ohne Weed Paranoia aus und die Nummer wird zum Horrortrip im Überwachungsstaat. Mein Alternativvorschlag für den Bandnamen wäre ja The Mamas and the Propagandas.

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Dieser subversive Big-Brother-Mindfuck ist textlich echt klug aufbereitet. Textzeilen wie "Das sehende Auge des stählernen Wächters beobachtet jede Bewegung" hat zwar nicht den geringsten musikalischen oder lyrischen Anspruch, aber lässt dir das Blut in den Adern gefrieren.

THE BUNKERS – "TOE THE LINE"

Es klingt, als ob The Rolling Stones in ihrer Sticky Fingers-Phase eine mediokre Nummer in deutscher Sprache gemacht hätten. Der englische Akzent ist stark und man versteht eigentlich nur die Hälfte des Textes. Interessant, weil das auch irgendwie eine Geschichte innerhalb der Alternate History erzählt. Es suggeriert, dass in dieser Musik-Industrie, die Regel gilt, ein Artist MUSS auf Deutsch singen – egal, ob sie es können oder nicht.

VIKTOR & DIE VOKALISTEN – "BERLIN BOYS & STUTTGART GIRLS"

Popmusik, zum sich die Kugel geben. So ein "Happy Sound", bei denen man Harmonien von den Beach Boys oder The Monkeys rauszuhören meint, ist auch ohne den starken amerikanischen Akzent kaum erträglich. Außerdem versingen sie sich zum Teil sogar – obwohl der Refrain sogar ein wenig catchy ist.

The Surfin' Sounds of the COMET TRAILS – "WELTRAUMSURFEN"

Die kalifornische Explosion der Surf-Musik ist offenbar auch an diesen alternativen 60er Jahren nicht vorbei gegangen. Da ist eine Menge Hall auf den Gitarren und ein Theremin pfeift schräg im Hintergrund auf und ab. Die Lyrics kann man komplett ignorieren und sind voller falschbetonter Silben.

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Diese fiktive Band erscheint historisch interessant, im Kontext der Spielhandlung, da sie einen englischen Namen haben. Sie hatten sicher sicherlich einen "Rock Bonus" und vielleicht sogar Regime-kritische Fans. Aber jetzt genug von fiktivem Fascho-Kommerz und erfundenen Nazi-Bands, davon gibt es ja in Wirklichkeit leider eh viel zu viel.

Josef auf Twitter: @theZeffo

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