Wir waren in der Hölle von G20 – zwischen Knüppeln und Pfefferspray
Alle Fotos: Gil Bartz

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G20

Wir waren in der Hölle von G20 – zwischen Knüppeln und Pfefferspray

Polizisten prügeln zu Beginn des G20-Protestmarschs in Hamburg auf Demonstranten ein. Unsere Autorin steckt mittendrin – und fragt sich, ob am Ende mehr in Erinnerung bleibt als die Eskalation.

Es knallt. Hinter dem Wasserwerfer steigt roter Rauch auf. Die Luft schmeckt, als hätte jemand Tausende kleiner Pfefferkörner hineingemischt. Sie brennt in der Kehle. "And now you do what they told ya. Huh! Killing in the name of …" dröhnt es vom letzten verbliebenen Lautsprecherwagen. Ein paar Meter weiter tanzt eine Gruppe junger Menschen im Strahl eines Wasserwerfers. Ein Schwarzvermummter steht am Rande eines Hinterausgangs und hebt triumphierend einen Stuhl in die Höhe. Eine Sekunde lang sieht er aus, als wollte er ihn werfen, dann legt er ihn ab und beginnt zu laufen.

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Ich stehe am Rande der Straße und versuche, den Polizeitruppen auszuweichen, die nach einem nicht klar nachvollziehbaren Prinzip einzelne Demonstrantengruppen aussuchen, auf die sie dann zustürmen, sie auseinandertreiben und wahlweise mit Pfefferspray, Knüppeln oder ihren Händen bearbeiten. Eine Gruppe Pressefotografen mit Helmen hastet an mir vorbei, die Bilder, so viel ist klar, werden um die Welt gehen.

"Welcome to Hell" haben die Anmelder die Demonstration gegen das Treffen der G20 am Donnerstagabend genannt und dass sie eskalieren würde, hatten alle Seiten erwartet. Die Fronten waren verhärtet: Anfang Juni hatte die Hamburger Polizei ein Demonstrationsverbot in der Innenstadt für die Zeit des G20-Gipfels verhängt. Eine Woche vor dem Gipfel waren dann die Camps, auf denen die Tausenden Demonstranten während der Zeit der Proteste zu schlafen gedachten, verboten worden. Ein genehmigtes Camp weitab vom Schuss wurde in den frühen Morgenstunden von der Polizei mit Pfefferspray angegriffen, ein Gericht genehmigte den Einsatz im Nachhinein.

Durch die Medien gingen jeden Tag Dutzende neue Statements von Bürgermeistern, Demo-Pressesprechern und Polizei: Wir erwarten gewalttätige Demonstranten, sagten die einen; unser Demonstrationsrecht wird eingeschränkt, die anderen.

Es gibt viele Gründe, gegen das G20-Treffen zu protestieren. Die G20 stehen für Freihandel, IWF-Maßnahmen und das Ziel des ewigen Wirtschaftswachstums. Pünktlich zum Gipfeltreffen haben sich die EU und Japan vor zwei Tagen auf ein Freihandelsabkommen geeinigt, das den nahezu gleichen Inhalt wie das umstrittene TTIP-Abkommen hat – vereinbart hinter verschlossenen Türen und ohne Rücksicht darauf, dass solcherlei Verträge bei der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stoßen.

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Ich bin nach Hamburg gefahren, weil ich die Wirtschaftsordnung, die die G20 vertreten, für überholt und gefährlich halte. Diesen Inhalt wollte ich auf die Straße tragen. Jetzt stehe ich inmitten fliegender Flaschen und prügelnder Polizisten und frage mich, ob von den Inhalten der Proteste dieses Wochenende irgendetwas bei den Menschen hängen bleiben wird, außer: Eskalation.

Als die Gewalt beginnt, ist die Demo noch keinen Meter weit gegangen. Ich stehe in der Mitte des Demonstrationszuges, vor mir der teilvermummte Autonomenblock, links die Seitentransparente des Bündnisses "G20 entern", rechts eine lange Polizeikette. Aus dem Hintergrund spielt fröhliche Musik, Plakate flattern, eine junge Frau tanzt mit ihrer Freundin einen Walzer. Die Demonstration dürfe nicht loslaufen, bis nicht alle Teilnehmer ihre Vermummung abgenommen hätten, hat es vor ein paar Minuten aus den Polizeilautsprechern geheißen. Wie viele Meter weit die Demonstration unter den Umständen wohl komme, höre ich einen Menschen im Block neben mir fragen. Dann geht alles ganz schnell.

Die Polizeikette von der Seite rennt geschlossen los und in die Demonstranten hinein. Ich werde gegen das Transparent gedrückt, Rauch steigt auf. Es knallt; einmal, zweimal, dutzendmal. Irgendetwas prallt gegen meinen Kopf. Ein gepanzerter Handschuh, eine Flasche, ein Schlagstock? Ich weiß es nicht. Die Luft ist so voll mit Rauch, dass man nichts mehr erkennen kann. Pfefferspray, Schreie, Polizeihelme überall. Ich stolpere von der Demonstration weg in Richtung der Wand, neben mir ein Mann um die vierzig mit einer großen Platzwunde am Kopf, Blut rinnt ihm die Wange hinunter. "Drecksbullen", ruft er. Als sich der Nebel lüftet, ist der Platz halb leergefegt, vor mir drängt die Polizei in die Reste der Demonstration, an den Wänden sammeln sich verängstigte Menschen, der Himmel ist blau vom Warnlicht der Polizeiwagen.

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Später wird der NDR schreiben, ein vereinzelter Betrunkener habe von außerhalb der Demo eine Flasche auf die Polizei geworfen und damit den Einsatz ausgelöst, andere mutmaßen, es sei weiter vorne in der Demonstration Pyrotechnik gezündet worden. Von dem Ort, an dem ich stand, war von alledem nichts zu sehen.

"Hier ist einer bewusstlos!", schreit eine Frau. "Er bewegt sich nicht mehr, er bewegt sich nicht mehr!" Die Sanitäter kommen nicht durch. Eine Polizeikette trennt die Menschenmasse in zwei Teile, alle paar Sekunden läuft eine panische Person mit Blut im Gesicht vorbei, der Hamburger Hafen sieht aus wie ein Kriegsgebiet. Auf dem Boden vor einem Wasserwerfer sitzt eine Gruppe junger Männer in bunten T-Shirts, sie sind pitschnass. "Das ist der Inbegriff von Polizeistaat", ruft eine ältere Dame vom Rande des Geschehens: "Was passiert hier nur?"

Die Polizei wird später ihr Vorgehen mit der Begründung verteidigen, sie habe den "Schwarzen Block" vom Rest der Demonstration trennen wollen. Wie ich in meinem hellgrauen T-Shirt, die 60-Jährige im grünen Pullunder oder der blutüberströmte Vierzigjährige in seinem braunen Hemd in die Definition von "Schwarzer Block" gefallen sind, erklärt sie nicht. "Die wollten Bilder produzieren", sagt mir später ein Demonstrant mit Schürfwunde an der Backe. "Und zeigen: Wir haben hier das Sagen."

Am Tag danach wird es in der Zeitung auf jeden Fall nicht um die Inhalte der Demonstration gehen, denke ich. Sondern um die Frage, wer eskaliert hat: Waren es die Demonstranten? Die Polizei? Es wird um linke Gewalt gehen und um Krawalle, um Polizeigewalt und Demonstrationsverbote. Schade, denke ich.

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Aber als die Gewalt aufhört, sind die Menschen noch da. Es sind mehr, als es vor der Eskalation waren, die Polizei spricht später von 12.000 Teilnehmern. Und so findet die Demonstration ein paar Stunden später doch noch statt. Ich laufe am Rande der Menge mit, in der sich nun bunt gekleidete Hippiemänner mit schwarzangezogenen Autonomenfrauen mischen und friedlich miteinander tanzen, und denke, dass es dieser Moment ist, der bei mir hängen bleiben wird. Der, an dem es aller Eskalation zum Trotz doch noch zu einer Demonstration gekommen ist. Und wenn es nur ein paar tausend anderen auch so gegangen ist, dann hat sich die Fahrt nach Hamburg wohl doch gelohnt.

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