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Tech

Ich habe versucht, den Bürojob ohne Laptop zu bestreiten

Smartphones sind Supercomputer, warum dann noch Geld für einen Laptop ausgeben? Also versuchte ich, allein mit Handy und Bluetooth-Tastatur zu arbeiten.
Ashwin Rodrigues
Brooklyn, US
Laptop in einem Papierkorb

Jedes Smartphone, das heute auf dem Markt ist, ist um ein Vielfaches leistungsfähiger als der Bordcomputer der Apollo 11 – der verfügte nämlich gerade mal über 4 KB Arbeitsspeicher.

Dabei habe ich nicht mal vor, mit meinem Pixel 2 in den Weltraum zu fliegen – ich will nur meine E-Mails checken, durch Newsfeeds scrollen, ein paar Textnachrichten und Tweets schicken. Warum sollte ich über über 1.000 Euro für ein MacBook Pro ausgeben, wenn ich bereits einen voll funktionsfähigen Computer in der Hosentasche trage?

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Da mein alter Laptop kurz davor ist, den Geist aufzugeben, stellte ich mir die Frage, ob ich ihn nicht einfach durch mein Smartphone ersetzen kann. Darum habe ich zwei Wochen lang mein Smartphone anstelle eines Laptops benutzt.

Mit einer Bluetooth-Tastatur starte ich das Experiment

Ich hatte mir das vorher sehr schön ausgemalt: Ich sah mich mühelos zwischen E-Mails und Word-Dokumenten wechseln, nebenbei entspannt an an einem Kaffee nippen: das wahr gewordene Stockfoto des hippen Business-Menschen. Ich wollte der perfekte digitale Nomade sein, der nie mehr Technologie als nötig mit sich rumschleppt – ohne dabei an Produktivität einzubüßen. Doch so wie bei vielen Tech-Utopien, sah die Realität trostloser aus.

Der Autor bei der Arbeit im Flugzeug

Bei der Arbeit | Bild: Autor

Um mein minimalistisches Experiment zu starten, kaufte ich mir eine drahtlose Tastatur für unter 20 Euro. Mit nur 215 Gramm fiel sie in meinem Rucksack kaum ins Gewicht. Auch die Gebrauchsanleitung war sparsam gestaltet und enthielt nur die Information, wie ich meine Geräte über Bluetooth verbinden konnte, sowie eine Liste mit Tastenkombinationen, um beispielsweise eine neue E-Mail oder ein Browser-Fenster zu öffnen.

Für das Experiment nutzte ich mein Pixel 2, aber meine Tastatur ist sowohl mit Android- als auch iOS-Geräten kompatibel. Auch die Apps, die ich am häufigsten nutze, laufen auf allen Smartphone-Typen in etwa gleich gut: Google Docs, Twitter, Spotify und Gmail.

Doch meine selbstgebastelte Arbeitseinheit kam im Praxistest weit weniger gut an, als ich es mir vorgestellt hatte. Im Café erntete ich einige verwunderte Blicke, als ich emsig auf meiner Tastatur tippte – vermutlich erkannten die Leute nicht, dass sie mit meinem Smartphone verbunden war.

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Minuspunkt: Die Tastatur beherrscht nicht alle Befehle

Auch war die Kombi aus Smartphone und Tastatur in einigen Punkten weniger benutzerfreundlich, als ich gehofft hatte. Es gab zu wenige Tastatur-Shortcuts, beispielsweise um einen Schritt in der App zurückzugehen. Ich konnte zwar über die Tastatur von einem Google Doc in mein E-Mail-Programm wechseln, aber ich konnte nicht zur Ablage in Google Docs zurückkehren und ein anderes Dokument auswählen – dazu musste ich mein Smartphone zur Hand nehmen. Also musste ich ständig zwischen Tastatur und Telefon hin und her wechseln. Mit einer Maus hätte ich dieses Problem zwar beheben können, aber ich wollte schließlich mit so wenig technischem Zubehör wie möglich auskommen.

Ich fand es bei der Arbeit mit Smartphone und Tastatur angenehmer, Inhalte zu produzieren als sie zu konsumieren. Ich fand es sehr angenehm, am Smartphone zu schreiben, solange ich nicht mehrere Tabs öffnen musste, um meinen Text zu verlinken – dafür musste ich das Telefon nämlich in die Hand nehmen. Hingegen fand ich es weniger praktisch, um Videos anzuschauen oder durch Social-Media-Feeds zu scrollen, da man nicht so leicht mehrere Dinge parallel tun kann und der Bildschirm sehr viel kleiner ist als beim Laptop.

Laut Produktbeschreibung sollte der Akku meiner Tastatur sechs Monate halten, wenn man sie nur zwei Stunden am Tag benutzt. Bei mir ließ die Akkuleistung jedoch nach wenigen Tagen stark nach. Das machte sich dadurch bemerkbar, dass die Tastatur verzögert reagierte, was mich beim Tippen auf eine echte Geduldsprobe stellte.

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Verspannter Nacken, Finger auf der Pfeiltaste

Außerdem tat mir nach ein paar Tagen der Nacken weh. Ich versuchte beim Tippen zwar geradeaus in die Ferne zu gucken, um eine rückenfreundliche Haltung beizubehalten. Wenn ich jedoch zwischen verschiedenen Apps wechseln musste oder ein Dokument redigierte, musste ich nach unten auf meinen Bildschirm schauen – und diese Kopfhaltung war alles andere als Ideal.

Das nächste Mal würde ich also definitiv in einen Smartphone-Ständer investieren, um mir die Zeit in der Physiotherapie zu sparen.

Besonders enttäuscht war ich von der App, die ich in der Freizeit und auf der Arbeit am meisten nutze: Twitter. Statt bequem auf dem Touchscreen zu scrollen, musste ich ständig die Pfeiltaste drücken. Irgendwann kam ich mir vor wie eine Laborratte, die wiederholt einen Knopf drückt, um eine Belohnung zu erhalten. Darum nutzte ich Plattformen wie Twitter, Instagram und Reddit, bei denen man viel scrollen muss, während meines Experiments seltener als ich es normalerweise tue.

Ohne Laptop macht das Internet weniger Spaß

Insgesamt merkte ich, dass ich meine Arbeit am Computer in den zwei Wochen auf das Wesentliche reduzierte – weil es einfach weniger Spaß machte, online zu sein. Auch wenn ich diesen Effekt nicht beabsichtigt hatte, könnte der Wechsel vom Laptop aufs Smartphone mir dabei helfen, weniger vorm Bildschirm zu hängen.

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Ein Gitarrist beschrieb einmal in einem Interview (wenn ich mich recht erinnere, war es John Mayer im Magazin Guitar Player, das Magazin hat auf meine Anfrage leider nicht geantwortet), wie es sich anfühlte, als er seine Elektrogitarre in die Hand nahm, nachdem er auf einer Akustikgitarre gespielt hatte: Als ob er wieder mit beiden Lungenflügeln atmen könne, sagte er. Ich fand diesen Vergleich auch für meinen Selbstversuch treffend.

Man könnte sagen, die Kombination aus Smartphone und Tastatur ist die Akustikgitarre der Technik-Welt: Ihre Leistung ist ausreichend, sie verbraucht weniger Energie und Leute verdrehen die Augen, wenn man sie an öffentlichen Orten auspackt.

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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.