Wir haben einen Tag mit einer menschlichen Gummipuppe verbracht
Alle Fotos: Hakki Topcu 

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Sex

Wir haben einen Tag mit einer menschlichen Gummipuppe verbracht

Sie beschreibt sich selbst als "süchtig danach, gestopft zu werden".

Aufblasen, eingelen, reinstecken. Dann einmal feucht abwischen, Luft ablassen und wieder zusammenfalten. In der Vorstellung vieler Menschen sind Gummipuppen wie ein Wischmop: Man holt sie nur dann raus, wenn man sie braucht. Der Schrank, aus dem wir unsere Gummipuppe holen, ist das Zimmer 111 eines hippen Hotels in Berlin-Friedrichshain. Sie steht vor dem Spiegel, in einen Ganzkörperanzug aus Latex gepresst. Darüber kleben in blassem Gelb ein Rüschenrock und ein Body mit Rüschenkragen an einer eng geschnürten Gummikorsage und zwei handballgroßen Brüsten. Der ganze Raum riecht nach einer Mischung aus Reifenwerkstatt und frisch gepudertem Baby. Die Gummipuppe schaut in den Spiegel: "Soll ich wirklich noch mehr Rüschen anziehen?"

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An diesem Abend findet in Berlin der German Fetish Ball statt. Über drei Tage gibt es zahlreiche Partys und eine Messe, die Veranstalter sprechen von "Europas größtem Fetisch-Wochenende". Unter die Dominas, Ponygirls und Bondage-Fans hat sich auch "Die Gummipuppe" gemischt.

Süchtig danach, gestopft zu werden

Die Gummipuppe sitzt auf ihrem Hotelbett, aus ihrem Gasmaskenmund hängt ein rotes Kondom

Die Gummipuppe ist mit zwei Koffern angereist: ein kleiner für ihre normalen Klamotten, ein großer für ihre Fetischsachen

Sie ist eine Art Fetisch-Influencer, über 30.000 Nutzer folgen ihr auf Instagram und Twitter zusammen. Die vier Videos, die sie auf einer Pornowebseite hochgeladen hat, wurden über 75.000-mal angesehen. Als "bisexuell und süchtig danach, gestopft zu werden", beschreibt sie sich dort. Ein Nutzer kommentiert: "Du bist ein hammergeiles Gummigeschöpf."

Das biologische Geschlecht der Person in der Puppe dürfen wir ebenso nicht verraten wie ihren bürgerlichen Namen. Aber von ihren Vorlieben und ihrem Werdegang will sie uns erzählen. Das Gesicht, das wir bis eben nur von ihrem WhatsApp-Profilbild kannten, ragt dabei leicht gerötet aus dem schwarzen Latexkragen hervor.


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Ihre Eltern und ihr Bruder wissen, was sie macht. Ihre Kollegen nicht. Eigentlich arbeitet die Gummipuppe "in der Politik". Wenn sie allerdings sagt, es gehe ihr darum, "Zugriffsmöglichkeiten auf das Objekt zu gewährleisten", dann ist das ebenso wenig bürokratisch gemeint, wie wenn sie über ihre "Aufnahmefähigkeit" spricht.

Auf ihrem Pornoseitenprofil hat sie über sich geschrieben: "Ich kann und möchte nicht ohne das Gefühl existieren, dass jeder Zentimeter meines Körpers rund um die Uhr mit eng anliegendem Gummi bedeckt ist." Schon als Kind mochte sie es, gefesselt zu werden. Als Teenager bekam sie in den 90ern den Bildband Female Rubber von Jo Hammar in die Hände – der Musik- und Playboy-Fotograf und seine Modelfreundin Natalia Mühlhausen machten Gummi und Latex in Deutschland populär. 2015 dann kaufte sie sich spontan ihren ersten Catsuit über eine Kleinanzeige. Ihre Erfüllung habe sie aber erst gefunden, als sie sich vor zwei Jahren erstmals komplett als Gummipuppe verkleidete. Sie habe keinen Latexfetisch, sagt sie, das Material lasse aber alles verschwinden, "was dich menschlich macht".

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Doch gerade rätselt die Person, die am liebsten kein Mensch, sondern ein Objekt sein will, ganz menschlich, ob sie gut aussieht in ihrem Outfit. Ob sie nicht noch zwei Rüschenmanschetten über ihre Fußgelenke ziehen soll. Sie entscheidet sich dafür, dann ruckelt sie sich eine schwarze Gasmaske über den Kopf. Ihre Augen verschwinden hinter Spiegelglas. Der Mund ist ein kreisrunder Stumpf, in dem ein rotes Kondom sitzt, das die Puppe bei jedem Atemzug in ihre Mundhöhle saugt. Wenn sie ausatmet, sieht das ein bisschen aus wie ein Ameisenbär, der nach Beute schleckt, und jetzt auf quietschenden Zwölfzentimeterabsätzen mit uns zum Fahrstuhl stöckelt.

"Du siehst wunderschön aus!"

Eine Frau in einem Schuppen-BH berührt mit ihren spitzen Fingernägeln den Latexbusen

Die Erotikmoderatorin Crazy Sue betastet die Brüste der Gummipuppe. Crazy Sue hat sie für die diesjährige Venus gebucht

Die German Fetish Fair hat sich in einem altpreußischen Backsteinbau in Kreuzberg einquartiert, die Messefläche ist so groß wie die einer Schulsporthalle. Ein Stand bietet Pflegeprodukte für Leder-SM-Wäsche an, an einem anderen präsentiert ein Start-up Prototypen von Folterwerkzeugen.

Als die Gummipuppe den Raum betritt, drehen sich die meisten Köpfe zu ihr. Nur die gut zwanzig ausdruckslosen Schaufensterpuppengesichter am dem Stand vor uns starren ungerührt gerade heraus. "Welche der Masken gefällt dir am besten?", frage ich. Die Gummipuppe zeigt stumm rechts von sich: Zwei silbern umrandete Klappen verdecken Augen und Mund des schwarzen Latexkopfes. In der Maske könnte sie weder sprechen noch sehen.

Die Herrin der stillen Gesichter ist Susanne Kaiser. Die Inhaberin der Berliner Fetisch-Marke Feitico hat auch den Rüschenbody und den Rüschenrock entworfen, den die Gummipuppe an diesem Tag zum ersten Mal trägt. "Du siehst wunderschön aus", strahlt Kaiser die Gummipuppe an, dann muss sie eine Maske für eine Messekundin fertigmachen.

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Die Gummipuppe sitzt auf einer Sofabank, beobachtet von einer eine Bockwurst verzehrenden Frau

Auch im Bistro der German Fetish Fair fällt die Gummipuppe sofort auf

Während sie Latexkleber auf Augenteile streicht, erzählt sie, dass Feitico kaum für Anzeigen bezahlt. Fetischisten wie die Gummipuppe sind die besten Models. Sie taggen die Hersteller stolz auf jedem Instagram-Foto, Kaiser hat so Kunden aus Japan, Mexiko und Russland gewonnen. Die Gummipuppe kommt hin und wieder zum Kaffee in der Werkstatt vorbei. Dann entwickeln die beiden gemeinsam neue Outfits, an der Rüschenkombo hat Kaiser zwanzig Stunden gearbeitet.

Acht Catsuits, mehr als 15 Masken und drei Korsetts hängen bei der Gummipuppe zu Hause im Schrank. Dafür habe sie allein letztes Jahr 5.000 bis 6.000 Euro ausgegeben, aber auch auf eine größere Wohnung verzichtet, sagt sie.

Wir gehen weiter durch die Stände, die Gummipuppe vorweg, immer wieder halten Messebesucher sie für ein gemeinsames Einmal-Foto-einmal-Anfassen-bitte an. Mittlerweile begleitet uns Pitt, ein Fotograf, der die Gummipuppe häufig ablichtet. Gemeinsam treten sie auch auf Fetischpartys auf, etwa im KitKatClub. "Sie sei authentisch, nie gestellt", sagt er über sein Model. Klar, sie verhalte sich manchmal wie eine Diva. Insgesamt sei sie aber sehr devot. "Man merkt, dass sie als Doll dienen möchte."

Leergeschwitzt im eigenen Saft schwimmend

Die Gummipuppe steht vor einer Backsteinmauer, Wasser tropft auf ihr Dekollete

Ein Photoshoot beginnt

Aus den Atemlöchern der Gummipuppe tropft mittlerweile Kondenswasser auf ihr Dekolleté. So aufwendig gekleidet wie sie sind nur wenige Messebesucher. Eine Schweizer Fetischkünstlerin etwa, ebenfalls in einem pechschwarzen Ganzkörperanzug, Korsage, hochhackigen Stiefeln und Gasmaske. "Black Star" und die Gummipuppe haben sich auf der Messe für ein gemeinsames Shooting verabredet. Vorsichtig wackeln die beiden Puppenwesen über das Kopfsteinpflaster vor dem Gebäude. Währenddessen erklären zwei junge Mütter ihren Kindern, dass unter den Anzügen Menschen stecken. "Das ist wie beim Fasching, Jonas, weißt du", sagt eine. Die Gummipuppe und Black Star posieren für die Kamera, nehmen sich in den Arm, knien voreinander. Die Gummipuppe greift einen der beiden Gummischläuche von Black Stars Maske und nuckelt mit ihrem Kondommund daran. "Scheiße heiß" sei ihr, ruft Black Star. Die Sommersonne heizt den schwarzen Latex auf.

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Eine Person in einem Ganzkörperlatexanzug kniet vor der stehenden Gummipuppe, die nach dem Schlauch der Gasmaske greift

"Black Star" ist eine weitere Fetischkünstlerin – und Model

Als wir einmal den bürgerlichen Namen von Black Star erwähnen, weist uns die Gummipuppe zurecht, man solle immer nur den "Avatarnamen" von Puppen benutzen. Ein bisschen fällt es dennoch schwer, die Gummipuppe als Puppe wahrzunehmen. Weil wir unter den Todesblicken des Taxifahrers die Rückbank von Schweiß und Silikon trocken wischen mussten. Weil die Gummipuppe, anders als vorher angekündigt, immer wieder durch ihr tanzendes Mundkondom zu uns spricht. Und weil sie irgendwann zitternd im Schatten steht, die Hände auf die Oberschenkel gestützt.

Seit fast drei Stunden ist sie jetzt im Ganzkörperkostüm. Der Körper schwimmt leergeschwitzt unter zwei Schichten Latex im eigenen Saft. Wir kippen zwei Becher kaltes Wasser über ihren Kopf, einige Tropfen dringen durch die Atemlöcher. Sie schmatzt laut .

Zurück im Hotel ziehen wir den Reißverschluss an ihrem Nacken hoch und lösen die glitschigen Schnüre des Korsetts. Als sie die Stiefel auszieht, spritzt das gesammelte Wasser wie aus einer Duschbrause hervor.

"… dann würde ich auf die Knie gehen und mich anbieten"

Ein Latexanzug hängt auf einem Kleiderbügel im Hotelzimmerbad

Die leere Puppenhaut nach dem Besuch der Messe

"Niemand macht das 24/7", sagt die wieder zum Menschen gewordene Gummipuppe später. Zum großen Fetisch-Ball am Abend wird sie nicht gehen. Sie hat geduscht, aber die Hände sind noch immer schmierig vom Silikon. Zwar habe sie ihren "Ruhepol" gefunden, während sie in ihrem Anzug gelaufen sei, am liebsten wäre sie allerdings an einer Leine über die Messe geführt worden. Überhaupt wäre sie zu so viel mehr bereit gewesen: "Wenn jemand spontan seinen Schwanz rausholt und mich in den Mund ficken will, dann würde ich wohl auf die Knie gehen und mich anbieten."

Ganz sicher sei sie sich da allerdings nicht, denn so etwas sei ihr in den zwei Jahren als Gummipuppe noch nie passiert. "Aber", sagt sie, "ohne Kopfkino funktioniert ein Fetisch nicht." Heute Mittag hatte sie uns ihren Instagram-Post vom Vortag gezeigt: In einem Ganzkörperanzug mit aufgemalten halterlosen Strümpfen lehnt sie am Spreeufer, im Hintergrund scheint ein Partyboot genau auf ihre Brüste zuzusteuern. "Wenn Leute auf ihre Fotos abspritzen, finde ich das schön", sagt sie jetzt. "Und wenn jemand gerade auf einer Aufblaspuppe liegt, soll er an mich denken."

Die Gummipuppe zeigt uns auf ihrem Smartphone ein Instagram-Foto vom Vortag: Sie steht komplett in Latex am Ufer auf der Hotelterrasse, im Hintergrund fährt ein Partyboot über die Spree

Weil der Touchscreen nicht auf die Latexfinger der Gummipuppe reagierte, musste unser Fotograf das Bild raussuchen

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