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Das neue Spiel der Arbeitsagentur verachtet Arbeitslose

In 'Amtliche Helden' wird Bürokratie zu Spiel, Spaß und Spannung. Das Game hat den Steuerzahler mehr als 100.000 Euro gekostet – und vermittelt nur die halbe Wahrheit über Arbeitslosigkeit.
Zu Beginn sind die meisten Räume von 'Amtliche Helden' noch ungenutzt. Ein Graffiti an der Wand gibt Auskunft über die Aktuelle Arbeitslosenquote. | Bild: Bundesagentur für Arbeit | Mad About Pandas

60 Prozent. Bei so einer miesen Arbeitslosenquote bekommt der Bürgermeister des Kaffs Posemuckel Schnappatmung. Seine letzte Hoffnung sind wir, die neuen Geschäftsführer der örtlichen Agentur für Arbeit. Nur wir können den Einwohner Jobs vermitteln und die Quote zurück in den einstelligen Bereich senken. Das ist die Prämisse von Amtliche Helden, einer kostenlosen Wirtschaftssimulation für iOS- und Android-Geräte.

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Entwickelt vom deutschen Studio Mad About Pandas, aber in Auftrag gegeben von der Bundesagentur für Arbeit, will Amtliche Helden nicht nur erreichen, dass Gamer Spaß haben, sondern auch junge Menschen davon überzeugen, sich als Mitarbeiter bei der Behörde zu bewerben. Doch wo uns die Werbespiele der 90er unverfänglich mit Mini-Salamis nach Hollywood ködern, berührt Amtliche Helden heikle Themen: Arbeitslosigkeit und Jobvermittlung.

Wir haben getestet, wie das Spiel diese heiklen Themen umsetzt. Unser Fazit: Unfreiwillig legt das Spiel die oft zynische Realität der Arbeitsagenturen offen. Denn es spült die Realität ordentlich weich – und diskriminiert zwischendurch Langzeitarbeitslose mit Spitznamen wie "Ole ‘Immer Ohne Arbeit’ Maiskopf".

Warum schon die Spielregeln von Amtliche Helden menschenfeindlich sind

Der Screenshot aus dem Spiel 'Amtliche Helden' zeigt einen Arbeitslosen, den der Spieler vermitteln soll.

Das Profil eines Arbeitslosen, den wir vermitteln sollen. Durch seine "inspirierende" Art scheint der ehemalige Kirchenmusiker bestens geeignet für einen Job als Rabbiner. Was nicht passt, wird passend gemacht | Bild: Bundesagentur für Arbeit | Mad About Pandas

Am Anfang setzen wir einen Mitarbeiter an die Rezeption und stellen gleich danach den ersten Jobvermittler ein. Leider reicht unser Budget nur für einen Quereinsteiger. Ohne Vorerfahrung kann er die ersten "Kunden" – wie Arbeitslose im Slang der Arbeitsagenturen heißen – nur blind vermitteln.

Wir können noch nicht sehen, über welche "Fertigkeiten" der Arbeitssuchende in Bereichen wie Empathie, Kreativität oder Intellekt verfügt. Das Spiel rät uns, der Intuition zu folgen und uns daran zu orientieren, was der "Kunde" früher gemacht hat. Je erfolgreicher wir Pi mal Daumen vermitteln, desto mehr Prämien und Erfahrungspunkte erhalten wir. Der Kunde kann seine Meinung über diese Willkür nur mit einem Smiley kundtun.

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Die Vorbilder von Amtliche Helden sind laut Beschreibung im App Store die Spieleklassiker Dungeon Keeper und Theme Hospital. Auch wenn es nie an deren Komplexität des Managements von Kerkern und Krankenhäusern heranreicht, so entwickelt sich die Mobile-App zu einer soliden Wirtschaftssimulationen. Mit unseren Prämien stellen wir neue Mitarbeiter ein, bauen die marode Infrastruktur aus und investieren Erfahrungspunkte in das Training der Vermittler. Mit bestückter Kaffeeküche, renovierten Toiletten und geschultem Personal lässt sich das Mikromanagement der Arbeitslosenströme besser bewältigen. Ein Casual-Spaziergang ist Amtliche Helden nur in der ersten Spielstunde.

Der Screenshot aus dem Spiel 'Amtliche Helden' zeigt die fiktive Zeitung 'Posemuckel Postillon'

Die Schlagzeilen des "Posemuckel Postillion" geben regelmäßig Auskunft über Entwicklungen in der Kleinstadt. Saisonarbeit, große Bauprojekte und Messen bieten zusätzliche Vermittlungsmöglichkeiten. Bild: Bundesagentur für Arbeit / Mad About Pandas

Ein schickes Werbespiel für lau – was kann man dagegen haben? Nun, Amtliche Helden stellt die Wirklichkeit ziemlich einseitig dar. Computerspiele erzählen uns immer etwas über die Welt, vermitteln Zusammenhänge und Menschenbilder. Für Theme Hospital zum Beispiel sind kranke Menschen wandelnde Geldbeutel. Und in Dungeon Keeper prügeln wir unsere Kerkerbewohner, bis sie sich fügen.

Bei Amtliche Helden scheint das Setting harmloser, aber auch hier ist der Kunde eine Ressource, die im Sinne der Optimierung einer Arbeitslosenquote verwaltet werden muss. Dass es sich auch um Menschen mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen handelt, vergisst man beim Daddeln schnell.


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Der bürokratische Druck auf Arbeitslose wird einfach ignoriert

Vor allem die Darstellung der Arbeitssuchenden in Amtliche Helden ist problematisch und eindimensional. Die Kunden sind nicht viel mehr als eine Ansammlung von Variablen. Auf unsere Anfrage begründet Vanessa Thalhammer, die Pressereferentin der Bundesagentur für Arbeit, diese Designentscheidung mit der Notwendigkeit zur "Komplexitätsreduzierung". "In der Realität spielen aber häufig noch viele andere Aspekte eine wichtige Rolle", sagt sie.

Aber dem Spieler begegnen in der aktuellen Version zahlreiche eigentlich überflüssige Spielelemente: Zum Beispiel gibt es da ein unbenutztes Kopierzimmer, das sich zum Fitness- und Gaming-Raum für die Mitarbeiter ausbauen lässt. Die Prioritäten der Simulation wären besser beim Kernthema aufgehoben: der Vermittlung von Arbeitslosen. Hier führt die Reduzierung der Komplexität regelmäßig zu bizarren Vermittlungserfolgen. Stimmen die Fertigkeiten der Kunden grob mit einem Jobprofil überein? Bingo!

Während unseres Tests machen wir eine ehemalige Küsterin zum Imam. Oder einen Vulkanologen zum Stuntman. Was völlig absurd klingt, ist auch in der Realität nicht unüblich. Gemäß §37 des Sozialgesetzbuches III muss beim ersten Termin bei der Arbeitsagentur eine "Potenzialanalyse" durchgeführt werden, in der Kenntnisse und Fertigkeiten erfasst werden. Das heißt, von den Kunden wird ein digitales Profil angelegt, das sie auf ähnliche Variablen reduziert wie die virtuellen Kunden in Amtliche Helden. Das Profil beeinflusst, welche Jobs in der Jobbörse gefunden und von den Arbeitsvermittlern "angeboten" werden.«. In der Praxis sind diese Angebote oft mit Rechtsfolgebelehrungen verbunden, die sie verpflichtend machen – selbst wenn der angebotene Job im Callcenter nur den Variablen nach zu einem Kommunikationswissenschaftler passt.

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Was Amtliche Helden ebenso ausblendet, ist der Zwang der "Eingliederungsvereinbarung". Diesen Vertrag mit der Arbeitsagentur müssen die Kunden üblicherweise gleich beim ersten Termin unterschreiben. Er legt fest, welche Rechte die Arbeitssuchenden haben – und welche Pflichten sie erfüllen müssen. Zum Beispiel verpflichten sie sich dazu, jede zumutbare Arbeit anzunehmen – auch einen Job im Callcenter. Macht ein Kunde nicht, was er soll, ermöglicht das Sozialgesetzbuch III strenge Konsequenzen: Nimmt man beispielsweise eine vorgeschlagene Arbeit nicht an oder bewirbt sich nicht genug, kann im schlimmsten Fall das Arbeitslosengeld für mehrere Monate gestrichen werden. Woher der Arbeitssuchende in dieser Sperrzeit genug Geld zum Überleben herbekommt, muss er selber sehen.

Der Screenshot aus dem Spiel 'Amtliche Helden' zeigt das Profil eines Horrorclowns.

Manche Kunden stellen uns vor besondere Herausforderungen. Vielleicht lässt sich dieser Horrorclown ja als Visagist vermitteln? | Bild: Bundesagentur für Arbeit | Mad About Pandas

Aber welche Jobs können einem Arbeitssuchenden zugemutet werden? Für die Arbeit als Jobvermittler eine zentrale Frage. Die Antwort: so einige. Leiharbeit zum Beispiel. Allein 2017 wurden 85.000 Arbeitslose in diese wenig nachhaltigen Stellen vermittelt. Nach wenigen Monaten fallen viele Betroffene direkt wieder in den Bezug von Hartz IV, der noch strenger ist als das Arbeitslosengeld I, das die Bundesagentur für Arbeit vergibt. Auch dass das Arbeitslosengeld gesperrt wird, kommt immer häufiger vor. Amtliche Helden blendet diese Kontexte aus und präsentiert die Fremdbestimmung und Entindividualisierung der Kunden zynisch als Win-Win-Situation.

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Hat das Entwicklerstudio hier schlicht die negativen Seiten der Realität ignoriert oder handelt es sich um eine gezielte Auslassung auf Vorgabe der Bundesagentur für Arbeit? Immerhin hat sich die Behörde ihre Werbemaßnahme einen Betrag "im unteren sechsstelligen Bereich" kosten lassen, wie die Pressereferentin mitteilt. Um diese Frage zu klären, hat Motherboard die offiziellen Ausschreibungsunterlagen zum Spiel angefragt. Sobald sie da sind, werden wir unsere Erkenntnisse an dieser Stelle nachtragen.

Das Spiel diffamiert Arbeitslose

Der Kunde ist in Amtliche Helden kein König. Infrastruktureller Ausbau nutzt vor allem dem Personal: Für sie gibt es Kaffee, nicht aber für die Arbeitslosen. Der wenige Service für sie dient letztlich nur dazu, die Arbeit der Jobvermittler zu erleichtern. So hilft W-Lan im Warteraum nicht bei der Jobsuche, sondern sorgt dafür, "dass deine Kunden auch bereit sind zu stehen", wie es im Beschreibungstext heißt. Der Gipfel des Zynismus: wer seine Mitarbeiter für den Umgang mit Suchtkranken und Gewaltopfern schult, hat weniger Hilfsangebote im Sinn, als vielmehr die Vermittlungsquote.

Der Name eines Spezialkunden, auf den wir nach knapp einer Stunde treffen, verdeutlicht die Menschenverachtung: "Ole ‘Immer Ohne Arbeit’ Maiskopf" – so ähnlich diffamiert auch die BILD Arbeitslose.

Zudem haben die Entwickler hier einen inhaltlichen Fehler begangen: In der Realität der Jobsuche wäre Maiskopf gar nicht in unserer Behörde. Er müsste als Langzeitarbeitsloser eigentlich zu einem Jobcenter. Auf Anfrage von Motherboard sagte die Bundesagentur für Arbeit, sie wolle die Spieler "mit einem gesellschaftlich einfachen Verständnis von Langzeitarbeitslosigkeit" abholen. Die Agentur gibt sich aber einsichtig, dass das missverstanden werden kann. "Der Name soll mit dem nächsten Release geändert werden", erklärt Sprecherin Thalhammer.

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Der Screenshot zeigt eine Aufgabe, die Spieler im Spiel 'Amtliche Helden' erledigen sollen.

Man muss Prioritäten setzen. Zur Erfüllung dieser Spielaufgabe, stellt der neue Prozessmanager die reibungslose Versorgung der Kaffeeküche mit Backwaren her | Bild: Bundesagentur für Arbeit | Mad About Pandas

Dem Spieler legt Amtliche Helden nahe, dass der Kunde glücklich ist, solange auf dem Papier alles kompatibel ist. Weil das Spiel Jugendlich überzeugen soll, Sachbearbeiter zu werden, ist das problematisch. Die Botschaft: Am Ende geht es nur um die Quote. Der Spieler bekommt vermittelt, dass er den Kunden nichts Schlimmeres antun können als dass sie kurz ein bisschen genervt sind: Unzufriedener Smiley.

In der Wirklichkeit erfordert der Job aber mehr. Wer als Arbeitsvermittler für die Bundesagentur tätig ist, entscheidet auch darüber, ob ein Mensch genug Geld zum Leben hat oder nicht, ob er mit seiner Arbeit glücklich oder unglücklich ist, ob er in die Zukunft planen kann oder Angst vor Hartz IV haben muss.

Andere Simulationen stellen die Probleme der Wirklichkeit empathischer und vielschichtiger dar. So gelingt es dem Indie-Darling Papers, Please, dass das moralische Gewicht der eigenen Entscheidungen selbst für den herzlosesten Bürokraten stets spürbar bleibt. Die Spieler machen ihren Dienst als Immigrationsbeamter an einem Grenzposten nicht zwingend nach Vorschrift, sondern können zum Wohl der Einreisenden auch ein Auge zudrücken. In Amtliche Helden haben die Kunden aber gar keine Stimme, um Wünsche und Bedürfnisse zu äußern oder einfach nur mal "Nein!" zu sagen. Stattdessen wird das persönliche Trauma des Arbeitsverlusts zur zynischen Pointe einer Rekrutierungsmaßnahme. Steigt die Quote über 70%, heißt es: "Das war wohl nichts…". Posemuckel ist verloren. Game Over.

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