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Humor

Wir haben Comedians gefragt, ob man Vergewaltigungswitze machen darf

Atze Schröder macht für Wiesenhof einen geschmacklosen Witz und erntet einen Shitstorm—zurecht. Aber ist sexueller Missbrauch im humoristischen Kontext immer tabu?
Atze Schröder beim einvernehmlichen Deepthroat. Screenshot aus dem YouTube-Video „Wiesenhof und Atze Schröder Gina-Lisa Werbespot Werbung“ von PaulieWalnuts

Im Internetzeitalter ist es ziemlich leicht geworden, den Hass anderer auf sich zu ziehen. Da sagt man mal was Dummes vor der Kamera, plötzlich wird das Ganze veröffentlicht und geteilt und innerhalb kürzester Zeit regnet es tausende negative Nachrichten, Kommentare und Tweets. Im Fall von Atze Schröder und dem Fleischunternehmen Wiesenhof muss man allerdings sagen: zurecht.

Am Wochenende tauchte ein—angeblich bereits 2015 gedrehter—Spot auf, in dem der Comedian die Größe einer Bratwurst damit anpries, dass nach dem Genuss „Gina und Lisa erstmal in die Traumatherapie" müssten. Als wäre das Bild davon, wie Atze Schröder zwei Frauen mit einer Bratwurst penetriert nicht schon verstörend genug, ist auch das Timing mehr als fragwürdig. Schließlich ist Gina-Lisa Lohfink gerade das Aushängeschild der „Nein heißt Nein"-Bewegung für eine Verschärfung des Sexualstrafrechts.

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Mehr lesen: Die Gina-Lisa-Demo zeigt, wie schwierig die Debatte um sexuelle Gewalt ist

Atze Schröder entschuldigte sich im Auge des Shitstorms über seine Facebookseite, wenngleich auch wenig überzeugend. Eine Frage bleibt jedoch bestehen: Ist es grundlegend falsch, sexuellen Missbrauch in einem humoristischen Kontext aufzugreifen oder kommt es eher darauf an, wie man ihn thematisiert? Wir haben Vertreter der deutschen und österreichischen Humorbranche gefragt und festgestellt: Ganz so einfach lässt sich diese Frage nicht beantworten.

Willy Karma, Autor von Snickers für Linkshänder

Die ganze „Vergewaltigungswitz-Debatte" ist für mich typisch deutsch. Ständig wird darüber geredet, über WAS man Witze machen darf. Viel zu selten darüber WIE. Genau das ist der große Unterschied zwischen selbsternannten Unterschichts-Clowns wie Atze Schröder und Mario Barth, die im Prinzip nur den beschränkten Horizont ihrer Prekariats-Zielgruppe bedienen und genialen Humorphilosophen wie z.B. Louis CK oder dem großartigen George Carlin. Letztere haben immer wieder bewiesen, dass man tatsächlich über alles, wirklich alles Witze machen darf, so lange „hinter" dem Humor eine Einsicht, eine Erleuchtung, eine Wahrheit ist. Ich habe mir vor diesem Interview den Wiesenhof-Spot angeguckt und jede einzelne Sekunde war eine Qual—eine Beleidigung meiner Existenz. Daher mein Fazit: Selbstverständlich ist es in Ordnung, über dieses Thema Scherze zu machen. Warum auch nicht? Aber dumme Vergleiche wirken auch nur bei dummen Menschen. Eine Wurst? Ein Penis? Really, Atze Schröder? Dieser Spot ist eine Vergewaltigung des guten Geschmacks. Na siehst du, geht doch.

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Warum verstehen Männer nicht, dass das ein sehr sensibles Thema für Frauen ist?

Ingrid Wenzel, Stand-up Comedian

Je sensibler das Thema, desto besser muss der Witz sein. Dabei kann man sich drei Fragen stellen. Erstens: Ist der Witz auf Kosten des Opfers oder auf Kosten der Täter, Rape Culture und unseres Rechtssystems? Zweitens: Ist der Witz gut genug, um die Traumawiederholung und Reviktimisierung von Opfern von sexueller Gewalt, die höchstwahrscheinlich im Publikum sitzen, zu rechtfertigen? (Wem diese Begriffe und Gewaltstatistiken nichts sagen, google that shit). Und Drittens: Steht auf der Bühne jemand, der oder die bloß schockieren will, oder ein Comedian, der oder die pointiert den Finger in die Wunde legt, um die Welt ein Stück besser zu machen?

Imaani Brown, Stand-up Comedian

Grundsätzlich darf man über alles Witze machen. Auch über Vergewaltigung. Die Pointe muss nur extrem stark sein und 99,9 Prozent der Comedians weltweit haben nicht die Skills für so eine Pointe. Jeder Comedian, der bist jetzt einen Rape Joke gebracht hat, ist übel auf die Fresse geflogen. Das ist der größte Witz an Rape Jokes. Ich frage mich nur, warum man über so ein Thema Witze reißen sollte. Warum verstehen Männer nicht, dass das ein sehr sensibles Thema für Frauen ist? Warum verstehen viele Comedians nicht, dass Comedy zu 101 Prozent mit Empathie zu tun hat? Wollen sie zeigen wie hart sie sind? Dann sollen sie einen Tag in einem mexikanischen oder türkischen Knast in einem String-Tanga rumlaufen. Was die Sache mit Wiesenhof angeht: Ich bin zurzeit im Ausland und habe von der Scheiße nichts mitbekommen. Ich weiß auch nicht, wer Gina Lisa ist, da ich keine deutschen Programme anschaue. Ich kann nur sagen, dass Atze einer der höflichsten Menschen ist, den ich kennengelernt habe. Er wollte seinen Job machen und hat sich offenbar entschuldigt. Was die Werbung angeht, kann ich der Wurstfirma nur raten, den Gag-Schreiber zurück zum zweitägigen VHS-Witzeschreibkurs zu schicken, weil er scheiße ist. Die Wurstfirma übrigens auch. Darf man Rape Jokes machen oder nicht? Ja! Aber nur wenn man Patrice O'Neal (R.I.P.) oder Frankie Boyle heiß. Weil das Genies sind und die Punchlines so gut sind, dass selbst Alice Schwarzer vor Freude ihren Slip auf die Bühne werfen würde. Alle anderen sollten die Fresse halten, was dieses Thema angeht.

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Jundula Deubel, Komikerin

Wer hat den Längsten? So das Thema des viel gescholtenen Spots von Wiesenhof. Atze Schröder hält sein Gesicht dazu in die Kamera und ist sich für den geistigen Dünnschiss der, von wem auch immer als Inhalt für diesen Spot auserkoren wurde, nicht zu schade. Im Nachhinein entschuldigt er sich reumütig, surfend auf dem Shitstorm, den diese geschmacklosen 1,5 Minuten ausgelöst haben. Es gibt zu diesem Spot nur eine einzige Meinung, und die lautet: Das geht gar nicht! Und zwar nicht, weil Gina Lisa Lohfink vielleicht wirklich vergewaltigt wurde, sondern weil mindestens jede 7. Frau in Deutschland bereits Opfer einer strafrechtlich relevanten Form sexueller Gewalt wurde. Die Dunkelziffer liegt wohl noch um einiges höher. Die aktuelle Debatte trägt hoffentlich dazu bei, die Sensitivität gegenüber diesem Thema zu erhöhen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen gehört thematisiert. Sie gehört in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die WHO bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der höchsten Gesundheitsrisiken. Darüber gehört gesprochen—und nicht über die Länge von irgendwessen Penis.

Gebrüder Moped, Comedy-Duo

Unsere selbst auferlegten Spielregeln sind simpel und dementsprechend unoriginell: Satire tritt nach oben und nicht nach unten. Im Falle von Verbrechensopfern ist die Lage demnach übersichtlich. Da stellt sich nicht die Frage, ob man das tut: Das braucht es einfach nicht. Die grundsätzliche Frage zu jedem Witz: Wo liegt der Mehrwert? Wie schafft er es, unterhaltsam einen Diskurs auszulösen und anzutreiben, ohne dabei die Würde insbesondere der Schwachen anzukratzen. Ein Witz über Vergewaltigungsopfer hat in diesem Muster überhaupt keinen Platz. Sexualdelikte sind aufgrund der medialen Ausschlachtung vor allem bei prominenten Opfern häufig mit heftigen Diskussionen verbunden. Wir sehen unsere Aufgabe im Spiegeln und Bloßstellen von kommunikativen Auswüchsen mächtiger Institutionen und Personen. Satire, wie wir sie verstehen, schmäht die Vereinnahmer, die Verharmloser, die Täter-Opfer-Umkehrer, sie gibt Tätern (im konkreten Fall meist männlich) keine Bühne und verschont die Opfer.

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Jeder, der Witze über Vergewaltigungen reißt, um sich über deren Opfer lustig zu machen, ist meiner Meinung nach ein empathieloses Arschloch.

Isabel Arnold, Musikkabarettistin „HüperBel"

An den Vergewaltigungswitzereißer: Natürlich, du bist ja kein Vergewaltiger, aber a bisserl politisch unkorrekt wird man doch mal sein dürfen! Und da haben auch Frauen gelacht, hast du genau gesehen! Die verstehen wenigstens Spaß, im Gegensatz zu mir. Dann lass dir auch von dem echten Vergewaltiger auf die Schulter klopfen, der irgendwann unter deinen Zuhörern sitzt und in dir seinen Homie gefunden hat, weil du das scheinbar normal und auch noch lustig findest, was er macht. Und zwar mit der Hand, mit der er deiner Schwester K.O.-Tropfen in den Drink mischt oder deiner Freundin den Mund zuhält, damit sie nicht schreit. Unwahrscheinlich? Jede 7. Frau erleidet das, worüber du gerade noch so herzlich lachen konntest und sie damit zur Witzfigur gemacht hast. Davon zeigen 5 bis 15 Prozent die Tat an und von denen hat auch nur jede Zehnte Erfolg. Also jede Menge neuer potenzieller Freunde für dich. Viel Spaß—den verstehst du doch.

Fritz Jergitsch, Gründer Die Tagespresse

Prinzipiell ist bei uns kein Thema tabu. Die Frage ist viel mehr: Welche Aussage hat der Witz, gegen wen richtet er sich? Satire ist nicht immer nur lustig, sondern auch ein mächtiges Werkzeug, um Kritik zu äußern. Daher schreiben wir oft Satire zu tragischen Ereignissen, wenn es aus unserer Sicht daran etwas zu kritisieren gibt—beispielsweise die US-Waffenpolitik nach dem Amoklauf von Orlando. Jeder, der Witze über Vergewaltigungen reißt, um sich über deren Opfer lustig zu machen, ist meiner Meinung nach ein empathieloses Arschloch. Aber Satire, die z.B. Rape Culture, Täter-Opfer-Umkehr und ähnliche Phänomene kritisiert, kann Menschen zum Nachdenken anregen und damit, wie ich finde, durchaus Positives bewirken.

Mehr lesen: Warum viele Vergewaltiger nicht wahrhaben wollen, dass sie Vergewaltiger sind

Peter Hörmanseder, Kabarettist bei maschek

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man nicht schweigen, sondern im Idealfall findet sich eine Möglichkeit, durch Umdrehung, Überhöhung oder Ungewöhnlichkeit einen mehr oder weniger gelungen „Witz" zu machen, der durch diese Verkleidung eine Erträglichkeit erzeugt. Das ist DIE Berechtigung für einen gelungenen Witz. Im harmlosesten Fall dient der Witz zur Brechung von Sprachlosigkeit (die berüchtigte Witzrunde, wenn Gespräche stocken). Bei Angelegenheiten, die eine moralische Grenze überschreiten, gibt es nicht per se ein Witzverbot. Jedoch auch keinen Witzzwang. Bei Situationen, wo es eindeutig um Täter und Opfer geht, verlangt das ungeschriebene Witzgesetz, dass hier ein Witz nur funktionieren kann, wenn am Ende das Opfer siegt. Im Falle einer Vergewaltigung geht mir im wahrsten Sinne des Wortes der Schmäh aus. Anderen leider nicht. Die existierenden Witze sind ausschließlich aus der männlichen Perspektive erzählt. Und für viele Männer ist wohl nicht einmal ansatzweise klar, dass es sich hierbei um eine Fortsetzung der Tat handelt. Die meisten glauben wahrscheinlich, Vergewaltigung sei nur eine verbotene Sexpraktik und nicht die Zerstörung eines Menschen. Ich wüsste jetzt gerne einen Witz, um diesen Männern deren Sichtweise zu zerstören.