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Meinung

Die CDU macht gerade vieles falsch, doch das ist gut so

Ob Fridays for Future oder Artikel 13: Die CDU versteht die jungen Leute nicht. Dadurch mobilisiert sie die Wähler von morgen.
Proteste gegen CDU und Artikel 13
Die Proteste gegen Artikel 13 sind politisch. | Foto: imago | IPON

Stell dir vor, die Welt stirbt vor deinen Augen und die Menschen, die es ändern könnten, interessiert es nicht. Stell dir vor, du bist ernsthaft besorgt über die Zukunft des freien Internets, aber anstatt dass man dir zuhört, bekommst du gesagt, dass du gekauft bist. Dass du ein Bot bist, oder du und deine Freunde ein Mob sind. Dass du keine eigene Meinung hast.

Kein gutes Gefühl, oder? Doch genauso missverstanden fühlen sich derzeit viele junge Menschen in ganz Europa. Am Samstag wurde in zahlreichen Städten gegen die umstrittene EU-Urheberrechtsreform und mögliche Uploadfilter protestiert. Folgt man dem Twitter-Account der CDU/CSU in Europa, entsteht der Eindruck, dass sämtliche Reformgegner nur deshalb auf die Straße gehen, weil sie von Plattformen wie YouTube und Facebook gekauft wurden.

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Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU im Europaparlament, sagte am Samstag der Bild, Demoteilnehmer erhielten bis zu 450 Euro von einer NGO. Tatsächlich bezieht sich diese Zahl auf eine Einladung der Lobbyorganisation European Digital Rights für etwa 20 Menschen – und zwar nach Brüssel. Und nicht auf tausende Menschen in europäischen Städten.

Lügen, Unwissen und verdrehte Fakten

Das geht nun schon seit Wochen so, nicht nur im Fall der Urheberrechtsreform, sondern auch in Bezug auf die Fridays for Future-Demos. Am vergangenen Freitag kamen wieder Zehntausende Schülerinnen und Schüler in deutschen Großstädten zusammen, um für eine bessere Klimapolitik zu demonstrieren. Vor allem die CDU glänzt mit Häme und Unwissen gegenüber einer kommenden Wählergeneration. CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, dass Schülerinnen und Schüler, die freitags protestierend auf die Straße gehen, letztlich nur die Schule schwänzten. Persönlich würde sie ihren Kindern dafür keine Entschuldigung schreiben. Ähnlich äußerten sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier und FDP-Chef Christian Lindner.

Die Debatte um die Urheberrechtsreform, über die am Dienstag im Europaparlament abgestimmt wird, ist aber noch schärfer. Der CDU-Abgeordnete Axel Voss, gewissermaßen Vater der Reform, fiel in den vergangenen Wochen mit erschreckend wenig Fachwissen auf und erfand im Interview mit VICE auch schon mal neue Google-Features wie eine Meme-Rubrik.

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Und nun behauptet Daniel Caspary auch noch, Demonstranten seien gekauft. Schon klar, natürlich betreiben Firmen wie Google in der Debatte um Artikel 13 Lobbyismus. Und klar, natürlich können die apokalyptischen Warnungen vom "Ende des Internets" eine Wirkung gerade auf minderjährige Menschen haben, die ihren liebsten YouTube-Star fast alles glauben. Deshalb sind aber noch nicht alle Gegner der Urheberrechtsreform mit "Demogeld" gekauft. Ebenso, wie nicht alle Schülerinnen, die sich freitags lieber für die Zukunft des Planeten einsetzen, bloß die Mathe-Stunde sausen lassen wollen.

Wir sollten die Trotzreaktionen der jungen Menschen nicht unterschätzen

Aus PR-Sicht sind die Äußerungen führender CDU-Politiker und Politikerinnen fatal, das haben inzwischen sogar einzelne Abgeordnete innerhalb der Partei erkannt. Vielleicht merken sie inzwischen, dass der Hashtag #NieMehrCDU, der zu einem Slogan der Artikel-13-Proteste wurde, weniger der umstrittenen Reform entspringt, als vielmehr den verbohrten, respektlosen und teilweise schlicht absurden Reaktionen der Parteivertreter.

Pessimisten könnten nun sagen, dass die CDU in Zeiten sinkender Wählerstimmen und neuer Konkurrenz vom rechten Rand ihre kommenden Wähler vergrätzt. Welcher 14-Jährige, der die aktuelle Debatte verfolgt, will in einigen Jahren ernsthaft noch CDU wählen?

Es ist eine natürliche Trotzreaktion, zu sagen: Jetzt erst Recht! Womöglich erkennen die Jugendlichen, die am Wochenende für Fridays For Future oder gegen Artikel 13 auf die Straße gegangen sind, dass es an der Zeit ist, die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Dass sie eine Stimme haben, die lauter ist als die Twitter-Accounts von CDU und CSU.

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Es geht aber optimistischer: Die CDU macht derzeit vieles falsch – aber sie mobilisiert damit womöglich eine Generation, der gerne und fälschlicherweise Politikverdrossenheit vorgeworfen wird. So zeigen Umfragen, dass die Jugendlichen in Deutschland sich durchaus für Politik interessieren. Sie fühlen sich bloß nicht von den Regierenden vertreten. Die ganzen Lügen, Verdrehungen, das Nichtwissen und die Ablehnung bei Artikel 13 und bei Fridays for Future dürften den Eindruck noch verstärken.

Denn es ist doch so: Kaum etwas nervt so sehr, wie nicht ernst genommen und angelogen zu werden. Es ist eine natürliche Trotzreaktion, zu sagen: Jetzt erst Recht! Im besten Fall erkennen die Jugendlichen, die am Wochenende für Fridays For Future oder gegen Artikel 13 auf die Straße gegangen sind, dass es an der Zeit ist, die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Dass sie eine Stimme haben, die lauter ist als die Twitter-Accounts von CDU und CSU. Dass sie sich über das Internet mobilisieren und austauschen können wie niemals zuvor.

Die heutigen Fehler der CDU können die Wähler von morgen mobilisieren. Denn stell dir vor, deine Proteste führen letztlich sogar dazu, dass eine umstrittene Gesetzesreform doch nicht umgesetzt wird. Ein gutes Gefühl, oder?

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