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Tragödie

Sie ließen 71 Flüchtlinge ersticken – Das Gesprächsprotokoll der Schlepper

"Ich möchte, dass sie alle drin sterben" – Währenddessen schrien die Menschen im Laster um ihr Leben.
Titelfoto: imago | Eibner Europa

Im Sommer 2015 fand die österreichische Polizei einen abgestellten Kühllaster in einer Autobahn-Pannenbucht nahe der ungarischen Grenze. Das Fahrerhaus stand leer, die Türen des Laderaums, in dem früher gefrorenes Geflügelfleisch transportiert wurde, waren verriegelt. Hinter der Tür mit dem gemalten Hühnerkopf bot sich der Polizei ein grausames Bild: 71 tote Menschen – aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und Iran.

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Der 26. August 2015 war der Tag, an dem vielen Menschen in Europa endgültig klar wurde, welche menschlichen Tragödien hinter der Flüchtlingskrise stehen. Es war eine Zäsur für die Flüchtlingspolitik. Die Menschen ertranken auf ihrer Flucht nicht mehr nur im Mittelmeer, sondern starben in Österreich, sozusagen vor unserer Haustür. Aber hätte diese eine Tragödie vielleicht verhindert werden können? Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR legen das nun nahe. Denn die ungarische Polizei überwachte die Telefonate der Schlepperbande, die für den Tod der Flüchtlinge verantwortlich ist. Sie hatte die Schleuser schon länger auf dem Schirm – und griff nicht ein. Die ungarische Polizei weist aber jeden Vorwurf von sich. Bei vorherigen Fahrten der Schleppergruppe habe keine Lebensgefahr für die Flüchtlinge bestanden. Die Tragödie des Kühllasters sei nicht absehbar gewesen. Weil die Schlepper Serbisch, Bulgarisch und Arabisch untereinander sprachen, wurden die Telefonate laut ungarischer Polizei nicht live mitgehört, sondern erst später übersetzt und ausgewertet.


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Elf Schleuser stehen ab kommenden Mittwoch in Ungarn vor Gericht. Ihnen werden mehr als 30 illegale Transporte von Migranten vorgeworfen, außerdem sind die vier Haupttäter wegen Mordes angeklagt. Auch die aufgezeichneten Telefonate belasten sie schwer.

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Die Abschriften dieser Gespräche liegen der SZ vor. Sie zeichnen ein grausames Bild der letzten Stunden der 71 Flüchtlinge. Im hermetisch abgeriegelten Laderaum gab es kein Licht, keine Haltegriffe, Sitze, Fenster oder auch nur eine Lüftung. Die Türen ließen sich nur von außen öffnen, die Menschen drängten sich auf 14,26 Quadratmeter Fläche, dicht an dicht. Schon nach einer halben Stunde, das zeigt das Gesprächsprotokoll, hatten sie Todesangst.

In ihrer Panik klopfen sie gegen die Wand. Die Sommerhitze staut sich im Innenraum, der Sauerstoff wird knapp. Nach 70 Minuten meldet einer der Schleuser, der den Transport mit einem Pkw abschirmt, seinem Komplizen, die Flüchtlinge würden nicht nur klopfen, sondern auch "kreischen und schreien". Seinem Begleiter ist sofort klar, woran das liegt: "Ich denke, dass sie keine Luft bekommen." Doch die Türen öffnen sie nicht. "Das geht nicht, dass er die Tür aufmacht", sagt einer der Schleuser am Telefon, "wenn er die Tür aufmacht, werden alle rauskommen". Dem Fahrer des Lasters wird am Telefon befohlen: "Du sollst nicht darauf achten, dass sie klopfen und so weiter." Der Anführer der Schleuser sei "sehr verärgert" und habe gesagt, "dass sie alle drin sterben sollen". Nach etwa anderthalb Stunden sind alle Menschen im Laderaum erstickt, noch bevor der Laster Ungarn verlassen hat.

Den Kühllaster ließen die Schleuser an der Autobahn in Österreich stehen und flohen. Sie wurden nur wenige Stunden nach dem Fund der 71 Toten festgenommen. Nach dem Auffinden des Lkws und vor ihrer Verhaftung telefonierten zwei der Haupttäter noch einmal miteinander. Auch das hat die Polizei auf Band aufgezeichnet. "Man hat gehört, dass die Hälfte der Leute gestorben sind", sagt der Schleuser zu seinem Komplizen. Und lacht.

Die 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder stiegen in den Kühllaster, wenige Tage bevor Angela Merkel ihre mittlerweile berühmten Worte sagte: "Wir schaffen das". Sie bezahlten im Voraus Tausende Euros an Schleuser, die sie sicher über die Grenzen bringen sollten – und am Ende lachend sterben ließen.

Die ausführlichen Gesprächsprotokolle und eine Rekonstruktion der Tat könnt ihr hier in der SZ lesen.

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