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Drogen

Wie wir meinen Mitbewohner im Obdachlosenheim mit Drogen vollpumpten

Anekdoten aus dem Leben eines Heroin- und Kokainsüchtigen – Teil 2.
Collage: Rebecca Rütten | Alle Fotos von Pixabay

Klar, dass Drogen süchtig machen können, wisst ihr. Was heißt das aber konkret für das Leben von Süchtigen, wie tief sind die Abgründe? Darüber schreibt Gaston.

Die folgende Geschichte habe ich 2012 erlebt, ich war damals 30. Sie ereignete sich, ein Jahr bevor ich einem Bekannten meinen Urin spritzte, wie ihr im ersten Teil meiner Junkie-Anekdoten nachlesen könnt. Schon damals war meine Drogensucht ziemlich weit fortgeschritten und ich nahm gelegentlich sogenannte Legal Highs. Das sind Drogen, die teils gering chemisch verändert waren und so zu dem Zeitpunkt legal in Onlineshops geordert werden konnten. Alleine 2016 wurden in Deutschland 98 Todesfälle registriert, die auf Legal Highs zurückzuführen waren – fast dreimal so viele wie im Jahr davor.

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Mein Freund Robert, den ich bei einer Entwöhnungstherapie kennengelernt hatte, wohnte in Hannover. Als er sich für einen dreitägigen Besuch in Berlin ankündigte und mich fragte, ob er bei mir übernachten könne, sagte ich sofort zu. Und das, obwohl ich im Obdachlosenheim lebte. Zum einen, weil ich wusste, dass Robert in Berlin auch Heroin kaufen würde, zum anderen, weil einer meiner beiden Mitbewohner im Dreibettzimmer, ein Bürgerkriegsflüchtling aus Mali, ohnehin nie da war, und somit ein Bett freistand.

Robert war ein Computer- und Drogennerd, mit eindeutiger Betonung auf Drogen. Sein Wissen über die digitale Welt nutzte er eigentlich bloß, um sich in Foren über die Wirkung von Legal Highs zu erkundigen.

Dort gab es Derivate aller bekannter Drogen. Schon in der Therapie hatten wir MDPV konsumiert, ein Kokainderivat, und Methoxitamin, eine Abwandlung von Ketamin, vor allem aber jede Menge "synthetische Cannabinoide", die, wie der Name schon sagte, Derivate von THC sind. Viele der derzeit bis zu 500 bekannten Legal Highs wurden von Dr. Zee entwickelt. Der israelische Chemiker, der eigentlich anders heißt, lebt in den Niederlanden und kreierte teilweise wöchentlich neue Substanzen – zu schnell für viele Behörden, die versuchten, seine Schöpfungen zu verbieten.


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Für uns hatten diese Stoffe den unschätzbaren Vorteil, dass sie in damals gängigen Urintests nicht auftauchten, sodass wir sie während der Therapie hemmungslos konsumieren konnten.

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Als Robert seinen Besuch ankündigte, zählte er mir auf, was wir alles nehmen würden. Das waren vor allem synthetische Cannabinoide – Heroin musste er gar nicht erst erwähnen. Als besonderes Gimmick wollte er diesmal 2C-B mitbringen, eine obskure Chemikalie, deren Wirkung der von LSD entsprechen sollte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon jahrelang kein LSD mehr genommen und war dementsprechend gespannt. Vor allem, da ich wusste, dass Robert mich nicht entkommen lassen würde: Wenn ich mit ihm abhängen und Heroin auf seine Kosten nehmen wollte, dann würde ich mich auch auf 2C-B einlassen müssen.

Soweit war also alles klar. Jetzt musste ich nur noch meinen Mitbewohner auf Roberts Besuch vorbereiten. Er hatte fünf Jahre lang in Vietnam gelebt und als er dann plötzlich seinen Job verlor, wurde er innerhalb von zwei Wochen nach Deutschland abgeschoben. Wohnung, Auto, Freundin, Freundeskreis – alles, was er in Vietnam gehabt hatte, war verloren. Statt in einer riesigen, gemütlichen und dennoch preiswerten Wohnung mit seiner vietnamesischen Freundin befand er sich in einem winzigen Dreibettzimmer in einem Steglitzer Obdachlosenheim. Mit mir, einem zu diesem Zeitpunkt komplett hemmungslosen Junkie. Allerdings hatte er sich mit seiner Situation überraschend gut arrangiert, wenn man in Betracht zieht, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Jahre alt war und immer ein recht geordnetes Leben geführt hatte. Wir verstanden uns gut und redeten jeden Abend, auch über Drogen. Ich bemerkte, dass Martin, der bislang nur gekifft hatte, daran stark interessiert war: "Jetzt bin ich aus meinem Tropenparadies, wo ich mit meiner hübschen Freundin und genügend Geld gelebt habe, rausgeflogen und im Obdachlosenheim in Deutschland gelandet – da kann ich mich auch mal ordentlich wegmachen", hörte ich ihn manches Mal sagen. Bis jetzt hatte er es nicht getan.

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Tag eins: Eingesperrt mit Junkies

Jedoch kurz nachdem ich mir vor seinen erstaunt aufgerissenen Augen eine Ladung Kokain in den Fuß injiziert hatte, eröffnete ich ihm, dass er die nächsten drei oder vier Tage nicht nur mit mir, sondern auch mit Robert das Zimmer teilen würde. Er sagte zu. Dann gab ich ihm die erste Line Kokain seines Lebens aus. Er war ziemlich begeistert, auch wenn er mehr erwartet hatte. Das ist beim Erstkonsum von Koks allerdings fast immer der Fall, der Organismus muss sich sozusagen erst auf die Droge einstellen. Es sollte nicht die letzte Premiere für Martin sein, und im Rückblick muss ich sagen, dass er wirklich Glück hatte, dass er nach den drei folgenden Tagen das Zimmer wechseln durfte. Mit meiner damaligen Destruktivität war ich auch eine Gefahr für mein Umfeld. Wie fast alle Drogenabhängigen zog ich immer wieder Leute, mit denen ich zu tun hatte, mit in meine Drogensucht. Manche probieren nur ein-, zweimal, merken dann, dass es nichts für sie ist und leben normal weiter. Andere sind zeitweilig komplett von einer Droge begeistert, hören dann aber abrupt wieder auf. Ich habe Leute aus meinem studentischen Umfeld erlebt, die für einige Monate richtig versessen waren auf Heroin, dann aber den letzten Schritt in die komplette Abhängigkeit nicht taten und in ihr "normales" Leben zurückkehrten. Ich war leider einer von denen, die das nicht geschafft hatten. Und wenn ich mich heute frage, warum ich immer wieder versucht habe, Leute für den Stoff zu "begeistern", dann fallen mir eigentlich bloß zwei Antworten ein: zum einen, weil geteiltes Leid eben halbes ist, und man dann jemanden hat, der dasselbe Problem hat und mit dem zusammen man vielleicht irgendwie Geld für Drogen auftreiben kann. Und zweitens, weil das Leben eines Abhängigen sich so ausschließlich um die Substanz dreht, dass die Leute, mit denen man verkehrt und die (noch) nicht drauf sind, zwangsläufig damit konfrontiert werden und meist von sich aus fragen, ob sie mal probieren dürften. Und dann sagt man selten Nein, aus dem obigen Grunde, und weil man derjenigen Person vielleicht auch noch ein bisschen Geld abluchsen kann für den "Test". Das schlechte Gewissen kommt, wenn überhaupt, meist erst hinterher, wenn man sieht, dass aus dem "einmal Probieren" eine Abhängigkeit geworden ist. Letztlich hat man als Junkie, so zynisch das auch klingen mag, für Gewissensbisse auch schlicht keine Zeit und keine emotionalen Ressourcen. Solche "normalen" Empfindungen sind bei wirklich Süchtigen längst überschattet von der alles beherrschenden Droge.

Tags darauf kam Robert gegen 18 Uhr an und wir mussten erst einmal Heroin besorgen. Er hatte das bereits telefonisch in die Wege geleitet, sodass ein Dealer ihn am Rathaus Spandau erwartete. Ausgestattet mit Heroin, synthetischen Cannabinoiden und 2C-B fuhren wir zu mir. Mehr als genug für drei schöne Tage, jedenfalls wenn man maximale Vergiftung und temporäre Psychose als "schön" empfindet, wie wir es damals taten.

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Bei einer Psychose verliert man nach und nach den Bezug zur Wirklichkeit. Sie kann oft die Form einer Schizophrenie haben und zum dauerhaften Zustand werden. Jahrelange Aufenthalte in der Psychiatrie sind teils die Folge.

Robert bereitete die Cannabinoide so vor, dass wir sie in einer Bong rauchen konnten. Martin betrachtete das Ganze mit einer Mischung aus Furcht und Faszination. Wir müssen ihm ein bisschen vorgekommen sein wie wahnsinnige Chemiker, die ihre durchgeknallten Erfindungen im Selbstversuch ausprobieren. Und genauso gefährlich war es auch, was wir da vorhatten. Sicherlich hatte Robert sich im Netz ausführlich über die Stoffe informiert, die er geordert hatte. Aber letzten Endes wussten wir weder, ob wirklich drin war, was drauf stand, noch konnten wir einschätzen, ob die Drogen auf uns so wirken würden wie auf andere, die sie schon probiert hatten. Und absolute Sicherheit gibt es beim Drogenkonsum ohnehin nie.

Nachdem die Mischung gemacht war, setzten Robert und ich uns auf unsere Betten und rauchten Heroin. Martin war dazu noch nicht bereit. Es erschien ihm schon unglaublich, dass er gestern Kokain ausprobiert hatte. Aber sein Interesse war groß, immer wieder stellte er uns Fragen über den Stoff und wie er gerade auf uns wirkte. Er beobachtete uns genau. Es war mir völlig klar, dass er morgen – spätestens übermorgen – fragen würde, ob er auch einen Zug machen dürfe. Mir war's recht, ehrlich gesagt dachte ich mir nicht viel dabei, wenn ein 42-jähriger Mann, der im Gegensatz zu mir eigentlich "voll im Leben stand", wie man so sagt, mal eine neue Droge ausprobieren möchte. Robert und ich waren zudem ziemlich erfahren mit Cannabinoiden, wir würden im Notfall schon auf Martin aufpassen können.

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Tag zwei: Break on through to the other side

Am nächsten Tag war Martin so weit, Heroin auszuprobieren. Er sah, wie gut wir uns fühlten, und schließlich wirkten wir beide nicht wie die Leute vom Kotti, so dass er schließlich resigniert lachend die CD-Hülle mit der braunen Linie von uns entgegennahm. Er sniefte sie und war sofort euphorisiert. Durchaus befriedigt von seiner nunmehr zweiten Erfahrung mit harten Drogen lehnte er sich zurück, um mit uns breit South Park und Reservoir Dogs zu schauen. Robert und ich rauchten indes weiter. Außer Heroin auch die synthetischen Cannabinoide, an die Martin sich noch nicht rantraute, weil er von uns wusste, dass sie stark psychotrop bis halluzinogen wirken – und das bereits in winzigen Mengen. A propos winzige Mengen: Sollte sich an dieser Stelle jemand wundern, dass wir mit unseren Drogen so freigiebig waren, wo doch zumindest ich von ALG II lebte und Robert während dieses "Urlaubes" fast sein ganzes Monatsgehalt für Heroin ausgab, so muss er wissen, dass die Mengen, die ein "absoluter Beginner" wie Martin brauchte, um richtig breit zu werden, so winzig waren, dass sie für uns gar nicht ins Gewicht fielen. Zwei äußerst zaghafte Züge von der Folie genügten, um ihn die volle Wirkung des Opiates auskosten zu lassen. Und bei Martin machte ich mir irgendwie auch keine Sorgen, dass er abhängig werden könnte: Meiner durch langjährige "Feldstudien" geschulten Einschätzung nach war er einer von denen, die durch die Droge zuerst einmal völlig euphorisiert wurden und dementsprechend begeistert von ihr waren, die aber so sehr an ihrem geordneten Leben hingen, dass sie dieses keinesfalls für irgendeinen Stoff riskieren würden.

Tag drei: Panik in den Augen

Der darauffolgende Tag begann nach dem gewohnten Schema: Ich ging morgens los und kaufte die Tagesration Heroin für 60 bis 70 Euro. Zu Hause hatte Robert inzwischen Martin überredet, synthetische Cannabinoide auszutesten und das 2C-B für uns als krönenden Abschluss der drei Drogentage vorbereitet.

Robert und ich nahmen jeder eine Dosis 2C-B und machten einen Spaziergang durch Steglitz, um die Wirkung abzuwarten. Ich hatte schnell das typische, leicht schwerelose Körpergefühl. Robert schien zunächst nichts zu spüren, was wohl am Heroin lag, das wir geraucht hatten. Die antipsychotische Wirkung des Opiats versaute ihm den Halluzinogen-Törn. Als ich mich dann vor Lachen über einen grimmig dreinblickenden Kampfhundbesitzer gar nicht mehr einkriegen konnte, hatte Robert genug, und zog mich in Richtung Obdachlosenheim.

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Dort rauchten wir noch mehr synthetische Cannabinoide und diesmal wollte Martin auch. Wir machten eine Mischung und Robert zog und hielt die Luft an, bis wir alle dachten, er müsse gleich ersticken.

Tatsächlich fiel er nach dem Ausatmen um, und als er sich wieder erhob, war er nur noch ein zitterndes, graugesichtiges Wrack, das sich mit irren Augen im Zimmer umblickte. Ich beachtete das erst gar nicht groß, denn das war bei Robert eine mir bekannte Reaktion, und jetzt war die Reihe an Martin.

Er nahm einen starken Zug an der Bong, atmete den Rauch aus – und blieb starren Blickes regungslos sitzen. "Alles in Ordnung?", fragte ich, aber seine Antwort bestand nur aus unverständlichem Brabbeln. Dann wollte er sich eine Orange schälen, was aber nicht funktionierte, da er sowohl die Frucht als auch das Messer so verkrampft hielt, als sei er motorisch gestört.

Robert indes begann zu zittern, deutete auf Martin, der mit dem Messer rumfuchtelte, und sagte zu mir: "Der will mich abstechen!"

"Unfug", sagte ich, "der versucht bloß, die Orange zu schälen, aber kriegt's nicht hin." "Nein!", schrie Robert panisch, "der will mich umbringen!"

Dann warf er Martin sein Kissen mit voller Wucht ins Gesicht, woraufhin dieser umkippte und reglos im Bett liegen blieb.

Unter dem Kissen, das auf seinem Gesicht lag, drangen gurgelnde Geräusche hervor. Als ich es herunter nahm, sah ich, dass Martin die Hände spastisch verkrampft hielt, sabberte und in einer Art Babysprache vor sich hin brabbelte. Ich versuchte, ihn aufzurichten und nahm ihm die Orange und das Messer ab, mit dem er vor seinem Gesicht herumfuhrwerkte.

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Die Situation war durchaus gefährlich. Erst 2015 hat ein damals 35-Jähriger seine 64-jährige Mutter im Wahn getötet. Er dachte, sie hätte sich zusammen mit Dämonen gegen ihn verschworen, und stach er mit einem Messer mehr als zwanzigmal auf sie ein. Bei den anschließenden Ermittlungen wurde bei dem Mann eine Psychose festgestellt, die womöglich durch seinen jahrelangen exzessiven Drogenkonsum ausgelöst worden war.

Martin hatte zwar kein Messer mehr in der Hand, aber er war immer noch weggetreten und nicht ansprechbar. Er rutschte langsam von seinem Bett auf den Boden, ohne das auch nur zu bemerken, während Robert weiterhin zitternd und schwitzend auf ihn deutete und ihn der Mordabsichten beschuldigte. Obwohl ich selber ziemlich verplant war, da das 2C-B acht bis zehn Stunden lang wirkt, kam ich mir vor wie der einzige Vernünftige in einem Irrenhaus.

Später an dem Abend schauten wir noch Wolf of Wall Street, der mir nicht nur sehr gut, sondern auch äußerst psychedelisch erschien, und da ich den Film seitdem nicht mehr gesehen habe, weiß ich bis heute nicht, was wirklich darin vorkam, und was Halluzinationen waren. Ich habe mir allerdings sagen lassen, dass sich in dem Film die Köpfe der Menschen nicht dauernd verformen.

Kurz nach Roberts Abreise wechselte Martin sein Zimmer im Obdachlosenheim. Er versicherte mir zwar nachher, dass es nicht sei, weil er mich nicht mochte, und das glaubte ich ihm auch, aber es war wohl der Selbstschutz, der ihn von mir wegtrieb. Damit tat er das Richtige.

Legal Highs gibt es heute immer noch. Auch wenn seit 2016 das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz den Handel damit verbietet. Doch Konsum und Erwerb sind weiterhin legal.

Wir waren damals ziemlich leichtsinnig im Umgang mit dem Zeug und sind glücklicherweise einigermaßen unbeschadet davongekommen. Trotzdem würde ich sagen, dass viele Legal Highs gefährlicher sind als so mancher Stoff, den man auf der Straße kauft. Das Zeug ist rein, extrem potent und so gut wie unerprobt, und zudem wird es meist von unerfahrenen Teenagern konsumiert, die außer übers Netz gar nicht an Drogen rankämen – die perfekte Grundvoraussetzung für einen drastischen Anstieg der Zahl junger Menschen mit drogeninduzierten Psychosen.

Martin habe ich nie wieder gesehen. Er bezog sein Einzelzimmer, ich habe das Obdachlosenheim verlassen, um eine Drogentherapie anzutreten. Ich schätze ihn aber so ein, dass er es zurück ins "normale" Leben geschafft hat. Er war nicht der Typ dafür, ein Leben am Rande der Gesellschaft und des Wahnsinns zu führen wie wir damals.

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